Die Saubermacher hat es kalt erwischt. Die norditalienische Lega Nord zeigt ihre hässliche Fratze. In der Führungscrew schiesst jeder gegen jeden. Einstige Parteifreunde verpfeifen sich, stochern im Privatleben der andern. Sogar ein Privatdetektiv wird eingesetzt. Es geht um Diamanten und chice Autos, um Goldbarren und teure Wohnungen. Es geht um Doktortitel und Schmiergelder, um Korruption und die kalabresische N’drangheta. Vor allem aber geht es um die Veruntreuung von Steuer-Millionen.
„Wir sind die einzig ehrliche Partei in Italien“, sagte einst Umberto Bossi, der charismatische Gründer der norditalienischen Lega Nord. „In der Römer Regierung sitzen Gangster, die unsere Steuergelder verschleudern“. Im Norden würde hart gearbeitet, in Mittel- und Süditalien sei die Mafia am Werk. Deshalb möchte Bossi Norditalien von Italien abtrennen und seinen Staat „Padania“ nennen.
Die Ereignisse überschlagen sich
Mit viel Pathos betonte die Lega immer wieder ihre Werte: Würde und Korrektheit, Ehre und Ehrlichkeit. In der Römer Regierung hingegen würden Diebe sitzen, sagt die Lega: „Roma Ladrona“, das diebische Rom.
Und jetzt dies: Auf einer Brücke in Caorle in der Provinz Venedig steht plötzlich das Graffito: „Padania Ladrona“: das diebische Padanien.
Die Ereignisse überschlagen sich. Anfang April wird bekannt, dass die Staatsanwaltschaft gegen Bossi ermittelt. Seine Villa in Gemonio bei Varese wurde für mehrere hunderttausend Euro renoviert und ausgebaut. Laut Staatsanwaltschaft stammt das Geld aus veruntreuten Steuereinnahmen.
Verkehrsbussen mit Steuergeldern bezahlt
Kurz darauf wird bekannt, dass Renzo Bossi, ein Sohn des Parteigründers, einen Audi A6 und einen Smart fährt. Er hat es zum Lokalpolitiker gebracht und wurde von seinem Vater als sein Nachfolger aufgebaut. Mit einer Bancomat-Karte der Partei hat er Geld abgehoben. Damit bezahlte er Benzin, Besuche in Nachlokalen und sogar Verkehrsbussen.
Riccardo, ein anderer Sohn Bossis, fuhr einen BMW X5, bezahlt von der Partei. Die Lega ist es auch, die sein Haus in Brescia finanziert. Riccardo soll zudem einen Doktortitel einer englischen Privatuniversität erkauft haben.
Dann wird bekannt, dass Bossis Ehefrau 18 Häuser und Wohnungen besitzt. Woher stammt das Geld?
600‘000 Euro für Gold und Diamanten
Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft sind hart: Jede italienische Partei erhält aus Steuergeldern viele Millionen Euro, um Wahlkämpfe zu bestreiten. Mit diesen staatlichen Beiträgen will man verhindern, dass die Lobbys allzu grossen Einfluss auf die Parteien nehmen können. 3,5 Millionen Euro solcher Steuergelder wurden – so die Anklage - für private Zwecke der Familie Bossi und der Partei abgezweigt. Doch vielleicht sind es viel mehr.
Sündenbock Nummer eins ist der Schatzmeister der Lega, Francesco Belsito. Er ist sofort zurückgetreten. Kurz darauf trat auch Bossi als Parteisekretär zurück. Belsito hat zugegeben, die Transaktionen getätigt und das Geld veruntreut zu haben. Ihm werden Verbindungen zur N’drangehta vorgeworfen. In Tansania und Zypern soll Belsitio für die Partei Schwarzgeld deponiert und waghalsige Investitionen getätigt haben.
