Jemen selbst liegt isoliert jenseits der grossen arabischen Wüste, die
das „Leere Viertel“ (der Arabischen Halbinsel) genannt wird. Es ist
mit seiner einzigartigen Eigenkultur nur gerade den wenigen Touristen
ein Begriff, die es einmal besucht haben.
Scham über Saudiarabiens Rolle?
Auch gibt es so viele Unglücksherde mit Krieg und Hungersnot, die
Welthilfe und Weltaufmerksamkeit verlangen, dass sie die Hilfswilligen
überfordern. Dazu kommt vielleicht auch ein bisschen Scham. Saudi
Arabien, der Staat, der am meisten tut, um Jemen zu Grunde zu richten, bringt der reichen, entwickelten Welt viel Geld ein und kauft ihre
Waffen für so viele Milliarden, dass niemand auf das gute Geschäft
verzichten mag.
Doch das dortige Geschehen verdient Aufmerksamkeit. Was gegenwärtig dort vorgeht, ist über den Einzelfall Jemen hinaus exemplarisch für die Bedrohungen, der jene Teile der Welt ausgesetzt sind, die am am üppigen Gastmahl der Globalisierung nicht teilhaben und stattdessen zunehmend dem Druck ausgesetzt sind, dieses Gastmahl der anderen zu beliefern. Das muss nicht, aber kann zum Zusammenbruch ihrer Staaten führen.
Die illusionären Bilder von der wohlhabenden Welt
Der erste Erschütterungsstoss, mit dem der Zusammenbruch einsetzen
kann, ist dadurch gegeben, dass ein Teil der Bevölkerung, jugendlich
und mindestens digital eingeschaltet und angeschlossen an Vorbilder
aus der wohlhabenden Aussenwelt, aufbegehrt. Er fordert eine Revision
der bestehenden Lebensbedingungen entsprechend Bildern und Vorbildern, die ihm von aussen zugespielt werden. Dabei konzentriert er sich auf Beseitigung des bisherigen, „Alten“, in der Illusion, dass sich sodann das erwünschte „Neue“ gewissermassen von selbst einstellen müsste.
Die Illusion kommt daher, dass das „Neue“, weitgehend über Bilder
suggeriert, als das „Normale“ dargestellt wird. Es erscheint als
gegeben, wie es die Fotos und Filme zeigen – warum nicht auch hier? Wo es (dort) doch normal ist. „Naturrecht gewissermassen“, so wird es gesehen, dem unsere Machtverhältnisse den Weg versperren. Dies ist eine Sicht, die den Blick darauf übergeht, was getan und erarbeitet werden muss, um bessere Lebensverhältnisse zu erreichen. Der Weg fällt weg, weil das Ziel, das als ein belebtes elektronisches Bild sichtbar geworden ist, als gegeben erscheint, wenn man nur die Scheidewand niederreisst, die uns von ihm trennt.
Phase eins: Gegen das alte Regime
Dies war Phase eins in Jemen: Massendemonstrationen gegen das
bisherige Regime, die in Sanaa und Taez von der Studentenschaft
ausgelöst und der Jugend vorangetragen wurden. Sie stiessen auf
Widerstand des Machthabers und seiner Klienten, wozu auch die
„staatlichen“ Sicherheitskräfte gehörten, die von Verwandten des
Machthabers kommandiert wurden.
Doch als bei der Niederhaltung der Demonstrationen zu viel Blut floss
(52 tote Demonstranten und gegen 2’000 Verletzte auf einen Schlag am
18. März 2011) spalteten sich die Sicherheitskräfte auf der Grundlage
lange zuvor bestehender Spannungen und Streitigkeiten der führenden
Offiziere in Einheiten für und solche gegen den Präsidenten und
Hauptmachthaber. Die Waffen tragenden Stämme teilten sich ebenfalls in zwei Fronten. Nach einer längeren Gärungsperiode von acht Monaten, nach der Verwundung des Staatschefs durch einen Bombenanschlag und einem ersten Eingreifen der Aussenwelt, Saudi Arabien und Uno, musste der alte Machthaber, Präsident Ali Abdullah Saleh, nach 33 Jahren der Herrschaft zurücktreten.
Wie soll es weiter gehn?
