Dieser Versöhnungskongress ist, wie die gesamte Übergangsphase, in zähen Verhandlungen zwischen dem Regime des damals scheidenden Präsidenten, Ali Saleh Abdullah, und einer Gruppe von Aussenmächten ausgehandelt und festgelegt worden. Die äusseren Mächte waren der Uno Sicherheitsrat, der Entwicklungs- und Kooperationsrat der Golfstaaten, zu dem Saudi Arabien führend gehört, die USA und die europäischen Staaten.
Immunität für den alten Herrscher
Damals wurde festgelegt, dass Ali Saleh die Präsidentschaft aufgebe, sein Stellvertreter, al-Hadi sie für die Übergangszeit übernehme, Ali Saleh jedoch im Lande verbleiben dürfe und Immunität erhalte für sämtliche Untaten, die er während seiner 34 jährigen Herrschaft begangen habe.
Es wurde auch festgelegt, wie der Übergang zu einem erhofften demokratischen Regime zu verlaufen habe. Zunächst sollte die Armee wieder vereinigt werden. Sie war zwischen Feinden und Anhängern des Präsidenten gespalten. Dann sei der nun angekündigte Versöhnungskongress durchzuführen, und dieser habe die Modalitäten festzulegen, wie eine neue Verfassung geschrieben werde und dann auch die Wahlen vorzubereiten.
Subtile Übergangskompromisse
Unter Präsident al-Hadi war eine Übergangsregierung vorgesehen, in der gleich viele Vertreter der Staatspartei des scheidenden Präsidenten sitzen sollten, wie auch der Oppositionspartei, die es schon unter dem alten Präsidenten gab. Sie war aber zur Zeit seiner Machtausübung eine flexible Opposition gewesen war, die in der Praxis mit der dominierenden Staatspartei zusammenarbeitete. Die Staatspartei heisst "Allgemeiner Volkskongress", die Opposition "Islah", was Reform, bedeutet.
Ali Saleh Abdullah ist bis heute der Vorsitzende des Volkskongresses, der in seiner Herrschaftsperiode stets alle Wahlen gewann. Im Gegensatz zu ihm verfügt al-Hadi, obwohl er nun Übergangspräsident ist, über keinerlei Hausmacht.
Saleh und seine Hausmacht
Die Macht des ehemaligen Präsidenten beruht auch auf der Position seines Sohnes Ahmed und zweier seiner Neffen, die alle militärische Einheiten kommandieren, die zu den am besten ausgerüsteten Heeres- und Sicherheitsabteilungen des Landes zählen.
Als Gegenspieler steht Ihnen gegenüber der Panzergeneral Mohsen al-Ahmar mit seinen militärischen und Stammesanhängern. Der General, lange Zeit eine Hauptstütze des Präsidenten, hatte sich im März 2011 vom Präsidenten getrennt und war mit seinen Einheiten auf die Seite der Demonstranten getreten, nachdem Sicherheitskräfte 52 unbewaffnete Demonstranten von den Dächern der Hauptstadt aus erschossen hatten.
Die Saleh-Partei nur theoretisch entmachtet
Im Januar 2013 gab der Übergangspräsident al-Hadi nach Monaten der Vorbereitungen den Befehl, die Präsidialgarde, die unter dem Kommando des Sohnes des ausgeschiedenen Präsidenten stand, aufzulösen und ihre Einheiten verschiedenen Heeresabteilungen zuzuweisen. Er entliess auch die beiden Neffen des früheren Präsidenten, die Sicherheitstruppen befehligten, und enthob ihren Gegenspieler, den Panzerkommandanten, ebenfalls seines Kommandos.
Doch heute sieht es so aus, als ob seine Befehle stillschweigend nicht befolgt worden seien. In der Hauptstadt stehen sich nach wie vor die Truppen des Panzergenerals Ali Mohsen al-Ahmar und die Präsidialgarde, jede in ihrem Stadtteil, feindlich gegenüber.
Der Sohn des Ex-Präsidenten kam kürzlich von einer Auslandsreise nach Sanaa zurück und führte dort eine Sitzung mit den Offizieren der Präsidialgarde durch, in der Angelegenheiten dieser Elite-Einheiten besprochen worden seien - obwohl er offiziell diese Garde nicht mehr kommandiert.
Vier Hauptkampfgruppen, eine Armee und eine Terrororganisation
Ausserhalb der Hauptstadt herrscht weiterhin diese, dort die andere Hauptpartei, und dazwischen gibt es die reguläre Armee, die versucht, den Staat zusammenzuhalten. Dazu kommen noch starke Sezessionsbewegungen im Süden und im Norden Jemens. Die nördliche Rebellion der zaiditschen Houthis leistet bewaffneten Widerstand und konnte angesichts der Machtkämpfe in Sanaa ihr Herrschaftsgebiet ausbauen. Die südliche, deren Zentrum in Aden liegt, leistet mehr politischen als bewaffneten Widerstand. Was jedoch einzelne Attentate nicht ausschliesst.
Al-Qa'eda führt einen Bombenkrieg
"Qa'eda auf der Arabischen Halbinsel", die ihre Zufluchtsstätte in den südlichen Wüste Jemens besitzt, wird von der jemenitischen Armee und mit ihr verbündeten Stämmen und von den Amerikanern bekämpft. Die Amerikaner setzen vor allem ihre umstrittenen Drohnen ein. Sie sind umstritten, weil ungewiss bleibt, wie viele unschuldige Opfer sie fordern. Die Qa'eda-Kämpfer haben zu Beginn dieses Jahres einige Städte in der südlichen Provinz Abyan verloren, wo sie versucht hatten ein eigenes Herrschaftsgebiet einzurichten. Seither betreiben sie einen ziemlich verheerenden Terrorkrieg mit Selbstmordbomben vor allem in Sanaa, der sich gegen die Polizisten und Soldaten der regulären Armee richtet.
