Wie eine mittelalterliche Trutzburg thront das Friesenberghaus hoch über dem Zillertaler Schlegeisspeichersee. Beim bequemen zweistündigen Aufstieg durch einen Zirbenwald verliert man das Schutzhaus immer wieder aus den Augen, bis man auf 2 500 Metern Höhe plötzlich vor der wuchtigen grauen Bruchsteinfassade steht.
Das Gebäude aus den dreissiger Jahren fügt sich perfekt in die spektakuläre Hochgebirgslandschaft ein, aus der auch die Baumaterialien stammen. In den gemütlichen Holzstuben springen einem die behäbigen Tiroler Stühle ins Auge. Fast in jede Rückenlehne ist ein Name eingeritzt, etwa Dr. Heusler, Michaelsohn oder Dr. Schmitt, darunter die jeweiligen Spender. Es ist eine Erinnerung an die ungewöhnliche Entstehungsgeschichte dieser Schutzhütte, die heute der Sektion Berlin des Deutschen Alpenvereins (DAV) gehört.
Ausbreitung der Judenfeindschaft
Dass das Gebäude eher wie eine Festung als eine Schutzhütte wirkt, ist kein Zufall. War es doch 1931 vom deutschen Architekten Wilhelm Durand im Auftrag des jüdischen Alpenvereins „Donauland“ aus Protest gegen den Ausschluss der jüdischen Mitglieder aus dem österreichischen und deutschen Alpenverein erbaut worden. Eingeweiht wurde die Friesenberghütte 1932 von einem örtlichen Pfarrer mit den Worten: „Was euch heilig ist, will ich achten; was mir heilig ist, lasst es gelten.“ Doch da hatten die antisemitischen Strömungen in den Alpenvereinen bereits die Oberhand gewonnen.
Der Antisemitismus war keine „Erfindung“ Adolf Hitlers. Er wurzelte bereits im 19. Jahrhundert. Mit der Einführung der gesetzlichen Gleichberechtigung der Juden durch Kaiser Franz-Josef 1867 begann sich die Bewegung von der früher religiös motivierten zur wirtschaftlichen, sozialen und rassistischen Judenfeindschaft zu entwickeln. Hauptvertreter war die deutsch-nationale Bewegung von Georg Schönerers, zu der auch viele Klerikale gehörten. Sie mündete in die christlich-soziale Partei unter dem Wiener Bürgermeister Karl Lueger ein, die zur stärksten bürgerlichen Partei in Deutsch-Österreich wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg breitete sich das antisemitische Gedankengut auch unter den Sozialdemokraten und an den Universitäten aus.
Im Deutschen Reich war es vor allem der Gründer der Christlich-sozialen Partei, Stöcker, der den Antisemitismus in die Politik hineintrug. Er schuf 1890 die Antisemitische Volkspartei, die ab 1893 auf Deutschen Reformpartei umbenannt wurde, aber zusammen mit anderen judenfeindlichen Kleinparteien wegen der Ablehnung des Reichskanzlers Otto von Bismarck zunächst erfolglos blieb. Erst nach dem Ersten Weltkrieg erstarkte die Strömung wieder. Anklang fand sie, ähnlich wie in Österreich, vor allem bei der Studentenschaft und in Sportvereinen. Der 1922 gegründeten Deutsch-völkischen Freiheitspartei traten 1922 die ersten Nationalsozialisten vorübergehend bei.
Nährboden in Sport und Hochschulen
In beiden Ländern boten Sportvereine wie der Alpenverein oder Burschenschaften einen fruchtbaren Nährboden für die rasche Verbreitung des rassistischen Gedankenguts, wie der Historiker Martin Achrainer vom Alpenverein-Archiv des OeAV erläutert. Schönerer-Sprüche wie „Durch Einheit mehr Reinheit“ trugen dazu bei. Schon früh tat sich der OeAV bei der Judenhetze hervor. Bereits 1913 versuchte er, einen „Arierparagraphen“ in die Statuten aufzunehmen, der den Ausschluss jüdischer Mitglieder ermöglicht hätte. Damals scheiterte er noch am deutschen Widerstand.
Erst nach dem Ersten Weltkrieg mit all seinen sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen und dem Verschwinden der alten Ordnung konnte sich der glühende Schönerer-Verehrer und Vorstand der Sektion Austria in Wien, Eduard Pichl, durchsetzen und 1920 die Aufnahme eines „Arierparagraphen“ in die Statuten des Dachverbandes des deutschen und österreichischen AV erreichen. Der antisemitische Publizist und Bergsteiger hatte es geschafft, mit einer Minderheit völkisch orientierter Mitglieder eine Mehrheit im Vorstand zu bekommen und damit Juden und Liberale mit der Zustimmung von drei Vierteln der Mitglieder hinauszudrängen.