Das Ziel der Demonstranten schien erreicht, doch es war in Wirklichkeit nicht erreicht. Der Sturz des alten Machthabers führte nicht von sich selbst aus zum erwarteten Durchbruch zum neuen, besseren Leben. Die Uno trat als Geburtshelfer auf. Vizepräsident Abd Rabbo Mansur al-Hadi wurde als einziger Kandidat zum provisorischen Nachfolger des Präsidenten „gewählt“. Ein „Nationaler Dialog-Kongress“ wurde durchgeführt. Er dauerte beinahe zehn Monate lang. Die Jemeniten sollten darüber übereinkommen, wie ihre politische Zukunft aussehen solle und untereinander Kompromisse schliessen, die erlauben würden, gemeinsam den Weg in die Zukunft anzutreten.
Es gab aber viele Vorstellungen über diesen Weg – und Streit darüber, wer ihn zu bestimmen habe – aber kaum Kompromisse unter den beteiligten unterschiedlichen Kräften. Der Kongress schloss mit einem vielhundertseitigen Wunschkatalog, in dem die Begehren aller teilnehmenden Gruppen mehr oder weniger vollständig aufgezählt wurden.
Der Gegenzug des abgesetzten Präsidenten
Während die politisch Einflussreichen unter dem Vorsitz al-Hadis noch
darüber diskutierten, wie der Wunschkatalog in eine Verfassung
umgeschmiedet werden könne, verbündete sich der frühere, nun
abgesetzte Präsident mit einer bewaffneten Gruppe, die er als
Präsident bitter bekämpft hatte, den sogenannten Huthis. Diese,
zuhause an der nördlichen Grenze Jemens, werden nach ihrem führenden Klan benannt. Sie traten ursprünglich zu einer religiösen Gemeinschaft zusammen, um den zaiditischen Zweig des Schiismus neu zu beleben, die im Norden Jemens sehr alte historische Wurzeln aufweist.
Sie entwickelten sich jedoch durch die gegen sie geführten sechs Feldzüge des Staates während der Jahre 2004 bis 2009 zu einer Kampfpartei, der es in erster Linie um Machterwerb ging. Der Gründer der religiösen Bewegung, Hussein Badr ad-Din al-Huthi, war 2004 von der Regierungsarmeee erschossen worden. Sein Bruder, Abdel Malik al-Huthi, führt bis heute die Glaubenskämpfer an, die sich selbst nicht Huthis nennen sondern Ansar ul-Lah (Helfer, Parteigänger Gottes).
Aus Feind wird Verbündeter
Der Ex-Präsident wies jene Teile der gespaltenen Armee und der
Stammeskrieger, die zu ihm hielten, an, diesen Huthis zu helfen, statt
sie zu bekämpfen. Was sie in die Lage versetzte, im Sommer 2014 Sanaa, die Hauptstadt des Landes, in Besitz zu nehmen und sich danach über die meisten der dicht bewohnten Teile Jemens auszudehnen. Woraufhin sich der saudische Nachbarstaat einmischte und im März 2015 begann, Jemen zu bombardieren. Dies um zu erreichen, dass der von den Huthis abgesetzte Übergangspräsident, Abd Rabbo Mansur al-Hadi, wieder eingesetzt werde.
Der saudische Krieg gegen die Schiiten
Der Hauptgrund für den saudischen Eingriff war, dass das Königreich
argwöhnte, die Huthis würden von Iran unterstützt. Riad fürchtete,
eine Lage könnte entstehen, wie sie in Libanon vorliegt. Dort wirkt
der von Iran bewaffnete und unterstützte Hizbullah an der israelischen
Grenze als eine Bedrohung Israels.
Saudische Dauerbombardierung
Seit März 2015 haben die Bombardierungen immer angehalten, nun schon über zweieinhalb Jahre lang. Teile der jemenitischen Armee, die zu al-Hadi hielten, konnten mit der Hilfe Saudiarabiens und dessen
Verbündeter, in erster Linie der VAE, den südlichen Teil Jemens mit
der Stadt Aden in Besitz nehmen und die Huthis von dort vertreiben.
Diese Kräfte unternahmen auch Vorstösse Richtung Sanaa aus dem Süden sowie aus Positionen in den Wüsten des Ostens und auch von der saudischen Grenze aus.
Doch keiner davon konnte Sanaa erreichen. Die Huthis vermochten sich in grossen Teilen der dicht besiedelten Provinzen Jemens zu halten. Versöhnungsversuche der Uno scheiterten.
