Schwierig zu entscheiden, was mehr verblüfft: schon vor Jahren die Zukunft richtig vorhergesehen zu haben – oder zuschauen müssen, wie immer wieder die schlechteste Variante gewählt wird. Konkret: Seit dem Fall UBS war klar, dass nur eine gemeinsame wehrhafte Strategie von Regierung und Finanzplatz das Schlimmste verhüten könnte.
Ceterum censeo
Leider muss man einleitend immer wiederholen: Nein, es geht weder um den Schutz noch die Verteidigung von Schwarzgeldbunkern in der Schweiz. Nein, es geht nicht darum, Untaten wie Beihilfe zu Steuerhinterziehung (im Ausland strafbar, in der Schweiz nicht) zu salvieren. Und nein, die unsägliche Heuchelei und der Rechtsimperialismus der USA sind zwar bemerkenswert, aber nichts Neues, nicht überraschend und vor allem kein Grund, sich auf Schweizer Seite so bescheuert wie nur irgend möglich zu verhalten.
Selbst nachdem der Bundesrat mit Notrecht und Rechtsbruch im Fall UBS einen Präzedenzfall geschaffen hatte, der dann vom Parlament nachträglich legitimiert wurde, war der Rechtsstaat Schweiz zwar lädiert, aber nicht erledigt.
Selbst nachdem die Lex USA, also die Lex Credit Suisse, letztes Jahr zwar vom Parlament abgeschmettert wurde, anschliessend aber als «Regierungsvereinbarung» wieder das Licht der Welt erblickte, hätte es noch Handlungsoptionen neben der völligen Kapitulation gegeben. Aber vorbei, verspielt, verstolpert.
Wie aus dem Lehrbuch
Den USA kann man viel vorwerfen, aber sie zerlegen den Finanzplatz Schweiz in einer Art zu Kleinholz, die ins Lehrbuch für «genauso macht man das» aufgenommen gehört. Exempel statuieren, Reaktion zur Kenntnis nehmen. Ein weiteres Dutzend Schweizer Banken in Geiselhaft nehmen, eine Geisel erschiessen. Reaktion zur Kenntnis nehmen, kurz, aber herzhaft lachen, weitermachen.
Die zweitgrösste Schweizer Bank CS, zwei Kantonalbanken mit Staatsgarantie und ein paar kleinere Banken auf die Streckbank legen, vielleicht muss man ja nochmal eine unwichtige Geisel erschiessen, Reaktion zur Kenntnis nehmen, laut und herzlich lachen. Zuschauen, wie mehr als hundert Schweizer Banken sich wie Opferlämmer in der Gruppe zwei einfinden. Also «freiwillig» und ohne den Rechtsweg zu beschreiten, eingestehen, Unrecht getan zu haben und gesenkten Hauptes gepfefferte Bussen ohne mögliche Gegenwehr erbitten. Sich die Lachtränen abwischen und weitermachen.
Und dann noch das Problem lösen, dass die Atombombe – Anklage gegen eine Bank selbst wegen «Verschwörung» – durch den sofortigen Verlust des Zugangs zur Dollarwelt zwar unschlagbar ist, jedoch leider nur einen Krater, aber keine zahlungsfähige Bank hinterlässt. Die Reaktion abwarten und sich am Boden wälzen vor lachen.
Und die Eidgenossen?
Rechtstaat verraten. Kunden verraten. Mitarbeiter verraten. Alles, was im Guten – und im Schlechten – den Finanzplatz Schweiz ausmachte, verraten. Selbstverständlich wurde das Bankkundengeheimnis missbraucht. Aber nicht nur, und das ist überhaupt kein Anlass, Grundwerte wie Vertragstreue, Tradition sowie die Sicherheit des Kunden, einem gegebenen Bankerwort vertrauen zu können, in den Wind zu schiessen. Wer jemandem, aus guten oder schlechten Motiven, sein Geld anvertraut, muss wenigstens sicher sein, dass sein Banker Vereinbarungen einhält, gegebene Versprechen notfalls unter Einsatz seiner Position, seiner Karriere verteidigt. Und sie ja nicht, niemals unter Beihilfe seines Staates sogar rückwirkend, bricht.
All das ist geschehen, lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Aber das Hirnrissige daran ist: Es hat nicht mal was genutzt. Das Bankgeheimnis ist faktisch pulverisiert, obwohl es rechtlich gesehen immer noch gültiges Gesetz wäre. «Globallösung» und «Weissgeldstrategie», schnell einmal eingeschrumpft auf eine «akzeptable Verhandlungslösung», ein Witz, aber ein schlechter. Wäre seit dem Fall UBS, seit 2009, überhaupt nicht verhandelt worden, das Ergebnis wäre nicht schlechter ausgefallen.
Kläglich
Kann man das noch toppen? Durchaus. In verständlichem Übermut verfolgen die USA weiterhin die Strategie: Stillstand ist doch Rückschritt. Wieso sollen wir uns mit dem zufriedengeben, was wir bei der UBS erreicht haben? Da geht doch noch mehr. Höhere Bussen, mehr Daten, und als Sahnehäubchen noch ein Schuldeingeständnis. Und wenn die Amis lustig sind, muss auf dem Matterhorn jeden Tag die US-Flagge gehisst werden. Oder die Verhandlungen des Bundesrats sollen gefälligst auf Englisch abgehalten werden, dann spart sich die NSA Übersetzer, die diesen komischen Dialekt verstehen müssen.
Und was tun die grossartigen Bankenlenker, die furchtbar viel Geld verdienen, weil sie furchtbar viel Verantwortung tragen, was eben nur die Besten ertragen, und das kostet halt? Sie spielen Karten. Sie kämpfen alleine darum, wer denn die Arschkarte gezeigt bekommt, also von seinem Posten zurücktreten muss. Kann das nicht ein Managing Director sein? Wenn nicht, dann halt ein Mitglied der Geschäftsleitung? Aber doch bitte nicht der CEO, ja nicht der VR-Präsident. Das wäre ein ganz falsches Signal.
Alle müssten zurücktreten. Der gesamte Verwaltungsrat, die gesamte Geschäftsleitung. Bei allen Banken, die in Gruppe eins oder zwei sind. Aber das wird nicht geschehen. Stattdessen gilt: jeder gegen jeden, und alle gegen die Kunden, die Mitarbeiter, die Bank. Das gehört auch ins Lehrbuch. Als historisch wohl einmaliges klägliches Versagen.