Die meisten österreichischen Sektionen schlossen sich an, niemand fand diesen Beschluss ungerecht, wie Achrainer betont. In Deutschland hatte zunächst vor allem die Sektion Berlin dagegen gestimmt. Damit übernahm der Alpenverein lange vor der NS-Machtergreifung eine Vorreiterrolle bei der Ausgrenzung der Juden. Nur die von den Sozialdemokraten gegründeten „Naturfreunde“ schlossen sich dem Rassenwahn nicht an, sondern behielten ihre jüdischen Mitglieder. Die Ausgeschlossenen gründeten 1923 aus Protest eine eigene Sektion, die Sektion Donauland. Mit 3 000 Mitgliedern wurde sie zweitgrösste Sektion in Wien.
Juden in Schutzhütten nicht erwünscht
Erste Plakate „Juden und Mitglieder des Vereins Donauland sind hier nicht erwünscht“ und Hakenkreuze tauchten an den Schutzhütten auf. Bereits Ende 1924 wurde der Verein Donauland ausgeschlossen, da er nicht freiwillig gehen wollte. „Jetzt sind wir ganz unter uns“, lautete das Fazit. Im Gegenzug hatte der Dachverband den Mitgliedern zugesichert, für acht Jahre auf antisemitische Agitation zu verzichten. Ein Versprechen, das nicht eingehalten wurde.
Das „Jüdische Echo“ kommentierte damals prophetisch: „Wir sehen, dass unter der fortschreitenden Vergiftung ‚der Völker deutscher Zunge‘ durch die Judenhetze unser Lebenskreis, die uns umgebenden unsichtbaren, aber um so mehr fühlbaren Ghettomauern uns immer enger einschliessen.“
Kurzzeitig Hütten für Juden und Nicht-Nazis
Um den Anfeindungen zu entgehen, gründete oder pachtete der Verein Donauland eigene Hütten, darunter die Glorerhütte am Grossglockner. Der Deutsche Alpenverein Berlin, dem etliche jüdische Mitglieder angehörten, gründete seinerseits das Friesenberghaus im Zillertal.
Die Tage beider Vereine waren jedoch gezählt. Nach der Machtergreifung Hitlers wurde der Berliner AV aufgelöst. Er konnte aber vorher noch das Friesenberghaus dem Verein Donauland übereignen. Kurz nach dem Anschluss Österreichs ereilte den AV Donauland das gleiche Schicksal. Die Friesenberghütte wurde während des Krieges der deutschen Wehrmacht übergeben.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielten die wenigen jüdischen Überlebenden, die zurückgekehrt waren, zwar die Vereinshütten zurück, konnten sie aber finanziell nicht mehr halten. Sie verkauften die Friesenberghütte und das Glorerhaus 1968 an die DAV-Sektionen Berlin und Eichstätt. Man entschied sich, die Hütten den deutschen AV-Sektionen und nicht dem OeAV zu überlassen, um das besonders hetzerische Verhalten des österreichischen Alpenvereins seit Beginn des 20. Jahrhunderts nicht noch durch die Übergabe der Hütten zu honorieren, wie Achrainer erläutert. Der Verein Donauland wurde 1976 sang- und klanglos aufgelöst.
Schleppende Aufarbeitung in den Alpenvereinen
Mit der Aufarbeitung seiner braunen Vergangenheit haben sich der OeAV und der DAV lange schwer getan. Erst in den späten achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts veröffentlichte der Deutsche Alpenverein eine Artikelserie zur unrühmlichen Geschichte der 20er und 30er Jahre. Der OeAV lud zu seinem 125-jährigen Jubiläum den berühmten jüdischen Psychologen und Bergsteiger Viktor Frankl als Festredner ein, dem es in seiner Jugend verwehrt geblieben wäre, AV-Mitglied in Wien zu werden.
2001 verabschiedete der DAV die Proklamation „Gegen Intoleranz und Hass“, eine späte Geste, mit der man der Opfer von Ausgrenzung, Intoleranz und Verfolgung gedachte. Der OeAV taufte die Eduard-Pichl-Hütte in den Karnischen Alpen auf ihren alten Namen Wolayersee-Hütte zurück. Gemeinsam haben die Alpenvereine 2011 Forschungsarbeiten über die Vergangenheit in dem Buch „Berg Heil! Alpenverein und Bergsteigen 1918-1945“ veröffentlicht.