Wer im Zeitalter des Individualismus etwas auf sich hält, muss sich profilieren. Man will wenn immer möglich nicht zum Mainstream gehören. Mainstream - schon wieder so ein Mode-Anglizismus - heisst ursprünglich ganz unschuldig so viel wie Hauptstrom. Inzwischen ist es zum vorwiegend negativ angehauchten Synonym für Massengeschmack, Mehrheitsmeinung, Konformität geworden. Auch das Journal21 erklärt, man wolle „nicht im Mainstream schwimmen“.
Profilierung in Ehren, aber nicht bei jedem Mainstream ist zwangsläufig ein abschätziges Urteil am Platz. In der Politik zum Beispiel ist das ein durchaus schillernder Begriff, der sowohl für positive als auch für negative Entwicklungen stehen kann. Wer die Behauptung vertritt, die Mehrheit – oder eben der Mainstream - der Schweizer Stimmbürger treffe regelmässig hoffnungslos hinterwäldlerische, irregeleitete, ahnungslose oder destruktive Entscheidungen, dem steht das in einer offenen Gesellschaft natürlich frei. Doch darf man sich nicht wundern, wenn solche Meinungen nicht nur vom Mainstream als ziemlich abstrus und realitätsfern bewertet werden.
Damit soll keineswegs gesagt sein, in einer Demokratie bewege sich der Mainstream immer auf dem richtigen Pfad. Man denke nur an die Machtergreifung Hitlers im Jahre 1933, die ja mit einer zumindest formal gewählten Parlamentsmehrheit zustande gekommen war. Eine Gesellschaft, die keine Rücksichten auf Minderheiten und Abweichler garantiert und praktiziert, ist bei weitem keine solide Demokratie, sondern im schlechten Sinne des Wortes eine „Diktatur der Mehrheit“, von der schon Tocqueville gewarnt hat.
Doch auch die notorischen Nichtschwimmer im Mainstream, die Querdenker und Nonkonformisten sollten nicht automatisch höhere Gütezeichen für sich in Anspruch nehmen. Bei allem grundsätzlichen Respekt für Abweichler und Mainstream-Kritiker – solche Haltungen können auch zum blossen Reflex oder zum kühl kalkulierten Marketing in eigener Sache degenerieren. Es fehlt nicht an Beispielen.
Ja, Mainstream ist ein ebenso schillernder wie vager Begriff. Wer mit ihm operiert, kann allein damit noch keine überzeugenden Werturteile begründen. Er muss ihn von Fall zu Fall mit konkreten Fakten beschweren.