„Ob irgendwelche Nazi-Größen an Bord waren, ist nicht bekannt… Als der U-Boot-Kommandant, Kapitänleutnant Johann Heinrich Fehler, das Schiff verließ, beschwerte er sich bei Leutnant Charles Winslow (von der Küstenwache)… : ‚Ihre Männer haben uns wie Gangster behandelt!‘ Ein Dolmetscher übersetzte. Die Augen des amerikanischen Offiziers blitzten auf. ‚Das ist genau, was Sie sind! Gehen Sie!‘ Der deutsche Offizier ging schnellen Schrittes zum Dock… Er schien verärgert und den Tränen nahe“, berichtete die New York Times am 20. Mai 1945 über die Kapitulation von U-234.
Ausreichend für zwei Atombomben
Das Schiff, ein umgebauter Minenleger vom Typ XB, war mit seinen 22 000 t Wasserverdrängung eines der größten U-Boote der Reichsmarine. Die Ladung bestand neben Treibstoff und Verpflegung für sechs Monate aus rund 240 Tonnen Dokumenten und Kriegsmaterial, Quecksilber, Blei, die modernsten Zünder für Bomben, Flakmunition, eine zerlegte Messerschmitt Me 262, Turbinenteile von Junkers, eine HS-293 Gleitbombe (die nicht nur fällt, sondern ähnlich einem Segelflugzeug ohne Antrieb gleitet), 100 Leica-Kameras sowie Konstruktionspläne der Me 163 und Me 262, der V-1- und V-2-Raketen, von Zerstörern, U-Booten und sogar die Baupläne für eine Flugzeugfabrik. In zehn separaten Behältern waren 560 Kilo Uranoxid verstaut – ausreichend, um zwei Atombomben herzustellen. Es war bestimmt für die japanische Armee.
Auffallende Passagiere
Neben der Besatzung befanden sich einige illustre, hoch spezialisierte Mitreisende an Bord: zivile Düsen- und Raketen-Ingenieure von Messerschmidt und aus Peenemünde, Luftwaffen-Generalleutnant Ulrich Kessler, Fritz Sandrat, ein Flak-Experte, Dr. Heinz Schlicke, ein Radarspezialist, der über Geräusch und Elektrizität absorbierende Materialien (eine frühe Stealth-Technologie) geforscht hatte, zwei Offiziere der japanischen Marine, Hideo Tomonaga, ein führender U-Boot-Ingenieur, sowie Genzo Shoji, ein Flugzeugexperte. Beide hatten sich einige Zeit in Deutschland aufgehalten, um deutsche Waffentechnik zu studieren. Ebenfalls nach Tokio reiste Marine-Obergerichtsrat Kay Nieschling, der die deutsche Botschaft von den Resten des Spionagerings, den Stalins Meisterspion Richard Sorge aufgebaut hatte, säubern sollte, und der Marine-Flakoffizier Heinrich Hellendoorn, der 2011 seine Erinnerungen „Meine Marinezeit auf der Bismarck, Tirpitz und U 234“ publizierte. Nach einigen Reparaturen in Kristiansand setzte U-234 seine Fahrt fort, Ziel: Japan.
Hitlers Nachfolger gibt Befehl zur Kapitulation
Am 2. Mai, als die sowjetischen Truppen in Berlin einrückten, brach der Radiokontakt mit Nauen ab. Zwei Tage später konnte der Funker eine Meldung auffangen, wonach Admiral Dönitz Hitlers Nachfolger geworden war. Am 10. Mai fing er Dönitz‘ Befehl zur Kapitulation ab: „Meine U-Boot-Männer! Sechs Jahre Krieg liegen hinter uns. Sie haben wie Löwen gekämpft. Eine überwältigende materielle Überlegenheit hat uns in eine Ecke gedrängt, von der aus eine Weiterführung des Krieges nicht mehr länger möglich ist. Sie legen ihre Waffen nach einem heroischen Kampf ohne Parallele unbesiegt und unbescholten nieder. Stolz erinnern wir uns unserer gefallenen Kameraden… Lang lebe Deutschland!“
Diesem Aufruf folgten einige Instruktionen über die Vorgehensweise. Die U-Boote sollten aufgetaucht fahren und mit einer schwarzen oder dunkelblauen Flagge am Mast den nächsten Hafen der Alliierten anlaufen.
Zwei Selbstmorde
In einem späteren Interview erklärte der Zweite Offizier von U-234, Karl Ernst Pfaff, das Boot hätte sich zu jenem Zeitpunkt auf einer Position befunden, von wo sie entweder nach Großbritannien, nach Gibraltar, Kanada oder in die USA hätten fahren können. Fehler, der früher bei der Handelsmarine gefahren war, galt als „sehr demokratischer Skipper“, so Pfaff. Bei einer Abstimmung wünschte die Mehrzahl der Mannschaft, jene ohne Familie, Buenos Aires anzusteuern. Nach längerem Zögern entschloss Fehler jedoch, Kurs auf die USA zu nehmen. Als die japanischen Offiziere bemerkten, dass der Kommandant beabsichtigte, dem Befehl zur Kapitulation nachzukommen, informierten sie ihn über ihren Entschluss, Selbstmord zu begehen.