Hoffnungen auf Versöhnung
Angesichts dieser immer noch höchst prekären Sicherheitslage scheint Präsident al-Hadi gezögert zu haben, den zweiten Teil des Übergangsprogrammes anzupacken, der mit dem Versöhnungsprozess beginnen sollte. Offenbar waren es die Sponsoren und Aussenmächte, die ihn dazu drängten, den Versöhnungskongress einzuberufen. Ihre Hoffnung scheint zu sein, dass dieser Kongress, falls er zu sich einem gemeinsamen Programm aller Beteiligten durchringen könnte, eine Art von politischer Autorität ausüben würde, welche die bewaffneten Streithähne der Pro- und der Anti-Saleh Faktion möglicherweise doch noch dazu veranlassen könnte, sich den Anordnungen der Übergangsregierung und des Übergangspräsidenten zu fügen.
Stützung durch den Sicherheitsrat
Jemen ist wirtschaftlich von den Aussenmächten abhängig. Ohne ihre Dollarspritzen wäre die Bevölkerung schlicht nicht mehr zu ernähren.
Nach der Bekanntgabe des Eröffnungstermins des Kongresses hat der Sicherheitsrat versucht, ihn zu stützen. Der Generalsekretär gab eine Erklärung ab, in der er jene Kräfte warnte, die versuchten, den geplanten Kongress zu behindern, dabei wurden Ali Saleh Abdullah sowie der Hauptpolitiker des Südens, Ali Salem al-Baidh, mit Namen genannt. Gegen solche Kräfte könnte die Uno, so der Generalsekretär, zu Sanktionen greifen.
Komplexe Zusammensetzung
Die Zusammensetzung des Versöhnungskongresses ist genau vorgeschrieben. Er soll 565 Abgeordnete umfassen, die auf die wichtigsten politischen Parteien und Parteiungen in festgelegten Zahlen verteilt werden sollen. Jede einzelne Delegation soll sich selbst konstituieren, jedoch derart, dass sie 50 Prozent Nord- und 50 Prozent Südjemeniten enthalten, sowie 30 Prozent Frauen und 20 Prozent "junge Leute". Der Kongress soll zwei Vorsitzende erhalten, einen aus dem Norden und einen aus dem Süden.
Umgehung der Vorgaben
Das Sekretariat hat die Listen der Teilnehmer von den verschiedenen Gruppen eingefordert. Sowohl die Südländer wie auch die Houthis des Nordens entsenden Delegationen. Doch nach den Aussagen des Sekretariates habe sich bisher nur eine einzige der beteiligten Gruppen, jene der kleinen Jemenitischen Sozialistischen Partei, an die Vorschriften für die innere Sitzverteilung gehalten.
Wenn der Fahrplan der Übergangsplanung eingehalten werden soll, müsste dieser Versöhnungskongress, als eine Art von Vorparlament mit seinen noch zu bildenden Arbeitsausschüssen bis zum kommenden Februar eine Verfassung formulieren und verabschieden sowie Wahlen vorbereiten, die dann im Frühling 2014 durchgeführt werden könnten.
Kann der Kongress Wunder vollbringen?
Um dies zu erreichen, müssten zwei Wunder geschehen. Die Abgeordneten des Kongresses müssten sich wirklich versöhnen und gemeinsam brauchbare Regeln aufstellen, und die bewaffneten Gruppen, welche die wahre Macht im Lande ausüben, müssten zusammenfinden, statt einander zu bedrohen und zu bekämpfen. Zurzeit gibt es mindestens fünf solcher Gruppen, deren Versöhnung und möglicherweise Zusammenschluss bisher missraten ist: Einmal die bewaffneten Anhänger des ehemaligen Präsidenten unter der Führung des Ex-Präsidenten selbst sowie seines Sohns und seiner Neffen. Ihnen gegenüber stehen die Soldaten und Offiziere Ali Muhsens und die mit ihnen verbündeten Stämme.
Diese beiden Gegner stehen im Zentrum des Landes. Dazu kommen in Aussenpositionen die südlichen und die nördlichen Aufständischen, plus die Qa'eda-Kämpfer und Selbstmordattentäter in den Wüsten des Südens.
Die Revolution marginalisiert
Der Versöhnungskongress müsste all diese Kräfte wieder in einen Staat integrieren. Die 20 Prozent "junge Leute", die den Regeln nach an dem Kongress teilnehmen sollten, waren gedacht als eine Konzession an die ursprünglichen Initianten der jemenitischen Revolution, die mit gewaltigen friedlichen Demonstrationen dieser "jungen Leute" begonnen hatte und fast zwei Jahre lang durchhielt. Dass sie jedoch wirklich mitreden könnten, glauben offenbar die wenigsten unter den jungen Revolutionären. Sie fühlen sich ausgeschlossen und übergangen von den politischen und militärischen Kräften, die das Land "schon immer" regierten. Sie hatten diese alten Machthaber denen sie, gewiss zu recht, Korruption vorwerfen, eigentlich absetzen wollen.