Poetisch, athletisch, burlesk, futuristisch
Wer da in welcher Dimension in wen verliebt ist, wer nicht, wer sich entliebt, neu verliebt und dann durch den Saft der Zauberblume und einen verwirrten Kobold Puck - dem Shakespeare‘schen Hofnarren - , sich neu, und wieder falsch verliebt, das zu durchschauen gibt man bald einmal auf. Man begreift aber, dass es um Liebe und bevorstehende Hochzeiten geht und erfreut sich an den dazugehörigen Pas-de- Deux’s und Festtänzen, die, je nach Paar und Dimension, poetisch, athletisch, burlesk, missraten, futuristisch oder gar kämpferisch daherkommen.
Ein ganzes Füllhorn von Bewegungsvariationen ist da zu sehen, vom Münchner Ballett kundig getanzt. John Neumeier, der von Shakespeare auch ‚Romeo und Julia’, ‚Hamlet’, ‚Othello’ und ‚Wie es Euch gefällt’ choreographiert hat, schätzt diesen Dichter ganz besonders: „Er ist der humanste von allen Dichtern. Er sieht Dinge, spricht von Dingen, die eine Dimension haben, die noch viel stärker sind als seine eigenen Worte. Man kann Shakespeare nicht verstehen, wenn man nicht seine eigene Menschlichkeit mitbringt. Und ich glaube, das ist das Wesentliche. Er hat Menschen so tief erfasst, seine Figuren und ihre Beziehungen so ungeheuer komplex und stark beschrieben, dass wir sie auch ohne Worte auf der Tanzbühne verstehen, so paradox das auch erscheinen mag.“
Mendelssohn, Ligeti und Drehorgelklänge
In Shakespeares Stücken wird Tanz oft erwähnt und teilweise findet er auch wirklich statt, so auch im Sommernachtstraum. Das Ballett spielt in zwei Phantasiewelten: Einmal in der Mythenwelt in Theseus’ Palast und dann in der Traumwelt im Elfenwald. Diese sind musikalisch klar voneinander abgesetzt, indem in der Mythenwelt zur Ballettmusik von Felix Mendelssohn-Bartholdy getanzt wird.
Im Elfenwald hingegen zu den zeitgenössischen Klängen von György Ligeti. Dazu kommen noch die Drehorgelklänge, die zu den Auftritten einer Handwerker-Schauspieltruppe erklingen. Diese spielt ein Stück im Stück zur Ergötzung der Hochzeitsgäste; allerdings so schlecht, dass es ein Clowntheater sein könnte.
Nobles Athen, Traumwald und Lumpentruppe
Auch Jürgen Roses opulente Ausstattung und die Beleuchtung charakterisieren die diversen Sphären: Im noblen Athen des Theseus dominieren Weiss, Blau und Gold. Der Stil ist Barock. Der Traumwald der Elfen und seine Bewohner hingegen sind in grün schimmerndes sphärisches Licht getaucht, die Tänzer silbern kostümiert. Die Schauspieltruppe hingegen kleidet ein Patchwork aus bunt gemusterten Stoffen: eine Lumpentruppe zwischen den Welten.
Bei Shakespeare ist ein Thema der Stücks der Verlust der Individualität und damit die Austauschbarkeit der Liebenden. Das ist bei Neumeier anders; er verleiht jedem eine eigene Persönlichkeit, die durch leitmotivische Bewegungen immer wieder betont wird. Demetrius zum Beispiel tanzt eckig militärisch und führt immer wieder die Geste des Salutierens aus. Er bietet in seiner Gestelztheit ein gutes Pendant zur ungraziösen Helena.
Subtile Umsetzung von Literatur und geistreichem Ballet
Lysander hingegen tanzt lyrischer und passt mit seinem fliessenden Bewegungsstil ideal zu Hermia. Neumeier macht so durch rein choreographische Mittel klar wer eigentlich zu wem gehört. Die schlechte Qualität der Schauspieltruppe, bei Shakespeare rein verbal ausgedrückt, zeigt Neumeier durch eine Vielzahl tänzerischer Katastrophen.
So wird Neumeiers Ballett ‚Der Sommernachtstraum’ einmal zu einem Werk subtiler Umsetzung und Interpretation von Literatur und zum andern zu einem brillanten, geistreichen und witzigen Ballett.
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John Neumeiers Ballett 'Ein Sommernachtstraum' wurde am 8. Dezember im Nationaltheater in München vom Bayerischen Staatsballett gegeben zugunsten der Stiftung „Herz für Herz für Leben“, die weltweit mittellosen herzkranken Kindern zu lebensrettenden Operationen verhilft. Das Ballett ist in dieser Form nun im Münchner Repertoire