Vergeblich versuchte Fehler, sie von diesem Vorhaben abzubringen. „Doch die Beiden baten hartnäckig um die Erlaubnis, sich in ihre Kabine zurückziehen zu dürfen, was ihnen schließlich erlaubt wurde“, erzählte Pfaff in seinem Interview. „Eine Wache zog vor ihrer Kabine auf, und die Beiden nahmen eine Überdosis Luminol. 36 Stunden später waren sie sehr zum Verdruss der Mannschaft immer noch am Leben. Doch alle Versuche des Bordarztes, sie wieder zu wecken, scheiterten.“ Am 11. Mai wurden Tomonaga und Shiji schließlich mit allen militärischen Ehren der See übergeben.
Am 14. Mai um 23.30 Uhr übernahm ein Prisenkommando des Zerstörers USS Sutton 500 Meilen vor Cape Race in Neufundland U-234 und brachte das Boot zum Marinestützpunkt Portsmouth in New Hampshire. Die Ladung von U-234 alarmierte Washington. Japan war bei der Entwicklung einer Atombombe offensichtlich weiter als angenommen. In den Verhören japanischer Wissenschaftler nach dem Ende des Krieges wurden die amerikanischen Befürchtungen bestätigt. Nicht nur, dass Japan „am Problem der Kettenreaktion arbeitete“, wie es in einem Bericht der US Atomic Bomb Mission heißt. Im Frühjahr 1944 hatte die japanische Marine beschlossen, eine Uran-Bombe zu bauen und „die Arbeit mit den von der Armee durchgeführten Forschungen zu koordinieren.“
Die letzte Schlacht
Japans Marine wollte nicht einmal nach den beiden verheerenden Erfahrungen mit den Bombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki kapitulieren. Sie wollte sämtliche japanischen Physiker in Höhlen isolieren, wo sie Atombomben herstellen sollten. Bei den Verhören waren die Amerikaner beeindruckt von den Kenntnissen und vom Verständnis für die Probleme der Atomphysik ihrer japanischen Kollegen. „Die Japaner haben erstklassige Nuklearphysiker“, urteilte die Mission. „Ihr Nachteil war, dass sie über zu geringe Mittel verfügten, sie haben aber fundamentale Kenntnisse und sind fähig, brillante und originelle Arbeit zu leisten.“ Dabei übersahen die amerikanischen Besatzer zunächst die Bedeutung einiger unterirdischer Anlagen in Korea. In den Anlagen des Industriekonglomerats Nitchitsu in Kunan (in Zentralkorea) und in der Mandschurei war die Entwicklung der Atombombe intensiv vorangetrieben worden. Dort hatten die Japaner das notwendige Uranerz gefunden.
Diese Gebiete lagen allerdings nördlich des 38. Breitengrades und waren inzwischen von den sowjetischen Besatzungstruppen abgeriegelt worden. Zum Schutz der dortigen Anlagen hatten die Japaner das Gebiet um Konan zu einer wahren Festung ausgebaut. „Die Hamhung-Ebene“, hatte noch im November 1945 die letzte „Schlacht zwischen den Sowjets und den wiederorganisierten Resten der japanischen Streitkräfte in Korea, die nicht kapituliert hatten, gesehen“, heißt es in einer Intelligence Summary No. 14 vom 22. Juni 1946 der US-Streitkräfte in Korea. Demnach bauten die russischen Besatzer alle Nitchitsu-Industrieanlagen „besonders um Konan, Songjin und Churgchin“ ab und transportierten sie in die Sowjetunion. Die UdSSR riegelte das Gebiet weitläufig ab und ging bei der Geheimhaltung bis zum Äußersten. Wie die New York Times am 17. September 1945 berichtete, hatten sowjetische Yak-Kampfflugzeuge am 29. August sogar eine amerikanische B-29 abgeschossen, die Nahrungsmittel und Medikamente in ein alliiertes Kriegsgefangenenlager bringen wollte.
Die Japaner waren sehr weit
Doch die USA wussten mehr über die japanische A-Bombe. Beinahe fünfzig Jahre später veröffentlichte eine amerikanische Militär-Zeitschrift einen Artikel, in dem ein US-Offizier berichtete, Ende der vierziger Jahre in General MacArthur‘s Hauptquartier in Tokio ein „Diagramm der japanischen Atombombe“ gesehen zu haben. Drei „amerikanische Atom-Wissenschaftler“ untersuchten die Pläne. „Unsere Atom-Wissenschaftler waren wirklich schockiert, als sie feststellten, dass die Japaner beinahe gleichauf mit uns lagen.“ US-Offiziere, die mit den Untersuchungen befasst waren, wiesen in ihrer Antwort auf die Frage, warum die Japaner ihre Bombe dann nicht eingesetzt hätten, auf U-234 hin: „Sie warteten auf ein deutsches U-Boot, das Plutonium bringen sollte, das sich besser als Auslöser der Kettenreaktion eignet als das Uran, das sie hatten.“
Andere Zeugen, die im Korea-Krieg auf amerikanischer Seite gedient hatten, gaben in der Vergangenheit ähnliche Hinweise. So berichtete ein ehemaliger Luftwaffenchirurg von einem Flug, der ihn gemeinsam mit seinem Vorgesetzten über das Gebiet der nördlichen Küste Koreas geführt habe. Als sie über den inzwischen von den Sowjets demontierten ehemaligen Industriekomplex von Konan geflogen seien, habe ihm der Oberstleutnant erzählt, er habe Informationen, wonach die Japaner dort an einer Atombombe bearbeitet hätten. Sie hätten auch einen nuklearen Sprengkörper gebaut und zur Explosion gebracht. „Er war nicht so gut wie unserer“, habe der Oberst hinzugefügt. „Ich glaube nicht, dass wir jemals die ganze Wahrheit erfahren werden.“