Vor kurzem hat Thomas L. Friedman in der „New York Times“ seine Regierung aufgefordert, Israelis und Palästinenser durch das Einfrieren der diplomatischen und wirtschaftlichen Hilfen zu bestrafen, denn beide Parteien seien zum Frieden unfähig. Für politische Parteinahme hingegen plädierte Anthony Cordesman vom „Center for Strategic and International Studies“: Im Sommer ermahnte er die Administration, das israelische Selbstverständnis als einzige Demokratie im Nahen Osten beim Wort zu nehmen und Israel so zu behandeln wie jeden anderen Staat.
Keine Konkurrenz für Netanyahu
Auch in der Europäischen Union findet der Abschied von doppelten Massstäben merkliche Zustimmung. Zwar wird der Aufruf der 26 ehemaligen Führungspersönlichkeiten an die Zentrale in Brüssel nicht eins zu eins umgesetzt werden, doch ihr Anliegen, die bisherigen Formelkompromisse über Bord zu werfen, wird nicht ungehört verhallen.
Dagegen macht sich bei Barack Obama die Neigung breit, die Regelung des Nahostkonflikts auf die lange Bank zu schieben und damit die gravierende Unebenbürtigkeit zu Lasten der Palästinenser in Kauf zu nehmen. Amerikas zweimaliger Botschafter in Tel Aviv, Martin Indyk, hatte im Oktober vor der „Brookings Institution“ die alte Weisheit bemüht, von den Konfliktparteien nicht mehr zu verlangen, als diese zu geben bereit seien. Gleichwohl appellierte Indyk an die Regierungen in Jerusalem und Ramallah, Führungsqualitäten zu demonstrieren. Besonders Benjamin Netanyahu sei mit der stabilsten Koalition seit Oslo am Zuge.
Wenn Washington – weniger Hillary Clinton als der Präsident – keine Vorbedingungen formulieren will, kommt dies Netanyahu zugute. Dem Ministerpräsidenten ist an einem innen- und aussenpolitisch unter Druck geratenen Obama gelegen, um sich von der Zweistaatenregelung endgültig zu verabschieden. Von Tsipi Livni ist in Sachen „progressiver Substanz“ wenig zu erwarten, das einstündige Zwiegespräch mit Clinton am 10. Dezember sollte nicht darüber hinwegtäuschen. Ehud Barak versucht sich zwar in jüngster Zeit als Protagonist des Friedens zu profilieren, aber seine Arbeitspartei liegt in Trümmern.
Eine attraktive Alternative mit einer charismatischen Figur an der Spitze im ausserparlamentarischen Raum ist nicht in Sicht. 2006 hatte die inzwischen zur Präsidentin des „New Israel Fund“ gewählte Politologin Naomi Chazan die Schwäche der israelischen und palästinensischen Friedensaktivisten beklagt und emphatisch behauptet, dass jedes Endstatus-Abkommen und jede Versöhnung auf sie angewiesen blieben. Doch bislang ist die selbstkritische Diagnose der bisherigen Arbeit als Voraussetzung für die zukünftige Konzentration der Kräfte versäumt worden. Auch auf die ernsthafte Diskussion über die internationalen Zuwendungen und ihre mageren politischen Erfolge wartet man vergebens.
Gärt es im Gazastreifen?
Umfragen belegen, dass Machmud Abbas als wichtigster palästinensischer Politiker gilt, was nichts mit seiner Beliebtheit zu tun hat. Würden morgen Präsidentschaftswahlen stattfinden, würde er daraus - ungeachtet des desolaten Zustandes seiner „Fatah“, die Parlamentswahlen von Mal zu Mal verschiebt - als Sieger hervorgehen. Gemeinsam mit seinem Premier Salam Fayyad verweigert er seit dem ergebnislosen Dreiergipfel am 2. September in Washington Verhandlungen, solange die Siedlungsaktivität in der Westbank und in Ost-Jerusalem anhält. Beide Politiker scheinen sich für eine Art Durchmarsch entschieden zu haben, der neuerliche Interimsregelungen von Grund auf ablehnt.
