Roger Bär aus der bekannten Bankiersfamilie war damals Botschafter der Schweiz in Japan und bei seinen Dinner-Einladungen war „Black Tie“ ein „Must“, ein Dress-Code, der mir als regionalem Vielflieger das Kofferpacken um einiges komplizierte.
Einmal gab er ein grosses Essen zu Ehren von Pierre Languetin, ehemaligem Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank und jetzt einflussreichem IKRK-Mitglied. Unter den Eingeladenen waren der frühere Ministerpräsident Yasuhiro Nakasone, Diplomaten und hohe Beamte des Gaimusho (Japans Aussenministerium) wie auch Prinz Konoé und Vizepräsident Koike vom Japanischen Roten Kreuz.
Ein imposanter Wandteppich von Le Corbusier hing über dem Sofa im Salon, wo ich mich mit Languetin unterhielt. Eben trafen die ersten Gäste ein, als der Botschafter plötzlich sehr blass und mit schockiertem Gesichtsausdruck vor uns stand – was war geschehen?
Statt dem ehrenwerten Vizepräsidenten Koike hatte seine Sekretärin die Einladung irrtümlicherweise einem anderen Träger dieses in Japan sehr populären Namens zukommen lassen. Schlimmer noch, es handelte sich ausgerechnet um einen Koike von eher dubiosem Ruf. Sein typischer Clark-Gable-Schnurrbart, sonst vor allem bei Mitgliedern und Sympathisanten des Unterwelt-Syndikats Yakuza in Mode, war ein augenfälliger Hinweis auf entsprechende Verbindungen.
Offenbar war er im Waffenhandel tätig, denn in der Botschaftskartei figurierte er dank seiner Geschäftsbeziehungen mit dem Zürcher Waffenproduzenten Bührle. Zu allem Überfluss war der falsche Koike auch noch im weissen Seiden-Smoking mit rotem Schlips erschienen, ein Graus für unseren Etikette-fixierten Gastgeber.
„Was soll ich nur tun?“, flüsterte er uns fragend zu, „ich habe wohl keine Wahl als den ungebetenen Gast zum Gehen zu bewegen … Was meinen Sie?“ „Cher Monsieur l’Ambassadeur, on ne répare pas une faute en commentant une autre“, war Languetins kühler Kommentar; nein, ein zusätzlicher Fauxpas macht einen solchen Lapsus nicht wieder gut. Meinerseits liess ich darauf meinen Gastgeber ganz beiläufig wissen, dass ich Dieter Bührle von meiner Militärzeit her kannte, ohne allerdings zu präzisieren, dass ich lediglich sein Chauffeur war. Mein Angebot, mich persönlich um den Waffenhändler zu kümmern, quittierte Bär darauf mit einem Seufzer der Erleichterung und er schlug vor, uns zwei am äussersten Tischende zu platzieren, wo ich mich am besten darum kümmern könnte, dass der Paria niemandem ins Fettnäpfchen trat.
„Kein Problem, Ihre Exzellenz, überhaupt kein Problem!“
Mittlerweile hatte offensichtlich auch Prinz Konoé begriffen, was da in etwa ablief und warum sein Vizepräsident nicht am Tisch sass. Jedenfalls hob er andeutungsweise sein Glas mit einem der wohl diskretesten bei einem japanischen Aristokraten vorstellbaren Lächeln. Währenddessen konnte der Gast aus dem anrüchigen Milieu sein Glück kaum fassen, in solch illustrer Gesellschaft des diplomatischen und kaiserlichen Establishments zu dinieren. Er war daher in allerbester Laune und zeigte sich als einigermassen gesitteter und gewandter Mann von Welt – kurzum, der Abend war ein voller Erfolg.