Die Uno-Vermittler hatten geglaubt, die Zustimmung beider Kriegsparteien für einen befristeten Waffenstillstand erhalten zu haben. Bis Ende des Ramadans am 17. Juli sollten die Waffen schweigen. Diese Kampfpause wäre für die Bevölkerung wichtig gewesen. Sie hätte es erlaubt, dringend benötigte Hilfsgüter ins Land zu transportieren. Diese stehen teils auf Schiffen, teils in Lagern in Djibouti jenseits des Roten Meers bereit, um in Jemen verteilt zu werden.
Die Uno hatte für Jemen die höchste Alarmstufe ausgerufen. Als hilfsbedürftig gelten mindestens zehn der 21 Millionen Jemeniten. Direkt vom Hunger bedroht sind dreieinhalb Millionen Menschen. Die meisten Spitäler und Kliniken funktionieren nicht mehr, weil es sowohl an Elektrizität und Treibstoff, aber auch an Medikamenten und medizinischem Hilfsmaterial fehlt. Die Spitäler dienten nur noch als "Herbergen", verlautet aus der Hauptstadt Sanaa.
Hilfe kommt nicht an
Der Mangel an Brennstoff und die Kämpfe verhinderten es bisher, dass die wenigen Hilfsgüter, die in den Häfen von Aden, Hodeida und anderen kleineren Anlagestellen gelagert sind, ins Landesinnere transportiert werden können. Saudi-Arabien und seine Verbündeten behindern kommerzielle Schiffstransporte. So wollen sie nach offizieller Lesart Waffentransporte nach Jemen verhindern. Die eingesetzten Waffeninspektoren arbeiten langsam und die Schiffe müssen lange warten, bis ihre Ladung gelöscht wird. Aus diesem Grund verzichten die meisten, jemenitische Häfen anzulaufen. Jemen hatte bisher von grossen Mengen importierten Weizens gelebt.
Die Versorgung mit Trinkwasser droht zusammenzubrechen, da Dieselöl fehlt, um die Pumpen zu betreiben. Krankheiten greifen um sich. Die schwächsten Teile der Bevölkerung, Kinder, Frauen, Alte, sind am meisten gefährdet.
Neue Luftangriffe
Schon vor dem angekündigten Waffenstillstand hatte der Chef der Huthis, Abdel Malek al-Huthi, in Sanaa über das Fernsehen erklärt, er glaube nicht, dass der Waffenstillstand eingehalten werde. Ein solcher habe auch keinen Sinn, solange es sich nur um eine vorübergehende Feuerpause handle. Was er und seine Partei wollten, sei ein völliges Ende der saudischen Bombenangriffe. Er verlange auch, dass Präsident al-Hadis auf sein Amt verzichte. Al-Hadi befindet sich im Exil in der saudischen Hauptstadt Riad. Saudi-Arabien meldete umgehend, die Huthis hätten dem von der Uno geforderten Waffenstillstand gar nicht zugestimmt.
Am Samstagmorgen erklärten Bewohner von Sanaa, die saudischen Luftangriffe seien über Nacht fortgesetzt worden. Auch Ziele am Stadtrand von Aden und in einzelnen Quartieren der Hafenstadt seien bombardiert worden. Die Kämpfe in Taez und in den Wüstengebieten des Jawf gingen weiter.
Keine Rücksicht auf die Bevölkerung
Beide Kriegsparteien nehmen keine Rücksicht auf die Bevölkerung. Beide wollen siegen um jeden Preis, und beide sind offensichtlich der Ansicht, sie könnten den Sieg erringen. Das wachsende Elend der Bevölkerung setzen beide als Druckmittel ein, um die Gegenseite zum Nachgeben zu zwingen. Die Saudis wollen die Huthis aus der Hauptstadt Sanaa vertreiben und den geflüchteten Präsidenten al-Hadi wieder im Amt einsetzen.
Demgegenüber kämpfen die Huthis dafür, dass die Saudis diese Ziele nicht erreichen. Sie haben die Hauptstadt Sanaa und die wichtigste Hafenstadt Hodeida in ihrer Gewalt, und sie bedrohen nach wie vor Aden und Taez. Bedeutende Teile der jemenitischen Armee kämpfen an ihrer Seite.
„Humanitäre Pause“
Für beide Seiten steht viel auf dem Spiel. Für die Saudis geht es um das Prestige des neu eingesetzten Königs, Salman, und seines Lieblingssohns, Mohammed. Er war von Salman zum Verteidigungsminister ernannt worden und ist verantwortlich für den Krieg in Jemen.
Die Huthis kontrollieren weite Gebiete im ganzen Land, mit Ausnahme der Wüsten im Innern. Um künftig eine führende Rolle in Jemen spielen zu können, wollen die Huthis diese Geländegewinne verteidigen und als Trümpfe ausspielen. Trotz den fast täglichen saudischen Bombenangriffen ist dies den Huthis bisher gelungen. Im Mai hatte die Uno eine fünftägige „humanitäre Pause“ erreicht. Eine solche wollten die Uno-Diplomaten jetzt – verlängert – wiederholen.
Die Islamisten profitieren
Die Amerikaner stehen auf der Seite Saudi-Arabiens. Sie liefern Waffen und leisten technische und logistische Hilfe für die Bombenangriffe. Ob und wie weit Iran in der Lage ist, den Huthis zu helfen, ist ungewiss. Propagandistisch steht Iran auf Seiten der Huthis, indem es die Angriffe der saudischen Koalition laut verurteilt. Doch ob Teheran den Huthis konkret hilft, ist unklar. Solange die Huthis allein standhalten, muss Iran, dessen Kräfte in Syrien und im Irak gebunden sind, in Jemen nicht eingreifen.
Alle Beteiligten, natürlich die Amerikaner und Saudis in erster Linie, wissen, dass Krieg und Not in Jemen die Macht und den Einfluss der radikalen Islamisten in Jemen fördern werden. Sowohl die Qaeda (Filiale al-Qaeda auf der arabischen Halbinsel, AQAP), wie auch deren Konkurrent, der „Islamische Staat“, sind beide in Jemen aktiv. Sie wachsen und gedeihen im Chaos des Bürgerkriegs. Beide sind in der Lage, Sympathisanten und verzweifelte Bevölkerungsschichten ins eigene Boot zu ziehen. Die islamistischen Kampfverbände mit ihren Waffen werden natürlich die Letzten sein, die unter Hunger zu leiden haben. Der Zusammenbruch der zivilen Gesellschaft kann ihnen nur nützen.
Unterwegs nach Somalia
Je länger der Krieg dauert, desto grösser wird die Gefahr, dass in Jemen ein zweites Somalia entsteht. Das heisst: ein
zusammen- und auseinandergebrochener Staat. Bewaffnete Gruppen ringen um die Vorherrschaft und kontrollieren einzelne Teile des Landes. Die Bevölkerung dieser Teilgebiete wird gezwungen, „ihre“ Kämpfer zu ernähren und für sie zu kämpfen. Einen solch zusammengebrochenen Staat wieder zusammenzufügen, braucht Jahrzehnte – und konstruktive Hilfe von aussen.