Bereits zum zweiten Mal haben palästinensische Flüchtlinge, genauer gesagt deren Nachfahren, versucht, in unbewaffneten Massendemonstrationen an die israelisch-arabischen Waffenstillstandslinien vorzudringen und diese womöglich zu überschreiten. Sie wollten damit ihr Recht auf Heimkehr zum Ausdruck bringen. Dieses Recht ist ihnen grundsätzlich vom Uno-Sicherheitsrat zugebilligt worden, jedoch wurde es in der Praxis seit 63 Jahren nie verwirklicht.
Die Palästinenser wählten zwei symbolische Daten für ihre Demonstrationen, den 15. Mai und den 5. Juni, die Jahrestage der palästinensischen Niederlage durch das entstehende Israel von 1949 und der arabischen Niederlage im Sechstagekrieg von 1967. Beide Niederlagen haben die Vertreibung von grossen Massen von Palästinensern aus ihrer Heimat mit sich gebracht.
Zynische Manipulation ?
Am 15. Mai gab es, überraschend für viele Beobachter, Demonstrationsversuche an den libanesischen, den syrischen und den innerpalästinensischen Waffenstillstandslinien in Gaza. Demonstrationen in Jordanien wurden von den jordanischen Sicherheitsleuten zurückgedrängt, bevor sie die dortige Grenzlinie erreichen konnten. Mit Jordanien und mit Ägypten bestehen von beiden Seiten anerkannte Grenzen, weil zwischen beiden Staaten und Israel Frieden geschlossen wurde.
Nur an den Golan-Waffenstillstandslinien gelang es einigen der palästinensischen unbewaffneten Demonstranten, den Grenzverhau zu überqueren und kurzfristig ins Innere der besetzten Golangebiete vorzudringen. Die israelischen Soldaten erschossen bei dieser Gelegenheit zehn der unbewaffneten Demonstranten. An der libanesischen Grenze schossen israelische Soldaten ebenfalls scharf, als die dortigen Demonstranten das Gleiche versuchten. Dies führte zu 15 Toten und 122 Verwundeten. In Gaza soll es durch die israelische Niederhaltung der Demonstranten am 15. Mai 82 Verwundete gegeben haben.
Am 5. Juni gab es nur Demonstrationsversuche an der syrischen Waffenstillstandslinie. In Libanon waren sie ebenfalls geplant, doch dann erklärten die Palästinenser, sie wollten davon absehen, weil die libanesische Armee ihnen dies nahe gelegt habe. Am Rande der Golanhöhen wurden diesmal 22 Palästinenser von den israelischen Soldaten erschossen, bevor es ihnen wieder gelang, ins Innere des besetzten Golans einzudringen. Die Israeli waren der Ansicht, es sei die Folge einer "zynischen Manipulation" der syrischen Regierung, dass die Demonstranten bis an die Waffenstillstandslinie gelangt seien. Diese habe sogar Busse für den Transport der Demonstranten zur Verfügung gestellt.
Friedliche Demonstrationen statt Terror
Der Zweck sei gewesen, von den inneren Unruhen in Syrien abzulenken. - Vielleicht war das in der Tat so. Doch besteht auch kein Zweifel daran, dass die Palästinenser seit geraumer Zeit nach neuen Möglichkeiten suchen, ihre Anliegen vor der Weltöffentlichkeit lebendig zu halten, nachdem ihnen bewusst geworden ist, dass terroristische Aktionen letztlich kontraproduktiv für ihre politischen Ziele wirken. Die Israeli selbst wissen, dass es derartige Pläne unter den Palästinensern gibt. Man kann den Verteidigungsminister Ehud Barak zitieren, der nach der ersten Demonstrationswelle vom 15. Mai erklärte:
"Seit Monaten diskutieren wir die Möglichkeit der Organisation von Massendemonstrationen ...Der Übergang vom Terror durch Selbstmordbomben zu Massendemonstrationen, die bewusst unbewaffnet sind, ist ein Übergang, der viele Probleme bringt. Wir werden sie künftig zu bewältigen haben."
Man kann sich fragen, ob die 22 Toten durch scharfe Schüsse, die es diesmal an der Golan-Waffenstillstandslinie gegeben hat, die Art und Weise kennzeichnen sollen, in der die israelischen Sicherheitskräfte die "absichtlich unbewaffneten Massendemonstrationen" der Palästinenser zu bewältigen gedenken. Und natürlich muss man sich auch fragen, wie lange und wie intensiv die Palästinenser angesichts solcher tödlicher Gegenwehr in der Lage sein werden, ihre neue Politik des gewaltlosen Widerstandes weiterzuführen.