Auch der einiges an Unbill gewohnte Ire ist fassungslos. Bekanntlich ruinierte der Fast-Bankrott der Anglo Irish Bank in der Finanzkrise 1 den «keltischen Tiger», an seinen Folgen leiden Irland und seine Bevölkerung, leiden seine Steuerzahler bis heute. Nun hat der «Irish Independent» Telefonmitschnitte veröffentlicht, wie sich Manager der Bank über ihre staatlichen Helfer lustig machten und offen darüber sprechen, wie sie logen, betrogen, tricksten. Während sie in der Finanzkrise 1 pro Tag eine Milliarde verloren, sind sie ausgesprochen fröhlich und munter. Constantin Seibt liefert im «Tages-Anzeiger» eine ansprechende deutsche Übersetzung und Einordnung.
Kein Einzeltäter
Die Gesinnung und Mentalität, die in den veröffentlichten Original-Mitschnitten von Bankster-Dialogen zutage tritt, übertrifft an Abgründigkeit alles, was bisher bekannt war. Und das will etwas heissen. Da werden mal schnell 7 Milliarden Staatskredit verlangt. Wieso gerade 7? «Ich habe mir die Zahl aus dem Arsch gezogen», gibt ein Banker offen zu. Obwohl er wusste: «In Wirklichkeit brauchen wir mehr.» Dann macht man sich lustig über die Blödheit der staatlichen Verhandlungspartner, der Steuerzahler, nicht nur in Irland, sondern in ganz Europa, die ja die Zeche zahlen müssen. Selbst die eher zurückhaltende deutsche Bundeskanzlerin Merkel hat dafür nur «Verachtung» übrig. Aber das ist nicht das Problem.
Es handelt sich hier nicht um das Fehlverhalten von Einzelnen, sondern es spült eine Mentalität ins Licht der Öffentlichkeit, die bis heute weit verbreitet ist. Eine Mischung von zynischer Überheblichkeit und dem Wissen, dass man haftungs- und verantwortungsfrei völlig legal so handeln darf. Weil man «too big to fail» ist. Unsinkbar, unangreifbar.
Alles legal, alles erlaubt
Es ist inzwischen wohl auch dem tapfersten Verteidiger des Bankensystems klar geworden, dass es sich hierbei nicht um die ewig bemühten Einzelfälle, um bedauerliche Exzesse, um verurteilenswerte Verhaltensweisen handelt, die aber nicht verallgemeinert werden dürfen. Weswegen man nicht die Zehntausende von aufrecht, verantwortlich und anständig arbeitenden Bankern verurteilen dürfe. Die gibt es selbstverständlich. Aber ab einer gewissen Entscheidungsebene ist die sich in diesen Gesprächen ausdrückende Geisteshaltung systemimmanent Pflicht. Man kommt nur in solche Positionen, wenn man rücksichtslos, zynisch, kaputt, amoralisch und nur auf den eigenen Vorteil bedacht handelt und denkt.
Das System selbst ist krank, der Mensch, der in ihm aufsteigt, wird es, wenn er es nicht schon vorher war. Diese Art des modernen Banking setzt auf die übelsten, schlechtesten Eigenschaften des Menschen. Entweder bringt er sie schon mit, oder er muss sie sich aneignen. Anders ist Karriere nicht möglich. Aber schlimmer noch: All das, was hier geschieht, ist legal. 99 Prozent aller Bankgeschäfte, 99,9 Prozent aller Zockerei, aller Bonusgier, aller völlig verantwortungslosen Spekulation in virtuellen Geldwolken spielt sich innerhalb des Rechtsrahmens ab. Deswegen hat die Verachtung von Frau Merkel, haben die wohlfeilen Entrüstungsschreie anderer Regierender einen schalen Beigeschmack. Denn sie haben bis heute nichts unternommen, um diesen Schweinereien einen Riegel zu schieben.
Löschen, löschen, löschen
Man kann davon ausgehen, dass spätestens seit Veröffentlichung dieser Telefonate in den meisten Archiven von Grossbanken rund um die Welt Sonderschichten geschoben werden. Ganze Teams durchforschen die elektronischen Aufzeichnungen, ob sich da eventuell ähnliche offene Worte befinden. Und dann wird gelöscht, gelöscht, gelöscht. Natürlich auch physisch, man ist ja nicht blöd. Harddisks werden zerstört, Server auseinandergenommen und mit dem Hammer bearbeitet, anschliessend in hydraulische Pressen gesteckt. Und doppelt und dreifach wird kontrolliert, ob sich eine Schweinebacke nicht noch schnell vorher eine Kopie fürs Privatarchiv zieht, so als kleine Versicherung vor Entlassung.
Aber, da kann man doch glatt an ausgleichende Gerechtigkeit glauben, eigentlich sollten die Regierenden nicht so furchtbar überrascht tun. Die Überwachungskraken NSA in den USA oder GCHQ in England, Stichwort Prism und Tempora, wären ihr Geld doch nicht wert, wenn sie nicht über Kopien von Hunderttausenden von entsprechenden Konversationen und E-Mails verfügten. Nicht nur Verschwörungstheoretiker geraten in Wallungen, wenn man sich ausmalt, was da hinter den Kulissen an Erpressungspotenzial vorhanden ist.
Regierende haben Bankster in der Hand: «Wir wissen, was ihr sagt und denkt, wenn wir das veröffentlichen ...» Und umgekehrt: «Aber ihr habt doch mitgemacht, obwohl ihr das wusstet, wenn wir das veröffentlichen ...» Das ist die moderne Ausformung der gegenseitigen Bedrohung, wie sie früher mit Atombomben gewährleistet wurde. Heute hat man dafür Daten, Informationen.
Wetten, dass nun wieder drakonische Strafen, unerbittliche Konsequenzen gefordert werden? In die Vergangenheit gerichtet natürlich, gegen Einzelpersonen. Wetten, dass die weitgehend ungeschoren davonkommen werden, da sie ihre irdischen Besitztümer längst überschrieben haben und im schlimmsten Fall in ein Land abschwirren, das kein Auslieferungsabkommen unterzeichnet hat?
Und wetten, dass ein weiteres Mal versäumt wird, die einzig naheliegende Konsequenz zu ziehen? Die meisten Teilhaber am modernen Finanzzirkus sind krank. Die Grossbanken sind krank. Nicht, weil sie von Einzelnen missbraucht werden. Nicht weil es in jeder Branche Kriminelle gibt, verantwortungslose Inkompetenz. Sondern weil die Geschäftsgrundlage des modernen Banking krank ist. Hochgefährlich, toxisch, ansteckend. Während der Gesetzgeber alle Mittel in der Hand hätte, diesem Treiben Einhalt zu gebieten. Es aber auch diesmal nicht tun wird.