Die trotzigen Ankündigungen der israelischen Regierung, in Ost-Jerusalem und der Westbank gegen 6000 weitere Wohnungen für jüdische Siedler zu bauen, bringen offenbar das Fass zum Überlaufen. Frankreich, Deutschland, Grossbritannien und Portugal - die im Sicherheitsrat vertretenen EU-Staaten - erklärten, »die Ankündigungen Israels senden ein negatives Signal und untergraben den Glauben an seine Verhandlungsbereitschaft«. Der britische Aussenminister William Hague wurde noch deutlicher. Er bezeichnete alle israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten als »nach dem Völkerrecht illegal«.
Die acht Ratsmitglieder aus der Gruppe der blockfreien Staaten drückten ihre »tiefe Besorgnis über den anhaltenden illegalen Siedlungsbau Israels« aus. Russland und China äusserten sich in separaten Erklärungen ähnlich. Die USA hingegen, die eine Israel-kritische Resolution mit ihrer Vetodrohung verhindert hatten, drehten den Spiess um: Das noch bis Jahresende von Hillary Clinton geleitete State Department erklärte, die USA seien von der Haltung der anderen Mitglieder des Sicherheitsrats »tief enttäuscht«. Deren Vorgehen ausserhalb eines Beschlusses des höchsten UNO-Organs gefährde die angestrebte Zwei-Staaten-Lösung im Nahostkonflikt.
5795 Wohnungen bewilligt oder ausgeschrieben
So deutlich ist die Isolierung Israels und der USA auf dem internationalen Parkett noch selten sichtbar geworden. Auch UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon schlug sich auf die Seite der erdrückenden Staatenmehrheit. »Ich fordere Israel auf, diesen gefährlichen Weg, der alle Aussichten auf einen Dialog und eine friedliche Zukunft untergräbt, nicht weiter zu gehen«, erklärte er. »Lasst uns den Friedensprozess wieder auf die Schiene zu bringen, bevor es zu spät ist.«
Benjamin Netanjahu und seine Koalitionspartner geben den neuen Siedlungsschub als Strafmassnahme gegen die Palästinenserführung wegen deren erfolgreichen Antrags bei der UNO-Generalversammlung auf Gewährung eines Beobachterstatus als Nichtmitgliedstaat aus. Im Laufe von vier Tagen haben die israelischen Behörden vergangene Woche den Bau von 5795 Wohnungen in den besetzten Gebieten bewilligt oder ausgeschrieben.
Provozieren, um Stimmen zu gewinnen
Diese Projekte sind natürlich keine spontane Eingebung, sondern lagen bereits in den Schubladen. Man darf annehmen, dass die Aufwertung der palästinensischen Autonomiebehörde durch die UNO-Generalversammlung nur den Vorwand zu ihrer Umsetzung lieferte. Viele Beobachter stellen einen Zusammenhang mit den bevorstehenden Wahlen in Israel her: Netanjahu wolle mit der provokativen Ankündigung neuer Siedlungen in den besetzten Gebieten Stimmen gewinnen. Möglicherweise mache er nach dem 22. Januar einen Teilrückzieher.
Im Moment tönt es allerdings anders. »Jerusalem ist seit 3000 Jahren die Hauptstadt des jüdischen Volkes und wird es auf ewig bleiben«, hämmert Netanjahu bei jeder Gelegenheit, »und wir werden dort weiterhin bauen!« Nach internationalem Recht sind Ost-Jerusalem und die anderen im Sechs-Tage-Krieg von 1967 von Israel eroberten Territorien aber besetzte Gebiete. Die Genfer Konventionen von 1949, denen auch Israel beigetreten ist, verbieten den Transfer der eigenen Bevölkerung in besetzte Gebiete.