Seeblockade der Saudis und ihrer Verbündeten
Neben den beständigen Bombardierungen der gesamten jementitischen Infrastruktur schritten die Saudis und ihre Verbündeten zu einem weitgehenden Embargo zur See. Sie begründeten dies mit der Notwendigkeit, den Huthis die angeblichen Waffenimporte abzuschneiden, die diese aus Iran erhielten. Doch sie bewirkten durch diese Massnahme Teuerung und Nahrungsmangel in den Teilen des Landes, in denen die Hauptmasse seiner Bevölkerung lebt. Jemen war seit Jahrzehnten auf Getreideimporte aus dem Ausland angewiesen, um seine Bevölkerung zu ernähren. Sie wurden durch Erdölexporte finanziert.
Besetzung Südjemens
Im Süden Jemens konnten die Anhänger al-Hadis und ihre Helfer aus
Saudiarabien, der VAE und einigen anderen arabischen Staaten, die
sich Saudiarabien anschlossen, die Huthis zurückschlagen, weil die
lokale Bevölkerung zu ihnen hielt und sie mit ihren Bewaffneten
unterstützte. Dies war der Fall, weil die Südjemeniten, Sunniten, die
zaiditischen Huthis aus dem Norden Jemens als fremde Eroberer sahen, denen sie sich widersetzten. Der Zaidismus ist eine Variante des 12er Schiismus, dem Iran anhängt, steht jedoch dem Sunnismus näher als die Doktrin und Praxis der 12er Schiiten.
Unabhängigkeitsstreben in Südjemen
Doch der jemenitische Süden empfand sich als nicht nur von den Huthis unterdrückt, er sah auch das Regime von Sanaa, wie es unter Ali Abdullah Saleh bestand und sich unter al-Hadi fortsetzen würde, sollte er in Sanaa zur Macht kommen, als Ausbeuter und Unterdrücker der eigenen Landesteile. Die grosse Mehrheit der Südjemeniten fordern entweder einen eigenen Staat, wie er zwischen 1968 und 1990 bestand, oder ein eigenes autonomes Gebiet.
Diese Forderungen und Wünsche bewirkten, dass die Südjemeniten nach der Vertreibung der Huthis aus dem südlichen Landesteil nur sehr bedingt bereit waren, mit den Kräften al-Hadis zusammenzuarbeiten. Es kam zu Spannungen mit diesen und zur Entfernung südlicher Politiker und Kämpfer aus Positionen, die ihnen al-Hadi anfänglich, nach der Vertreibung der Huthis, gewährt hatte.
Aktionsbündnis mit den Truppen der VAE
Die Exponenten der südlichen Politik bildeten im Frühling 2017 einen „Südlichen Übergangsrat“. Sein Vorsitzender ist der ehemalige
Gouverneur von Aden, den al-Hadi entlassen hatte unter dem Vorwurf, er sei loyal gegenüber der Südlichen Bewegung, aber nicht gegenüber
al-Hadi. Dem Rat gehören auch die Gouverneure von sechs südlichen
Provinzen an, und nach seiner eigenen Darstellung regiert er, nicht
Präsident al-Hadi und dessen Regierung, den grössten Teil Südjemens.
In der Tat ist die Stadt Aden zwar offizielle Hauptstadt der Hadi-Regierung, solange in Sanaa die Huthis herrschen, doch al-Hadi selbst
hält sich vorsichtshalber lieber in Riad auf als in Aden. Wenn er
ausnahmsweise nach Aden kommt, soll er sein Hauptquartier auf einem
Schiff im Hafen beziehen.
Die VAE (Vereinigte Arabische Emirate) unterhalten eigene Truppen in Südjemen, unter anderem um den Hafen von Aden und den Flughafen abzusichern. Diese Truppen nennt man den „Sicherheitsgürtel“ (Security Belt). Sie sind in Südjemen verbündet mit dem Südlichen Übergangsrat, nicht mit den jemenitischen Truppen al-Hadis, obgleich die VAE zusammen mit Saudiarabien Krieg gegen die Huthis führen mit dem offiziellen Ziel, al-Hadi als Präsidenten nach Sanaa zurückzuführen.
Verschärfung durch den Streit zwischen den Saudis und Katar
Zu den Stützen al-Hadis im jemenitischen Bürgerkrieg gehört die
sogenannte Islah (Reform)-Partei. Islah ist eine sunnitische
politische Partei, in der die Tendenz der Muslimbrüder dominiert. Die
Herrscher der VAE sind bittere Feinde der Muslimbrüder. In Aden sind
jüngst die Kräfte des „Sicherheitsgürtels“ gegen die Parteilokale von
Islah vorgegangen. Sie zündeten sie an und nahmen elf der lokalen
Parteivorsitzenden gefangen. Acht wurden inzwischen wieder freigelassen.