Die Staatsanwaltschaft fand heraus, dass Belsito für 600‘000 Euro Diamanten und Goldbarren gekauft hat. Fünf Kilo Gold und elf Diamanten im Wert von 300‘000 Euro behielt der Schatzmeister für sich. Und wo sind die übrigen 300‘000?
Im Schussfeld: die höchste Politikerin des Landes
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Lega-Senator Piergiorgio Stiffoni, Ex-Schatzmeister der Partei, Gold und Diamanten im Wert von 200‘000 Euro erhalten hat. Und die restlichen 100‘000?
Ins Schussfeld geriet schnell die ranghöchste Politikern des Landes: Rosy Mauro, Vizepräsidentin des italienischen Senats und feurige Lega-Vertreterin. Sie gelangte im vergangenen Dezember in den Besitz von Diamanten im Wert von 100‘000 Euro. Rosy Mauro sagt, sie habe die Steine aus dem eigenen Ersparten gekauft. Das glaubt ihr nicht einmal die Lega. Sonst wäre sie nicht subito aus der Partei ausgeschlossen worden. Sie weigert sich noch immer, das Amt der Senatsvizepräsidentin abzugeben und sieht sich als Opfer.
Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft auch wegen zwei Wohnungen, die Rosy Mauro in Arzachena in Sardinien gekauft hat. Sie soll auch in Gemonio, am Wohnort von Bossi, eine Wohnung gekauft haben. Auch sie soll ihren Doktortitel gekauft haben. Woher stammte das Geld?
Francesco Belsito hat am Mittwoch das Gold und die Diamanten, die er für sich abgezweigt hatte, der Partei zurückgegeben.
Schwere Vorwürfe gegen die Nummer zwei
Nicht genug der Schlammschlacht: Jetzt gerät die Nummer zwei der Lega, Roberto Maroni, in die Kritik. Das Magazin Panorama veröffentlicht schwere Vorwürfe gegen ihn. Wieder geht es um die Abzweigung von Parteigeldern und um Schmiergeldzahlungen. Diesmal an eine multinationale Firma in Libyen. Zudem sollen drei Schiffe, die Maroni gehören sollen, auf suspekte Art finanziert worden sein.
Maroni, einer der populärsten Lega-Politiker, weist die Vorwürfe wütend zurück. Er vermutet, dass er von höchster Lega-Stelle in den Schmutz gezogen wird. Fest steht, dass ein Privatdetektiv auf Maroni angesetzt wurde. „Wenn die Schuldigen nicht aus der Partei hinausgeworfen werden, werde ich selbst gehen“, sagte er.
Nicht auszuschliessen ist, dass Maroni Opfer einer Kampagne gegen ihn ist. Er besitzt in der Partei viele Feinde. Seit längerem versucht er, am Stuhl von Bossi zu sägen. Jetzt herrscht Eiszeit zwischen den beiden. Ein klärendes Gespräch zwischen Bossi und Maroni, das am Donnerstag hätte stattfinden sollen, fand nicht statt. Bossi war unabkömmlich. Immerhin liess er verlauten, er habe nichts von einem Privatdetektiv gewusst.
Vorwürfe gegen die Nummer drei
Streit gibt es auch zwischen Maroni und der Nummer drei der Partei: Roberto Calderoli. Auch er ist jetzt ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten. Calderoli, einer der unangenehmsten Scharfmacher der Lega, wohnt in einer Attika-Wohnung an bester Lage in Rom. Die Miete von 2‘200 Franken zahlt die Partei. Calderoli verteidigt sich: Die Wohnung habe ihm die Partei als „Wohn-Büro“ zur Verfügung gestellt. Zudem zahle er monatlich 3‘000 Euro Parteibeiträge.
Und noch dies: Am Donnerstag wurde bekannt, dass Marco Reguzzoni, ein weiterer Lega-Spitzenpolitiker, mit der Kreditkarte der Partei 90‘000 Euro Spesengelder ausgegeben hat.
