Der Wiener Kongress vor genau 200 Jahren tanzte, heute joggen die Chefdiplomaten in Lausanne zwischen zwei Sitzungen der entscheidenden Verhandlungen über den nuklearen Status der Islamischen Republik Iran. Der iranische Aussenminister Muhammad Dschawad Sarif, durch ein schweres Rückenleiden behindert, begnügt sich mit dem Blick von der Terrasse des Luxushotels „Beau-Rivage“ über den Genfer See auf die Savoyer Alpen.
90 Prozent der Probleme abgehackt
Der Amerikaner John Kerry spaziert mit grossem Gefolge auf der Uferpromenade. Sein chinesischer Amtskollege Wang Yi läuft. Der russische Aussenminister Sergei Lawrow, jedes Sports abhold, hat sich am Montag kurz verabschiedet. Er jettete wegen dringender Geschäfte nach Moskau und will heute Dienstag wieder in Lausanne sein, „wenn ein Abkommen in Griffweite liegt“.
Bis Mitternacht muss die Entscheidung fallen: Entweder es gelingt ein Abkommen, das dem Nahen und Mittlerer Osten mehr Stabilität bringen und die Weiterverbreitung von Atomwaffen stoppen soll, oder zwölf Jahre Verhandlungen waren umsonst. Jeder Stein auf dem Weg zu einem Kompromiss mit der regionalen Grossmacht Iran wurde x-mal umgedreht. 90 Prozent der Probleme sind abgehakt, doch am Rest können die Verhandlungen noch scheitern. Bei einer Paketlösung gilt, was Kerry vor der Presse in Erinnerung rief: Solange nicht alles vereinbart ist, ist nichts vereinbart.
Laufzeit von zehn Jahren
Vorläufig geregelt wurde die Zukunft des umstrittenen iranischen Schwerwasserreaktors bei Arak und der nahe gelegenen Schwerwasserfabrik. Dieses heute ausserhalb Irans nicht mehr gebaute Reaktormodell sondert Plutonium ab, das zu einem atomwaffenfähigen Spaltmaterial aufbereitet werden kann. Die Iraner sind bereit, diesen Atommeiler so umzumodeln, dass nur mehr unbedeutende Mengen Plutonium anfallen.
Auch über die Laufzeit des Vertrags über das nukleare Nuklearprogramm wurde Einigkeit erzielt. Die USA haben offenbar eine Laufzeit von zehn Jahren durchgesetzt. Während weiterer fünf Jahre soll Iran unter besonderer Beobachtung stehen, um sicherzustellen, dass Teheran keine Atomwaffen auf Anhieb bauen kann.
Alle Schlupflöcher stopfen?
Die Iraner haben zugestanden, ihre 19.000 Zentrifugen zur Anreicherung von Uran auf 6000 zu reduzieren. Diese werden vom modernsten selbst entwickelten Typ IR-5 sein. Offen ist hingegen, was mit dem ausgemusterten Rest geschieht. Sollen diese Schleudern vernichtet oder bloss eingemottet werden?
Wie können die den Iranern auferlegten Restriktionen wirksam überprüft werden? Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) in Wien hat das notwendige Know-how dazu. Derzeit lässt Iran aber Inspektionen der IAEO nur auf Voranmeldung zu. Ein Zusatzabkommen zum Atomwaffensperrvertrag, das der IAEO auch Überraschungskontrollen auf Verdacht erlaubt, wurde vom Iran unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Der jetzt in Lausanne auf dem Tisch liegende Text versucht, alle Schlupflöcher zu stopfen. Er soll vor allem ausschliessen, dass Iran wie in der Vergangenheit geheime Uran-Anreicherungsanlagen betreibt.
Die Frage der Sanktionen
Die Iraner haben westliche Presseberichte dementiert, wonach sie ihre Bestände an angereichertem Uran nach Russland auslagern würden. In der Tat ergäbe eine solche Massnahme keinen Sinn. Iran hat seine rund 200 Kilo auf 20 Prozent U-335 angereichertes Spaltmaterial gemäss eines im November 2013 in Genf geschlossenen Abkommens in ein nicht mehr für den Bau vom Atombomben geeignetes Pulver umgewandelt. Die restlichen, auf fünf Prozent angereicherten Uranbestände sind militärisch irrelevant.
Weiterhin für Streit sorgen die vom Weltsicherheitsrat gegen Iran verhängten Sanktionen. Teheran verlangt eine vollständige Aufhebung dieser Sanktionen nach dem Inkrafttreten des Vertrags. Der Westen will die Sanktionen jedoch nur schrittweise aufheben und sie wieder voll einsetzen, falls Iran den Vertrag verletzt. In dieser Frage stellt sich auch Moskau gegen den Westen. Russland befürchtet eine Erosion seines Vetorechts im Weltsicherheitsrat und lehnt jeden „Automatismus“ ab. Jede Wiedereinführung von Sanktionen gegen Iran müsse vom Sicherheitsrat der Uno beschlossen werden, verlangt Lawrow.
Fabius mit gutem Riecher
Auch von Frankreich droht Einspruch. Die Franzosen wollen zeigen, dass sie immer noch in der Weltpolitik eine Stimme haben. Aussenminister Laurent Fabius verlangt strengere Auflagen für das angeblich nur friedlichen Zwecken dienende iranische Nuklearprogramm.
Mit dieser Taktik setzte sich Fabius schon im November 2013 durch, als er ein Zwischenabkommen verhinderte. Nachträglich muss man dem Chef der französischen Diplomatie einen guten Riecher bescheinigen, denn drei Wochen später waren die Iraner zu einem Stopp der Uran-Anreicherung bereit. Dieses Zugeständnis Teherans erbrachte im Gegenzug eine Lockerung der vom Weltsicherheitsrat beschlossenen Wirtschaftssanktionen und öffnete die Tür zu den jetzigen Verhandlungen über eine dauerhafte Lösung.
Sieben Staaten am Lausanner Tisch
Sieben Staaten sitzen in Lausanne am Tisch: Iran, die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats (USA, Russland, China, Frankreich, Grossbritannien) sowie Deutschland. Jeder von ihnen hat eine Art Vetorecht, denn das Ausscheren eines einzelnen Teilnehmerstaats hätte eine Schwächung des Vertrags zur Folge. Der Bedeutung der kommenden Stunden wegen sagten Fabius und sein deutscher Kollege Frank-Walter Steinmeier einen gemeinsamen Staatsbesuch in Kasachstan ab.