Doch die Feindschaft wurde nicht beigelegt. Der Streit zwischen Saudiarabien und Qatar verschärft diese Gegensätze. Die VAE werfen Islah vor, er lasse sich – wie auch andere Muslimbrüder, welche die VAE „Terroristen“ nennen – von Qatar finanzieren und heimlich bewaffnen.
Neben dem „Südlichen Übergangsrat“ gibt es in Aden zahlreiche
unterschiedliche Kleingruppen, die alle Autonomie oder Unabhängigkeit
fordern und die seit 2007 sehr locker zu einer Bewegung zusammengeschlossen sind, die man „Hirak“ (Bewegung, oder Südliche Bewegung) nennt.
Untergrund-Opposition durch Kaida und IS
Im Süden wie im Norden Jemens spielen auch die radikalen Islamisten
eine Rolle, wobei ihre beiden einander konkurrierenden Hauptgruppen,
IS und al-Kaida, in lokalen Versionen vertreten sind. IS legt mit Vorliebe Bomben in Moscheen, die von den Huthis benützt werden, in denen jedoch auch, wie in Jemen üblich, Sunnis beten. Die Kaida-Filiale (AQAP, al-Kaida on the Arabian Penisula) führt Angriffe auf Rekrutierungszentren und Polizeiposten durch.
VAE Soldaten haben die AQAP Kämpfer aus der Hafenstadt Mukalla vertrieben, die diese fast ein Jahr lang beherrschten, jedoch kampflos räumten und sich in die Wüste zurückzogen. Amerikanische Drohnen, die von Djibouti aus eingesetzt werden, machen Jagd auf die Islamisten. Doch kommt es nicht selten vor, dass ihnen auch jemenitische Zivilisten zum Opfer fallen.
Lokales Ringen um Ta’ez
Weiter im Norden und schon im Gebirge liegt die drittgrösste Stadt
Jemens, Ta’ez. Dort hat sich ein lokaler Aufstand gegen die Huthis
erhoben und hält die Stadt unter schweren Opfern. Sie wird von den
Huthis belagert, welche die umgebenden Berge beherrschen, und den
Truppen al-Hadis ist es nie gelungen, die Stadt zu entsetzen, obgleich
sie einen Vormarsch dorthin vom Süden her unternahmen.
Es sind sunnitische Kreise, die Islah nahe stehen, die den Aufstand in Ta’ez gegen die Huthis auslösten und ihn bis heute aufrechterhalten.
Möglicherweise ist dies ein Grund dafür, dass die Truppen aus Südjemen, unter denen die VAE eine wichtige Rolle spielen, auf ein
energisches Vorgehen zum Entsatz der belagerten Stadt verzichten.
Vorstossversuche der Streitkräfte al-Hadis
Ebenfalls aus dem Süden wurde eine Offensive der Küstenebene entlang nach Norden ausgelöst. Ihr Ziel wäre die Hafenstadt Hodeida, der wichtigste Hafen für Sanaa und für ganz Zentraljemen. Doch auch diese Offensive steht still, und eine weitere Offensive der pro-Hadi-Truppen aus der östlichen Wüste Richtung Sanaa ist nach Anfangserfolgen ebenfalls nicht vorangekommen.
Zusammenbruch der Zentralbank
Der Haupteffekt der Dauerbombardierungen durch die saudische Luftwaffe scheint die immer fortschreitende Zerstörung der Infrastruktur Jemens zu sein. Ihre Wirkung wird dadurch verstärkt, dass auf der Seite der Huthis die Gelder und die Verwaltungsstrukturen fehlen, um
Reparaturarbeiten durchzuführen.
Die al-Hadi Regierung hat die Zentralbank von Jemen in Sanaa als
geschlossen erklärt und eine eigene Zentralbank in Aden eröffnet. Doch
dies hat nur dazu geführt, dass in beiden Städten das Bankwesen nicht
mehr funktioniert und dass der Staat – genauer die unterschiedlichen
Staatsfragmente – nicht mehr in der Lage sind, die Staatsbeamten zu
entlohnen. Es entstand ein Schwarzmarkt für Dollars, und die Lebensmittel, die zu grossen Teilen importiert werden müssen, stiegen
entsprechend im Preis.