„Wenn es so weitergeht“, sagt Gian Paolo Gobbo, ein venezianischer Spitzenpolitiker der Lega „brechen wir zusammen, sterben wir. Dann schicken sie uns alle nach Hause“. Und der Lega-Europarlamentarier Francesco Speroni sagt „Früher waren wir uns alle einig, heute sind wir ein Nest voller Vipern“.
Bossi: Von allem nichts gewusst?
Nicht nur Belsito, Bossi und sein Sohn Renzo sind zurückgetreten. Inzwischen erwischte es auch Davide Boni, den Präsidenten des lombardischen Regionalrates und Monica Rizzi, die „Babysitterin“ von Sohn Renzo und Lega-Referentin.
Bossi gibt sich als Unschuldslamm: „Ich habe von nichts gewusst“. An einer Krisensitzung letzte Woche in Bergamo hatte er Tränen in den Augen. Er könne sich das alles nicht erklären, er habe nie einen Euro veruntreut. In Italien gibt es zurzeit nur wenige, die ihm das glauben.
Weiss er nicht, wie seine Frau all ihre Häuser finanziert? Weiss ein Hausbesitzer nicht, woher die 600‘000 Euro für die Renovation des eigenen Hauses stammen? Weiss er nicht, was seine Söhne treiben?
„Ich habe in meinem Sekretariat nachgefragt, wieso sie mir nichts über das Treiben meiner Söhne erzählt haben“, erklärt er jetzt. „Man antwortete mir, man habe mir nicht weh tun wollen“. Sollte Bossi wirklich nichts gewusst haben, dann ist er aussergewöhnlich naiv und fahrlässig. Taugen solche Leute für ein verantwortungsvolles politisches Amt? Als Naivling war er bisher nicht aufgefallen.
Die Jungen laufen der Partei davon
Die Partei befindet sich in einer dramatischen Situation. Zerbricht sie? Schon gibt es Abspaltungserscheinungen, vor allem in der Region Venetien. Im Mai finden in Italien Gemeindewahlen statt. Wird die Lega dann einbrechen?
Seit längerem befindet sich die Partei im Sinkflug. Das Gepolter ihrer Führer kommt immer weniger an. Die internen Streitereien bestehen seit Jahren. Immer wieder hat die Partei ihre Strategie und ihre Richtung geändert. Bei den Europa-Wahlen im Juni 2009 erreichte die Partei ihr bestes Ergebnis mit zehn Prozent der Stimmen. Seither geht es langsam bergab. Eine im Corriere della sera veröffentlichte Meinungsumfrage sieht die Lega heute bei gut sechs Prozent. Alarmierend für die Partei ist, dass ihr die Jungen und die Arbeiter davonlaufen. Selbst die Stammkundschaft der Lega, die Pensionierten, beginnt abzuwandern.
Krank und angeschlagen
Kann die Lega die Skandale verdauen und neu beginnen? Alles wird davon abhängen, wer die Partei führen wird. Der neue Parteichef soll auf einem Parteitag Ende Juni erkoren werden.
Das Parteikader ist im Moment derart zerstritten, dass man sich kaum auf einen der Spitzenpolitiker als Nachfolger von Bossi einigen kann. Alle haben ihre eingefleischten Feinde. Maroni zum Beispiel ist nie auf der Titelseite des Parteiblattes „Padania“ erwähnt worden. Die „Bossianer“ haben es verhindert.
Folgt auf Bossi also Bossi? Wird er wieder kandidieren? „Ich weiss es nicht“, sagte er am Donnerstag der Zeitung La Repubblica. Bossi ist 70, gesundheitlich schwer angeschlagen und seit längerem umstritten. Ob er nun von den Betrügereien gewusst hat oder nicht – die Skandale lasten schwer auf ihm. Und er, der kranke Mann, der seine Partei nicht im Griff hatte, soll jetzt der neue Hoffnungsträger sein?
80 Prozent der Italiener glauben laut dem Corriere della sera nicht, dass die Lega aus ihrem Schlamassel herausfindet. Ein Nest voller Vipern?