Damaskus meldet – und Israel streitet nicht ab, sondern bestätigt in Andeutungen –, dass in der Nacht auf den 27. April um 3 Uhr 24 morgens Luftangriffe mit fünf Schlägen auf Teile des Internationalen Flughafens von Damaskus durchgeführt wurden. Es gab grosse Brände und Explosionen, die in Damaskus, etwa 25 Kilometer vom Flughafen entfernt, gesehen und als Erschütterungen gespürt werden konnten. Die Agentur Reuter will von Sicherheitskreisen in Damaskus erfahren haben, dass ein Teil des Flughafens bombardiert wurde, den die iranischen Truppen und Hizbullah benützen. Ziele seien Depots von Waffen und Munition gewesen, die für Hizbullah bestimmt waren. Verluste an Menschenleben wurden nicht gemeldet.
Routine-Eingriffe Israels
Die Ereignisse gehören in den Zusammenhang der seit langer Zeit bestehenden Massnahmen der israelischen Luftwaffe. Sie versucht regelmässig Waffenlieferungen, die aus Iran nach Syrien transportiert oder eingeflogen werden und die für den libanesischen Hizbullah bestimmt sind, abzufangen und zu zerstören. Dies gelingt ihr oftmals. Ob und wie viele andere Waffentransporte dennoch durchkommen und den Hizbullah in Libanon erreichen, ist nicht bekannt.
Die Israeli selbst stellen gelegentlich fest und veröffentlichen auch ihre Befunde, dass das Arsenal von Raketen, über die der Hizbullah an der libanesisch-israelischen Grenze verfügt, quantitativ und qualitativ wächst. Dies lässt darauf schliessen, dass die israelische Luftwaffe nur einen Teil der iranischen Waffen, die über Syrien nach Südlibanon gelangen, abfangen und zerstören kann.
Keine syrischen Gegenmassnahmen
In der Vergangenheit hatte Syrien vermieden, auf die israelischen Eingriffe zu reagieren. Die Überlegenheit der israelischen Luftwaffe war zu gross, um der syrischen zu erlauben, sich ihr entgegenzustellen. Doch am vergangenen 16. März setzte die syrische Luftabwehr zum ersten Mal Raketen gegen israelische Kampfflugzeuge ein, welche im Raum von Palmyra operierten. Die Israelis gingen auch diesmal gegen iranische Waffentransporte zugunsten Hizbullahs vor. Die syrischen Geschosse verfehlten ihre Ziele. Eine der Raketen erreichte Israel und wurde dort abgefangen, ohne Schaden anzurichten.
Diese Kampfhandlungen veranlassten die Israelis dazu, das bisherige Schweigen zu brechen, das die Militärzensur normalerweise auch der israelischen Presse befiehlt. Zweck dieses Stillschweigens dürfte in erster Linie sein, unnötige Beschämung in Damaskus zu vermeiden. Diese könnte dazu führen, dass sich Damaskus gezwungen glaubt, trotz seiner Unterlegenheit gegen Israel zurückzuschlagen.
Im Gegensatz zum 16. März hat Damaskus diesmal zwar den israelischen Angriff gemeldet, aber offenbar kein weiteres Mal versucht, seine Luftabwehr gegen den israelischen Angriff einzusetzen. Die Israeli haben dies honoriert, indem sie sich ihrerseits, im Gegensatz zu ihrer Haltung am 16. März, an die bisher geübten Konventionen hielten. Will heissen, Israel vermied es, offiziell und unmissverständlich die Verantwortung für den Luftangriff zu übernehmen.
Neue Lage durch die Präsenz der Russen
Beide Seiten, Syrien und Israel, sind also nach dem Ausnahmefall des 16. März zu den bisherigen Konventionen des Stillschweigens zurückgekehrt, wie sie seit Jahren inbezug auf die iranischen Waffenlieferungen für Hizbullah und die israelischen Gegenmassnahmen bestanden.
Dennoch darf man nicht übersehen, dass sich die Lage in Syrien durch die Präsenz der russischen Luftwaffe und des russischen Luftabwehrnetzes mit seinen Radaranlagen und Lenkwaffen grundlegend geändert hat. Die Fachleute sagen, das russische Radarnetz über Syrien reiche über ganz Israel hinweg bis nach Eilat. Allerdings merken andere an, es sei denkbar, dass die Israeli elektronische Methoden entwickelt hätten, die ihnen erlaubten, für das russische Radar unsichtbar zu bleiben. Fest steht, dass die Israeli angesichts der Präsenz der Russen mit sehr viel weiter entwickelten Überwachungs- und Abfangmethoden rechnen müssen, als sie vor Ende März 2015, dem Zeitpunkt des russischen Eingreifens in Syrien, bestanden.