Im Süden schiessen die Saudis und die Behörden der VAE Gelder zu. Doch auf der Seite der Huthis, wo die Hauptzahl der Jemeniten lebt, werden die Staatsangestellten seit Monaten nicht mehr bezahlt. Dies betrifft sowohl das Gesundheitswesen wie auch die Schulen. Lehrer und Ärzte, Krankenschwestern und Sanitätsfachleute arbeiten seit Monaten ohne Lohn. Um sich und ihre Familien zu ernähren, machten sie Schulden, solange sie Kredit erhielten.
Spitäler und Schulen wurden in vielen Fällen Opfer der Bombenangriffe. Es gibt Lehrer, die sagen, sie seien Soldaten geworden, sei es bei den Huthis, sei es auf Seiten al-Hadis, weil dies die einzige Möglichkeit sei, sich selbst und ihre Familien zu ernähren.
Streik der Lehrer
Als das Schuljahr im September beginnen sollte, wurde sein Anfang
zuerst um einen Monat verschoben, doch am 1. Oktober traten die
Lehrer in Streik, weil sie in den Landesteilen, die von den Huthis
beherrscht werden, seit einem Jahr oder seit längerer Zeit nicht
bezahlt worden waren. Nach UNICEF sind 78 Prozent aller Lehrer und
die 13’146 Schulen des Landes betroffen. 500 Schulen seien durch
Bombenangriffe zerstört worden. 4,5 Millionen Kinder gehen nicht mehr
zur Schule.
Die Huthis haben in Sanaa eine eigene Regierung gebildet. Der Minister für „Sport und Jugend“ dieser Regierung hat angeregt, die Schulen sollten ein Jahr lang geschlossen bleiben und alle Schüler und Lehrer sollten den Kämpfern der Huthis zu Hilfe kommen. Die kämpfenden Truppen könnten dadurch um Hunderttausende verstärkt werden. Dies, so meinte der Minister, werde gewiss zum Sieg der Huthis führen. Danach könne der Lehrbetrieb wieder aufgenommen werden.
Ein Drittel der Bevölkerung hungert
Die Zahl der offiziell registrierten Todesopfer durch die Bombardierungen seit März 2015 beläuft sich auf 8’650 Tote, wovon
1’550 Kinder waren. Beide Seiten setzen Kinder als Soldaten ein. Total
soll rund eine Million Staatsangestellter in den Huthi-Gebieten seit einem Jahr nicht mehr entlohnt worden sein. Ein Drittel der Bevölkerung Jemens hungere. Durch Bomben auf Spitäler und Schulen seien im vergangenen Jahr 683 Kinder umgekommen.
Weltweit schwerste Cholera Epidemie
Die Cholera-Epidemie, die im Oktober 2016 ausbrach und bis heute
andauert, ist eine Folge des Infrastruktur-Zusammenbruchs. Trinkwasser- und Abwasserversorgung sind davon betroffen. 13 Millionen der rund 27,5 Millionen Jemeniten sollen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Der schlechte Ernährungszustand vieler der Betroffenen spielt eine wichtige Rolle beim Verlauf der Krankheit. Die WHO zählte bis zum 30. September 2017: 771’945 Erkrankungen und 2’134 Todesfälle.
Ein neuer Schub von Erkrankungen war im vergangenen April festzustellen, nachdem die Kanalisation in Sanaa unter den Bomben
zusammengebrochen war. Es ist die schlimmste Cholera-Epidemie weltweit unter allen bisher bekannten. Die Gesundheitsfachleute, die sich nach wie vor aufopferungsvoll für die Pflege der Erkrankten einsetzen, sind seit zehn Monaten nicht mehr entlohnt worden. Überall fehlt es an Medikamenten und Pflegematerial.
Kriegswirtschaft und Organspenden als Geschäft
Eine „Kriegswirtschaft“ hat sich entwickelt, bei der es darum geht, für
den Nachschub und die Versorgung der kämpfenden Armeen zu sorgen und davon zu profitieren. Die Bewaffneten sind die letzten, denen die Mittel ausgehen, weil sie ihre Waffen gegenüber der Bevölkerung einsetzen, um ihren eigenen Unterhalt zu erpressen.
