„Sowie nämlich die Arbeit verteilt zu werden anfängt, hat Jeder einen bestimmten ausschliesslichen Kreis der Tätigkeit, der ihm aufgedrängt wird, aus dem er nicht heraus kann; er ist Jäger, Fischer oder Hirt oder kritischer Kritiker und muss es bleiben, wenn er nicht die Mittel zum Leben verlieren will - während in der kommunistischen Gesellschaft, wo Jeder nicht einen ausschliesslichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.“
Das Internet der Dinge scheint heute eine ähnliche Vision zu befeuern. Jedenfalls zelebriert der Soziologe Jeremy Rifkin, bekannt für seine mit grosser Kelle angerührten Thesen, die sogenannte Null-Grenzkosten-Gesellschaft. Der Kapitalismus wird im Internet der Dinge implodieren. Warum? Weil erstmals das zentrale kapitalistische Axiom ausser Geltung gesetzt würde: Gesteigerte Produktivität verlangt mehr Arbeitskraft. Mit den neuen Technologien scheinen nun die Bedingungen gegeben zu sein, Marxens Vision Wirklichkeit werden zu lassen. An die Stelle des Kapitalismus tritt eine Gesellschaft des „kooperativen Gemeinguts“. Was wir konsumieren, produzieren wir selber, idealerweise mit 3D-Druckern. Die Grosskonzerne werden überflüssig. Alles wird sodann geteilt: Autos, Wohnungen, Essen, Werkzeuge, Wissen, Informationen – „Teilen ist Heilen“ heisst einer der Neusprech-Grundsätze des Technokonzerns „Circle“ in Dave Eggers gleichnamigem Roman. Er entwickelt immer totalitärere Züge.
Digitale Idylle, blanker Hohn
Das tun Utopien oft, wenn sie auf realen Grund laufen. Zwar gedeiht die Subkultur des Do-it-Yourself und des Teilens, aber man sollte nicht übersehen, dass sie oft unter den Zwangsbedingungen des Prekariats steht, des Verschwindens fester Anstellungen und Löhne. Rifkins Vision, dass der Mensch mit dem Internet der Dinge von der täglichen Plackerei befreit würde, um sich erfüllenderen Tätigkeiten zuzuwenden wie Schlager komponieren oder Orchideen züchten, kommt zu einer Zeit, da Roboter und Algorithmen zunehmend Menschen ersetzen und eine neue strukturelle Arbeitslosigkeit verursachen.
Die Leute, die sich von den rauen Bedingungen der Marktwirtschaft abkoppeln wollen, schaffen nicht selten noch rauere Bedingungen, unter denen das Teilen nicht einer befreienden Einsicht entspringt, sondern der steinharten finanziellen Not des Etwas-dazu-verdienens. Und angesichts solcher Verhältnisse klingt die digitale Idylle einer „teilenden“ Gesellschaft wie blanker Hohn. Schon sind Internetplattformen daran, aus dem Teilen ihre happigen Profite abzuschöpfen; wie etwa der Anbieter von Übernachtungsmöglichkeiten Airbnb. „Gig Economics“ nennt sich das, also: Ökonomie der Gelegenheitsjobs. Morgens Küchlein backen, nachmittags Taxidienst anbieten, abends eine Couch als Übernachtungsplatz vermieten.
Mit Marxens Jägern und Fischern hat das nichts zu tun. Wie die Journalistin Sue Halpern kürzlich die Idylle sarkastisch kommentiert: Fürs Jagen und Fischen bleibt kaum Zeit, es sei denn man jagt nach Gelegenheitsjobs oder fischt unter der geteilten Couch nach spärlichem Kleingeld, das einem Airbnb noch übrig lässt.