Direkter Draht zwischen Russland und Israel
Die israelische Politik und Diplomatie trägt dem Rechnung. Ministerpräsident Netanyahu hat persönlich Russland fünf Mal besucht, seitdem die Russen in Syrien auftauchten. Am Tag vor dem jüngsten Angriff auf den Flughafen von Damaskus befand sich Verteidigungsminister Avigdor Lieberman in Moskau und konferierte mit seinem russischen Kollegen Shoigu sowie mit Aussenminister Lawrow. Die Lage in Syrien war Gegenstand der Gespräche. Nach deren Abschluss erklärte Lieberman, Israel werde nicht zulassen, dass iranische oder Hizbullah-Kräfte an den Golangrenzen konzentriert würden.
Im Herbst 2016 hatten Israel und Russland ein Abkommen geschlossen, um gegenseitige Konflikte zu vermeiden. Dies sieht gegenseitige Information über Luftaktionen im syrischen Grenzraum zu Israel vor. Russland hat kein Interesse daran, seine Syrien-Aktion weiter auszudehnen und sie sowohl politisch wie militärisch durch einen Konflikt mit Israel zusätzlich zu belasten. Israel will natürlich ebenfalls einen Konflikt mit der Grossmacht Russland vermeiden.
Doch gleichzeitig besteht Israel darauf, dass Iran und Hizbullah, beide Verbündete Russlands im Syrienkrieg, soweit möglich von der israelischen Luftwaffe gezügelt und unter Kontrolle gehalten werden. Israel will insbesondere verhindern, dass die Arsenale der Hizbullah-Miliz an der israelischen Grenze mit Waffen aufgestockt werden, die Israel gefährlich werden könnten.
Unterschiedliche russische und iranische Ziele
Ob und inwieweit in dem Abkommen zwischen Israel und Russland die Möglichkeit israelischer Eingriffe gegen Waffentransporte aus Iran über Syrien für Hizbullah direkt angesprochen wird, weiss man nicht. Klar ist einzig, dass im Bereich dieser Fragen wie auch in anderen, welche die Syrienpolitik angehen, die Interessen Russlands und jene Irans divergieren. Wobei man vielleicht anmerken muss, dass die Interessen Irans in der Syrienpolitik von den Revolutionswächtern definiert und festgelegt werden, nicht von der Regierung des Präsidenten Ruhani.
Iran geht es bei seinem militärischen Einsatz für das syrische Regime darum, dass dieses weiterhin die Kanäle offenhält, auf denen Iran dem Hizbullah Waffen zuspielt. Dem Iran der Revolutionswächter und Khameneis dürfte es in Syrien auch darum gehen zu verhindern, dass der Rivale Irans, Saudi Arabien, seine politischen Ziele in Syrien erreicht. Die Saudis erstreben die Herauslösung Syriens aus dem Einflussbereich Irans und die Rückkehr des Landes unter ein sunnitisch akzentuiertes Regime.
Den Russen geht es darum, ihre Aktion in Syrien abzuschliessen und deren Gewinn festzuschreiben, indem ein russlandfreundliches und stabiles syrisches Regime errichtet und abgesichert wird. Die Brückenfunktion Syriens zwischen Iran und Hizbullah ist für die russische Zielsetzung eher eine Belastung als ein Vorteil, weil sie unvermeidlich Israel in die Syrien-Frage mit einbezieht und dadurch die Stabilität von Damaskus gefährdet. Für die Stabilität des Damaskusregimes wäre auch wichtig, dass die Mehrheitsbevölkerung der Sunniten in Syrien dazu gebracht wird, ihren alavitischen Machthaber als einigermassen legitim anzuerkennen. Dies ist aber schwer denkbar, solange Iran in Damaskus einen führenden Einfluss ausübt.
Im Sog des syrischen Endspiels
Die israelischen Attacken gegen Syrien haben in den letzten Monaten an Intensität zugelegt. Der jüngste auf den Internationalen Flughafen von Damaskus dürfte der schwerste Schlag sein, den Israel bisher führte. Er ist auch der bisher sichtbarste.
Vorausgegangen war am 13. Januar ein Luftangriff auf den Militärflughafen von Mezze, ebenfalls im zentralen Bereich des syrischen Militärflugwesens. Am 22. Dezember des vergangenen Jahres hatte es einen Angriff auf einen Armeetransport in der Nähe von Damaskus gegeben. Israel steigert offenbar seine Einsätze. Wahrscheinlich geschieht dies in Folge von stärkeren Aktivitäten auf der iranischen Seite, die Israel zu durchkreuzen sucht.
Iran seinerseits sieht sich veranlasst, das Endspiel in Syrien ins Auge zu fassen. Dies vor allem deshalb, weil Russland offenbar einen Weg sucht, sein syrisches Abenteuer gewinnbringend abzuschliessen. Iran sieht sich dadurch vor die Frage gestellt, wie auch Teheran seine teuer erkauften Gewinne in Syrien festschreiben kann. Derartige Fragestellungen führen dazu, Hizbullah weiter zu verstärken und dessen Schlagkraft zu verstärken.
Israel seinerseits reagiert auf diese Bemühungen mit stärkeren und deutlicher sichtbaren Gegenschlägen. Das Asad-Regime wird zum Spielball der antagonistischen Kräfte, die alle in Syrien mitreden wollen.