Kein UNO-Mitglied hat seine Botschaft in Jerusalem
Grundlage einer Friedenslösung bleibt die einstimmig angenommene Resolution 242 des Weltsicherheitsrats vom November 1967. Diese fordert den Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten (wobei eine absichtliche Unklarheit im englischen Text Grenzbereinigungen ermöglicht). Auf der anderen Seite wird dem Staat Israel darin das Recht verbucht, ohne äussere Bedrohung »in sicheren und anerkannten Grenzen« zu leben.
Die Annexion Ost-Jerusalems als Bestandteil der »ewigen und unteilbaren Hauptstadt Israels« wird von der UNO nicht anerkannt. Kein UNO-Mitglied, nicht einmal die USA, haben ihre Botschaft in Jerusalem eingerichtet, sondern in Tel Aviv und Umgebung. Der ursprüngliche Teilungsplan der UNO und eine Reihe von Resolutionen sehen für Jerusalem einen internationalen Status vor, der allen Religionsgemeinschaften freien Zugang zu ihren heiligen Stätten gewährleistet.
Bantustans
Gegenwärtig leben in Ost-Jerusalem etwa 250.000 Palästinenser und 200.000 Juden. In der ebenfalls 1967 eroberten Westbank haben sich mittlerweile mehr als 340.000 Israeli niedergelassen. Dazu kommen etwa 21.000 israelische Siedler auf den 1981 annektierten syrischen Golanhöhen. Der von der israelischen Regierung angekündigte Ausbau von Satellitenstädten mit ihren Verbindungsstrassen würde einen Keil quer durch die Westbank treiben und die Schaffung eines lebensfähigen palästinensischen Staates faktisch verunmöglichen.
Der angesehene israelische Leitartikler Nahum Barnea schreibt dazu im Massenblatt »Yediot Aharonot«: »Netanjahu und (sein Koalitionspartner) Lieberman haben ihre Wahl getroffen. Zwischen dem Friedensprozess und einem endlosen Status quo haben sie sich für letzteren entschieden. Zwischen einer Zwei-Staaten-Lösung und der Schaffung von Bantustans für die Palästinenser wählen sie die Bantustans.« Als Bantustans wurden während des Apartheid-Regimes in Südafrika die den schwarzen Arbeitskräften zugeteilten Wohngebiete bezeichnet.
Obama muss sich nicht mehr vor der Israel-Lobby ducken
Sogar der nicht als Weichei verschriene Ex-Premierminister Ehud Olmert hält Netanjahus Drang nach Osten für »eine Politik, die den existenziellen Interessen Israels diametral entgegensteht«. »Wir stärken die Extremisten der Hamas und die islamischen Dschihadisten und wir schwächen die gemässigten Kräfte, mit denen wir einen möglichen Dialog beginnen könnten«, erklärte der frühere Likud-Politiker.
Warum US-Präsident Barack Obama der Regierung Netanjahu vor der UNO zu Hilfe eilt, ist schwer zu verstehen. Eine persönliche Freundschaft verbindet die beiden Männer nicht - ganz im Gegenteil. Netanjahu hat im amerikanischen Wahlkampf offen Obamas Herausforderer Mitt Romney unterstützt. Seine plumpe Einmischung in die inneren Angelegenheiten der USA hat ihm selbst in Israel breite Kritik beschert. Im Gespräch mit Nicolas Sarkozy vor einem versehentlich nicht ausgeschalteten Mikrofon nannte Obama den israelischen Premier einen Widerling, der ihm jeden Tag auf die Nerven gehe.
Obama hat die Präsidentschaftswahl gewonnen und braucht sich nicht mehr vor der Israel-Lobby ducken. Die Analysen haben ergeben, dass die grosse Mehrheit der amerikanischen Juden für ihn stimmte. Besonders unter den jungen Juden in den USA schwindet die bedingungslose Solidarität mit jedweder israelischen Regierung. Der Chef des Weissen Hauses muss sich in seiner zweiten Amtszeit überlegen, als was er in die Geschichte eingehen will.