Aus der Resignation und der Ohnmacht im Westen und in der israelischen Friedensszene zieht die Autonomieregierung mithin Konsequenzen. Eingriffe von außen in die palästinensische Diplomatie gelten als unerwünscht, während praktische Hilfen nach wie vor willkommen sind. Wie Europa auf den Feldern der Institutionenbildung und der humanitären Hilfe, so pumpt Washington erhebliche finanzielle Transferleistungen nach Ramallah und sorgt dafür, dass die dortigen Sicherheitsdienste für jene Ruhe sorgen, die öffentliche Demonstrationen gegen die jüdischen Siedlungen unterbinden oder zumindest in Schach halten sollen. Gewaltloser Widerstand lautet die Devise in einem gewaltdurchtränkten Umfeld. Nutznießer des Gebots sind das israelische Militär und die radikalen Siedler, solange politische Fortschritte ausbleiben.
im Gazastreifen verliert „Hamas“ an Akzeptanz wegen ihrer Klientelpolitik, die sich auf die beträchtlichen Einnahmen aus der „Tunnelwirtschaft“ stützt und die Schere zwischen arm und reich vertieft. In der Bevölkerung gärt es wegen des islamistischen Drucks, der von der Medienkontrolle und der religiösen Indoktrinierung über die Durchsetzung von Kleidungsvorschriften bis zum Vandalismus in Kindergärten und Jugendeinrichtungen unter Leitung des UN-Flüchtlingswerks reicht.
Hinzu kommen interne Machtkämpfe: Anfang Dezember schwenkte Ismail Haniyeh mit dem Bekenntnis zu einem palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 mit Jerusalem als Hauptstadt, mit der Freilassung der palästinensischen Gefangenen und mit einer Lösung der Flüchtlingsfrage auf den einschlägigen Passus der Arabischen Friedensinitiative von 2002 ein.
Mubaraks Doppelspiel
Ohne die Einbindung der arabischen Nachbarn ist ein Ende des israelisch-palästinensischen Konflikts ausgeschlossen. In diesem Wissen verbittet sich Hosni Mubarak mehr denn je amerikanische Einmischungen, obwohl die jüngsten Wahlen zur Zweiten Kammer in Ägypten jedem Anspruch auf politische und administrative Fairness Hohn sprachen. Da die westliche Welt strategisch auf ihn angewiesen ist, kann er die USA wegen ihres nahöstlichen Immobilismus heftig kritisieren sowie parallel dazu die materiellen Segnungen Washingtons genießen und zum symbolischen Schutz nationaler Interessen Stahlwände an der 14 Kilometer langen Grenze zum Gazasteifen einziehen lassen – wohl wissend, dass sie den Schmuggel nicht verhindern.
Syrien bleibt die große Unbekannte. Außenpolitisch hat Damaskus alle Hände voll zu tun, sich im Libanon als Stabilitätsfaktor zu re-etablieren und das schwierige Verhältnis zu Irans Achmadinedjad zu klären. Die Aufforderung des früheren jordanischen Außenministers Marwan Muasher an Washington, einen neuen Plan vorzulegen für „das Endspiel, bevor es zu spät ist“, bewegt sich in unergiebigen alten Fahrwassern.
Mit den neuen Vermessungen in der arabischen und palästinensischen Diplomatie sind die harten Fakten der israelischen Politik nicht bezwungen. Doch ist ein prinzipielles Umdenken in Gang gekommen, das sich auf die eigenen Kräfte besinnen will. Bezeichnenderweise hat sich die Autonomiebehörde nicht von der Resolution des US-Repräsentantenhauses an die Adresse der Administration einschüchtern lassen, die Anerkennung eines Staates Palästina im Uno-Sicherheitsrat gegebenenfalls mit einem Veto zu blockieren. Ja, die Administration Obama könnte, so wird in Jerusalem befürchtet, bei fortgesetzter israelischer Intransigenz mit einer Stimmenthaltung liebäugeln.
Indem Abbas auf die Regierungen setzt, die den Staat Palästina anerkennen wollen, blickt er auch nach Europa. In seiner Weihnachtsbotschaft bedauerte der römisch-katholische Patriarch für das Heilige Land, Fouad Twal, dass hier bislang am „Monopol der Vereinten Staaten“ festgehalten werde.
Eine Idee, deren Zeit gekommen ist
Vor kurzem haben die für „Haaretz“ arbeitenden Journalisten Carlo Strenger und Akiva Eldar – beide heftige Kritiker der israelischen Besatzungspolitik – im Londoner „Guardian“ die Autonomiebehörde aufgefordert, sich von der Opferrolle zu verabschieden. Die internationale Unterstützung für einen palästinensischen Staat habe nie ein größeres Ausmaß angenommen, und es sei nur eine Frage der Zeit, bis dieser Staat entlang den Grenzen von 1967 international anerkannt werde. Wie lange können die Palästinenser darauf warten? „Nichts ist so stark wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist“, prophezeite Victor Hugo in seinem Roman „Die Elenden“, den er 1862 im Exil auf der Kanalinsel Guernsey vollendete.