Erfolg für die Islamistische Aktionsfront bei den Wahlen in Jordanien: Von den für politische Parteien zur Verfügung gestellten Mandaten errang sie drei Viertel, genau 31 von 41. Dass die Islamisten im Parlament dennoch in der Minderheit sind, hängt mit dem von König Abdullah dekretierten System zusammen – weitere 97 Mandate nämlich hat der Monarch für Stammes- und Clan-Chefs reserviert.
Die alle sind verlässliche Stützen der Monarchie. Die politischen Parteien und deren Anhängerinnen und Anhänger jedoch repräsentieren die eigentlichen Stimmen des Volks, und daher widerspiegelt der Erfolg der Aktionsfront auch die Stimmungslage im Land mit seinen 11,5 Millionen Menschen.
Palästinenser ist nicht gleich Palästinenser
Diese Stimmungslage ist düster: eine Arbeitslosigkeit von über 27 Prozent, Abhängigkeit vom Goodwill der USA (die das Land mit jährlich rund 1,3 Milliarden Dollar unterstützen, hauptsächlich um sicherzustellen, dass Jordanien den 1994 mit Israel abgeschlossenen Friedensvertrag einhält) und ein Alltag, der vom Krieg des Nachbarn Israel im Gaza-Streifen und vom eskalierenden Konflikt zwischen israelischen Siedlern und Palästinensern im direkt angrenzenden Westjordanland überschattet ist. Etwa die Hälfte der Bewohner Jordaniens hat Verwandte im Westjordanland oder im Gaza-Streifen, das heisst, mehr als fünf Millionen Jordanierinnen/Jordanier sind Palästinenser.
Allerdings: Palästinenser ist nicht gleich Palästinenser. Ein Teil von ihnen stammt aus Familien, die in der Folge der Kriege von 1948 und 1967 geflüchtet sind, die Vorfahren eines anderen Teils lebten schon seit vielen Generationen im Gebiet des Staats, der jetzt Jordanien heisst und früher Teil des Osmanischen Reichs war. Wer zu dieser Schicht gehört, dem stehen im Königreich Jordanien alle Türen offen, das heisst, sie gelten gesellschaftlich als den seit Jahrhunderten hier lebenden Jordaniern gleichgestellt. Kein Problem ist es daher für die Öffentlichkeit, dass König Abdullah mit einer Palästinenserin, Rania, verheiratet ist – sie ist Angehörige einer Familie, die vor Jahrzehnten schon im Westjordanland Macht und Einfluss hatte.
Die Stützen der Monarchie
Anders steht es mit jenen Palästinensern, deren Angehörige oder Vorfahren als Flüchtlinge kamen: Die haben zwar mehrheitlich einen jordanischen Pass, aber aus der Perspektive der jordanischen Gesellschaft gelten sie nach wie vor als nicht gleichwertig.
Die Vielschichtigkeit der palästinensisch-jordanischen Bevölkerung prägt die politische Aktualität: Wer einer Flüchtlingsfamilie entstammt, votierte bei den Wahlen in dieser Woche mehrheitlich für die Islamistische Aktionsfront – wer zum alteingesessenen Establishment gehört, gab seine oder ihre Stimme wohl eher für einen Clan-Chef, also, wie erwähnt, eine verlässliche Stütze der Monarchie, ab.
Was aber will diese Aktionsfront, wofür steht sie? Ideologisch gehört sie ins Spektrum der Moslembruderschaft, was konkret bedeutet: Sie fordert die Einführung des islamischen Rechts in Jordanien, lehnt den 1994 zwischen Jordanien und Israel unterzeichneten Friedensvertrag ab und plädiert für ein «freies Palästina vom Fluss (dem Jordan) bis zum Meer». Ob damit gemeint ist, Juden / Israeli hätten da kein Existenzrecht oder ob der Slogan so verstanden werden kann, dass Palästinenser und Juden gemeinsam und gleichberechtigt in diesem Gebiet leben sollen, bleibt offen.
Die entscheidende Macht bleibt beim König
Zur jordanischen Monarchie hat die Aktionsfront eine von Widersprüchen durchzogene Haltung: Die Macht sollte eigentlich vom Volk (gemeint sind damit nur die Muslime, nicht die Angehörigen von Minderheiten wie, beispielsweise, der christlichen) ausgehen, aber die Stellung von König Abdullah wird dennoch nicht in Frage gestellt. Nun ja, würden die Islamisten eine solche Forderung offen äussern, würden sie von heute auf morgen schon verboten. Also bleiben die Mitglieder der Aktionsfront bei schwammigen Formulierungen, die sowohl das eine wie auch das andere beinhalten können.
König Abdullah kann den Erfolg der Islamisten gewiss verkraften, denn er und schon sein Vater, König Hussein, haben dafür gesorgt, dass das Parlament nur geringe Machtbefugnisse hat. Seine Mitglieder können zwar Gesetzesentwürfe ändern, aber ratifiziert werden müssen die Gesetze vom König. Der kann sie annehmen oder ablehnen, und er ernennt auch den Regierungs- und den Armeechef, alle Mitglieder der zweiten parlamentarischen Kammer, also des Senats, und zahlreiche weitere hochrangige Funktionsträger.
Das könnte zur Schlussfolgerung führen, dass die Aufgabe des Monarchen eher eine Freizeitbeschäftigung als ein stressiger Job sei. Weit gefehlt: Der König kann zwar die politischen Parteien und somit die wahren Vertreter der Volksmeinung ignorieren, aber da sind dann auch noch die Stammes- und Clan-Chefs. Mit denen musste schon König Hussein (Monarch zwischen 1952 und 1999) sich arrangieren – er bewältigte die Herausforderung durch regelmässiges Auswechseln von Ministerposten, im Senat und anderen prestigeträchtigen Gremien.
Einflüsterungen von Königin Rania?
Repräsentanten von etwas mehr als 50 Clans und Stämmen, Jordaniern oder Establishment-Palästinensern liess er jeweils in kurzen Abständen auf Renommier-Posten rotieren und wahrte sich so die erforderliche Loyalität kreuz und quer durch das Land. Abdullah, sein Sohn, übernahm dieses System mit Einschränkungen – draussen, auf dem Land, hört man oft die Verdächtigung, in Wahrheit höre der jetzige König mehr auf die Einflüsterungen durch Königin Rania als auf die Ratschläge der erfahrenen Stammes-Chefs. Daher entferne sich der Monarch mehr und mehr von dem, was die Menschen im Alltag bedrücke.
Fazit: Jordanien muss keinen Umsturz befürchten und der Erfolg der Islamisten bei den Parlamentswahlen wird keine sichtbaren Veränderungen bewirken, aber der König wird vermehrt zur Kenntnis nehmen müssen, dass seine Politik nicht identisch ist mit dem, was sein Volk von ihm erwartet.