Die Sammlung Peter C. Ruppert enthält Werke von zahlreichen Künstlern jenseits des Mainstreams, aber sie faszinieren nicht minder. Sie haben eine eigentümliche Kraft. Der Verlag Wienand hat dazu einen beeindruckenden Katalog herausgebracht.
Fachleute wissen, was mit «Konkreter Kunst» gemeint ist. Eine allgemein anerkannte Definition stammt vom Schweizer Künstler Max Bill: «Konkrete Kunst nennen wir jene Kunstwerke, die aufgrund ihrer ureigenen Mittel und Gesetzmässigkeiten – ohne äusserliche Anlehnung an Naturerscheinungen oder deren Transformierung, also nicht durch Abstraktionen – entstanden sind.»
Das Bild ist also nicht als eine mehr oder weniger abstrakte Abbildung einer äusseren Wirklichkeit zu betrachten, sondern als eine eigene Welt, gewissermassen autonom als Werk. Deswegen ist das Bild «konkret». Es gibt nichts «Konkreteres» ausserhalb dieses Bildes. Es bildet eine Welt für sich, sozusagen die letzte Wirklichkeit. Einen höheren Anspruch kann es kaum geben. Die Kompositionen, die uns diese Künstler präsentieren, sind wiederum streng konstruiert. Aber sie stehen für nichts anderes als sich selbst.
Vermutlich war es der Maler und Bildhauer Hans Arp, der dafür den Begriff «Konkretion» im Jahr 1918 zum ersten Mal verwendete. Künstlerinnen und Künstler in ganz Europa waren von dieser Idee begeistert. Auch das Bauhaus in Weimar und Dessau spielte dabei eine wichtige Rolle. Der Nationalsozialismus und in seinem Gefolge der Zweite Weltkrieg machten diesen Bestrebungen allerdings ein Ende. Während des Zweiten Weltkrieges hat Max Bill in der Schweiz weiterhin für diese Idee geworben. Nach 1945 bildete sich erneut eine internationale künstlerische Szene, die an diesem Konzept und anderen Projekten der Avantgarde anknüpfte.
Unmittelbar nach Kriegsende begann Peter C. Ruppert zusammen mit seiner Ehefrau Rosemarie mit seiner Sammlung der konkreten Kunst. Als diese Sammlung im Jahr 2002 vom Kulturspeicher Würzburg übernommen wurde, umfasste sie 245 Werke. Mittlerweile ist sie auf über 420 Werke angewachsen.
Insgesamt aber hat die konkrete Kunst in der Nachkriegszeit keine herausragende Rolle mehr gespielt. In Deutschland war auch an eine Wiederaufnahme der Bauhaus-Idee nicht zu denken. Die alten Standorte Weimar und Dessau lagen in der DDR, die sich mit dieser Kunstrichtung überhaupt nicht anfreunden konnte. In der Bundesrepublik wiederum waren die USA die kulturelle Leitfigur. Aber es gibt einige nicht zu unterschätzende Einflüsse, die bis heute reichen. Dazu gehören die Ausstellungen im «Haus Konstruktiv» in Zürich.
Überhaupt lässt sich fragen, ob die konkrete Kunst sich wirklich so scharf von anderen Stilrichtungen abgrenzt, wie dieser Ausdruck vorschlägt. Denn wenn man an die Frottagen von Max Ernst denkt oder einige ungegenständliche Werke von Paul Klee, später auch von Jackson Pollock, um nur diese Beispiele neben vielen anderen zu nennen, so liegt der Gedanke nahe, dass auch andere Künstler zumindest in Teilen ihres Werkes Wege gegangen sind, die dem, was mit konkreter Kunst gemeint ist, sehr nahe kommen. Wie fliessend die Grenzen sind, zeigt ein Bild von Victor Vasarely, das sich in dieser Sammlung befindet.
In der Sammlung von Peter C. Ruppert ist auch konkrete Fotografie vertreten. In ihrem einleitenden Text schreibt Franziska Kunze, dass Fotografie sich naturgemäss auf Gegenstände richtet. Wie also lässt sich konkrete Fotografie, also ein Foto ohne Gegenstände, denken? Es gibt ein schönes Beispiel von Otto Steinert, der Glasscheiben auf einem Barytpapier geometrisch angeordnet hat. Das Bild heisst «Flächengeschiebe» und entstand 1948/49. Dieses Bild ist ausserordentlich beeindruckend, aber im Grunde liegt es schon jenseits der üblichen fotografischen Verfahren, denn es ist ein Fotogramm. Wenn man über die Fotografien in der Sammlung Ruppert hinaus denkt, fallen einem zum Beispiel die Bilder von Zigarettenkippen von Irving Penn ein und auch die «Rayographien» von Man Ray. Allerdings ist diese Fotografie in gewisser Weise noch gegenständlich, aber die Gegenstände wiederum dienen dazu, über sich selbst hinauszuweisen. Insgesamt ist das Thema der konkreten Fotografie schwierig.
Der Bildband, den der Verlag Wienand jetzt herausgebracht hat, überzeugt mit den Abbildungen in vorzüglicher Druckqualität. Die begleitenden Texte bieten gute Einführungen. Wichtiger aber sind die unmittelbaren Eindrücke. Die Farben und Formen, die als solche auf den ersten Blick bekannt wirken, führen im zweiten Schritt in eine unbekannte Welt in sich selbst ruhender Realität. Und da gibt es keine Wegweiser aus der äusseren Welt. Wir befinden uns in «konkreten» Räumen, die ganz für sich erschaffen worden sind.
Konkrete Kunst in Europa nach 1945. Die Sammlung Peter C. Ruppert. Katalog für das Museum im Kulturspeicher Würzburg, herausgegeben von Luisa Heese, für das Museum im Kulturspeicher Würzburg, Beiträge von Luisa Heese, Franziska Kunze, Hans-Peter Riese, 335 Seite mit 525 farbigen und 45 s/w Abb., Wienand 2022, ca. € 45,00