Es gibt Jemeniten, die ihre Körperteile verkaufen, um sich und ihre
Familien zu ernähren. Dies ist in Jemen nicht illegal. Die Operationen
werden in Kairo vorgenommen, weil Jemeniten dorthin kein Visum
brauchen. Für eine Niere erhält ein Opfer dieser Geschäfte 5’000
Dollar. Kuwaiter Kunden, die für die Transplantation nach Kairo kommen, sollen bis zu 50’000 Dollar bezahlen. Die Differenz geht in
die Tasche der Mittelsleute, die auch für die Beschaffung von Flugbillets und für Behandlung im Spital und Aufenthalt in Kairo aufkommen.
Den Schilderungen nach werden die Spender, bis zu 15 Personen zusammen, in Wohnungen in Kairo untergebracht und dort festgehalten, während die Voruntersuchungen laufen. Sie erhalten die
Weisung zu behaupten, ihre Organspende gehe an Verwandte.
Zurückgekehrte Spender werden oft verwendet, um neue Kandidaten
anzuwerben. Sie sollen 2’000 Dollar pro neu geworbene weitere Spender erhalten.
Gefährliches Altmetall aus Blindgängern
Eine andere, vielleicht noch gefährlichere, Aktivität im Zeichen der
„Kriegswirtschaft“ ist das Sammeln von Altmetall aus niedergegangenen Geschossen, Raketen und Minen. Manche davon sind noch scharfe Blindgänger und können die Sammler töten oder verletzen. Für ein Kilo Kupfer erhält man viereinhalb Dollar, ein Kilo Messing bringt dreieinhalb, ein Kilo Plastic bringt 8 Cents ein. Auch Kinder werden mit diesen Sammelarbeiten betraut. Den Hauptprofit machen die Zwischenhändler, die diese Materialien aufkaufen und einschmelzen.
Statistik des Elends
Der Tagelohn eines Arbeiters bewegt sich um anderthalb Dollar herum.
Ein Soldat kann mit fünf Dollar im Tag rechnen, spezialisierte Scharfschützen erhalten acht. Vor 2015 lebte die Hälfte der jemenitischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, gegenwärtig sind dies zwei Drittel geworden. Sieben Millionen Jemeniten wissen nicht, wann und wie sie ihre nächste Mahlzeit erhalten. Dreieinhalb Millionen Kleinkinder und sie nährende Mütter gelten als gefährlich unterernährt, was sich auf die zukünftige Entwicklung der Kinder auswirken wird. Im Jahr 2016 sind dies 56 Prozent mehr gewesen als im Vorjahr. Über 3,3 Millionen Jemeniten mussten der Bombardierungen wegen aus ihren und Häusern und Wohnorten fliehen.
Die Huthi-Saleh Allianz in der Krise
In Sanaa wachsen die Spannungen zwischen den Anhängern des
Ex-Präsidenten, Ali Abdullah Saleh, und den Huthis. Die Gefolgsleute
Salehs sind in der Partei des Ex-Präsidenten zusammengeschlossen, die sich „Volkskongress“ nennt. Er selbst dient gegenwärtig als Präsident dieser Partei. Die Partei fühlt sich ausgeschlossen aus der Huthi- Regierung, die sich ganz auf den Krieg konzentriert und deren
mächtigste Personen die Huthi-Anführer sind.
Umgekehrt argwöhnen die Huthis, dass Ali Abdullah Saleh versucht, mit Saudiarabien ins Geschäft zu kommen und sie zu verlassen, falls die Saudis bereit sein sollten, ihm oder seinem Sohn, General Ahmed Ali Abdullah Saleh, erneut die erste Stelle in Jemen zu überlassen. Mit Ali Abdullah Saleh würde natürlich auch jener Teil der jemenitischen Armee die Huthis im Stich lassen, der bisher an ihrer Seite gekämpft hat.
Zerstrittene Bündnispartner
Die Bevölkerung von Sanaa ist geteilt zwischen Zaiditen und Sunniten,
was zur Folge hat, dass beide Seiten in der Hauptstadt über ein grosses Gefolge verfügen. Beide demonstrieren getrennt und polemisieren gegeneinander. Was sie bis jetzt zusammenhält, dürfte in
erster Linie die Tatsache sein, dass die Saudis – vorläufig – nicht
bereit scheinen, den Wünschen des Ex-Präsidenten Gehör zu schenken. Doch je länger ein voller Erfolg für die saudische Koalition auf den Kriegsschauplätzen auf sich warten lässt, desto besser werden die Chancen für eine derartige Verständigung.