„Muslime, die Ahok verteidigen, sind keine Muslime. Sie sind als Muslime maskierte Ungläubige“, verkündete der Redner. Und die Menge antwortete: „Ahok ist doof, Ahok ist doof. Legt ihn um.“
Angeführt von Habib Rizieq, dem Anführer der radikalen Islamischen Verteidigungsfront, singt die Menge: „Zerschmettern wir gemeinsam Ahoks Kopf, der aus Stein ist. Ahok muss getötet werden.“
Und sogar Amien Reis, einst bekannt als toleranter Muslimführer, der vor zwanzig Jahren Demonstrationen anführte, die den Sturz des langjährigen Diktators Suharto begleiteten, forderte nun: „Bitte, Pak (Papa) Jokowi (Präsident), Pak Jusuf Kalla (Vizepräsident), pak Direktor der Nationalpolizei, pak Militärkommandeur, alle Politiker, die ein Gewissen haben, bitte, bestrafen Sie Ahok rasch und ohne Zögern.“
Ahok, so Basuki Tjahaja Purnamas volkstümlicher Spitzname, ist der Gouverneur von Jakarta, der Hauptstadt des mit 240 Millionen Einwohnern weltweit grössten muslimischen Landes. Er ist erst der zweite christliche Gouverneur Jakartas und der erste Gouverneur chinesischischer Herkunft. Er war stellvertretender Gouverneur, als Joko Widodo das Amt innehatte, und übernahm das Amt, nachdem Widodo 2014 zum Präsidenten des Landes gewählt worden war.
Massengebete gegen Christen
Er erzielte einige Erfolge bei der Bekämpfung der Korruption, doch machte er sich in Teilen der Bevölkerung unbeliebt, als er illegale, entlang der Flüsse Jakartas wild wuchernde Slumsiedlungen niederreissen liess. Von mächtigen Interessengruppen finanzierte und unterstützte Hardliner unter der muslimischen Mehrheit des Landes fühlten sich provoziert, als er den 51. Vers des Korans zitierte, in dem Gläubige gewarnt werden, mit Christen oder Juden befreundet zu sein. Dieser Vers werde benutzt, die Wähler zu täuschen und die Behauptung zu rechtfertigen, Muslime dürften nicht von Nichtmuslimen regiert werden.
Zwar entschuldigte sich Basuki später und betonte, es sei nicht seine Absicht gewesen, irgendjemanden zu beleidigen. Doch im Netz kursierten inzwischen längst verfälschte Versionen seiner Aussage, die den Unmut radikaler Gruppierungen wie das Batawi Bruderschaftsforum oder die Islamische Verteidigungsfront aufstachelten. Im November und Dezember letzten Jahres nahmen Hunderttausende an Protesten und sogenannten „Massengebeten“ gegen ihn teil und forderten seine Verhaftung und Verurteilung wegen Beleidigung des Islam. Unter dem wachsenden Druck religiöser Eiferer wurde schliesslich im Dezember offiziell ein Blasphemie-Prozess gegen Ahok eröffnet.
Islamisten und alte Garden
Dennoch gewann Basuki die erste Runde der Wahlen im Februar mit 43 Prozent. Doch dann trugen konservative Kleriker die Anti-Basuki-Kampagne in die Moscheen. Banner verkündeten, dass es Muslimen verboten sei, ihre Stimme Ungläubigen zu geben. Zudem erhielt sein Widersacher, der ehemalige Erziehungsminister und Universitätsrektor Anies Rasyid Baswedan, massive Unterstützung nicht nur aus religiösen Kreisen, sondern auch von den alten Garden, die seit fünfzig Jahren die Politik Indonesiens dominieren.
Der Wahltag machte dies auch den naivsten Wählern deutlich. Da standen Prabowo Subianto, ein ehemaliger General und Schwiegersohn Suhartos, Aburizal Bakrie, ein Business-Tycoon und alter Geschäftspartner Suhartos, Hashim Djojohadikusomo, ein Bruder Prabowos und Wirtschaftsmagnat, der sich gerne auf dem illegalen Antiquitätenmarkt bedient und gelegentlich für die „Huffington Post“ schreibt, und Hary Tanoesoedibjo, ein Geschäftspartner von Donald Trump mit engen Beziehungen zu Suhartos Sohn Bambang Trihatmodjo an Anies‘ Seite. Prabowo bedankte sich sogar bei dem Anführer der Islamischen Verteidigungsfront für dessen Beitrag zu Anies‘ Sieg.
Zwar ist frühestens in einer Woche mit endgültigen Ergebnissen zu rechnen, doch schon kurz nach Schliessung der Wahllokale am 19. April räumte Basuki seine Niederlage ein. Es war eine verheerende Niederlage. Zwar hatten die in Entwicklungs- oder Schwellenländern notorisch unzuverlässigen Umfragen vor der Wahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen vorausgesagt. Doch von den Folgen des Blasphemie-Vorwurfs hatte sich Basuki nicht erholen können.
Die islamische Karte spielen
„Anies‘ überwältigender Sieg signalisiert zwei Gefahren, denen sich Indonesiens Präsident Joko Widodo gegenüber sieht“, notierte die Nachrichtenagentur Reuters, „die wachsende Islamisierung der Gesellschaft und den wieder erstarkenden Einfluss der alten politischen und wirtschaftlichen Eliten Indonesiens.“
„Das ist eine vernichtende Niederlage für uns“, räumte Eva Kusuma Sundari von der Regierungspartei (PDI-P, Indonesische Demokratische Partei des Kampfes) ein. „Wir müssen jetzt herausfinden, wie wir mit dieser politischen Religion umgehen, ohne unsere Orientierung an der Verfassung und Nation aufzugeben.“
Tim Lindsey von der University of Melbourne, der die Entwicklungen in Indonesien intensiv beobachtet, erkannte, dass „aus den islamistischen Randgruppen (der Gesellschaft) eine Macht geworden“ ist. „Das war nur ein Probelauf für 2019 (Präsidentschaftswahlen). Das ist eine glasklare Botschaft, dass es dir hilft, wenn du die islamische Karte spielst. Wenn solche Gruppen Hunderttausende auf die Strassen bringen können, dann willst du diese Macht auch nutzen.“
Islamisierung urbaner Gebiete
„Das ist eine Herausforderung für die Demokratie in Indonesien“, analysierte Bonar Tigor Naipospos, stellvertretender Vorsitzender des Forschungsinstituts Setara-Institute for Democracy and Peace. Das Wahlergebnis „zeigt, dass die Islamisierung in der Gesellschaft Wurzeln schlägt, besonders in den urbanen Gebieten und in den Städten.“ Dieser Sieg werde die Hardliner unter den Muslimen ermutigen, den Druck auf die Regierung zu erhöhen, eine ultrakonservative Politik zu verfolgen einschliesslich der Einführung der Scharia und des Verbots von Alkohol, das in grossen Teilen des Landes ohnehin schon gilt.
Nur der Vizepräsident des Landes, Jusuf Kalla, verbreitete anlässlich hohen amerikanischen Besuchs alternative Fakten. „Als ich den Vizepräsidenten Mike Pence traf, erklärte ich ihm, wie unfair die Auslandspresse sei, die behauptete, der Sieger (Anies Baswedan) habe nur mit der Unterstützung islamischer Organisationen gewonnen, womit sie den Anschein erweckte, das sei ein Sieg der Islamisten.“