Am Freitag, dem 5. Juli, entscheiden die Iranerinnen und Iraner, in einer (vom konservativen Wächterrat vor-selektionierten) Volksabstimmung, wer nächster Staatspräsident sein soll – sie haben die Wahl zwischen einem halbwegs Liberalen (Massud Peseschkian) und einem bekennenden Konservativen (Said Dschalili). Fragt sich, ob es für Normalbürger in Iran überhaupt einen Unterschied macht, wer inskünftig das Amt bekleidet.
Um ein Staatspräsidium in westlichem Verständnis handelt es sich nicht, denn der Präsident der Islamischen Republik Iran ist, entsprechend dem eigenartig-einmaligen System des Staats, eher ein hoch gestellter Chefbeamter als ein Staatspräsident oder ein Regierungschef. Und doch – man sollte die Position nicht unterschätzen. Sie hängt nämlich, wie so ziemlich alles in diesem Land unterhalb der allmächtigen Person des geistlich-juristischen Revolutionsführers, also Ayatollah Khameneis, von der Fähigkeit ab, Koalitionen zu bilden – oder im Umkehrsinn, bei diesem Versuch zu scheitern.
Der Kampf um das iranische Atomprogramm
Nehmen wir ein Beispiel: Ayatollah Khamenei hat vor Jahren seine prinzipielle Zustimmung zur Teilnahme an Verhandlungen mit internationalen Mächten (damals die USA, Grossbritannien, Frankreich, Russland und China plus Deutschland) über das iranische Atomprogramm gegeben. Wie und worüber im Detail verhandelt werden sollte, überliess Khamenei aber den unteren Ebenen, also, im Jahr 2015, Präsident Hassan Rouhani. Der setzte den weltgewandten Javad Zarif als Leiter der Verhandlungsdelegation ein, und 2015 kam tatsächlich ein damals als bahnbrechend geltender Vertrag zustande, der zu einer Entkrampfung im Verhältnis zwischen Iran und dem Westen führte. Wäre damals nicht Rouhani Präsident gewesen, wäre der Vertrag wahrscheinlich nicht zustande gekommen.
Dass drei Jahre später im fernen Washington Donald Trump befinden würde, das eigentlich Bewährte sei Mumpitz, den Vertrag zerriss und die Verhängung von «maximalem Druck», also Sanktionen, beschliessen würde, konnte damals noch niemand ahnen.
So oder ähnlich delegiert der betagte Khamenei wohl auch noch für den Rest seiner Amts- oder Lebenszeit (bei ihm, 85-jährig, fällt das eine wahrscheinlich mit dem anderen zusammen) viele wesentliche Details. In erster Linie an den Chef-Beamten-Staatspräsidenten.
Unterschiede zwischen Peseschkian und Dschalili
Schaut man sich die Biografien der beiden Konkurrenten, Massud Peseschkian und Said Dschalili, an und analysiert man deren Statements während der Kampagne, so zeigt sich: Es kann, auch wenn die Kompetenzen des Amtsinhabers begrenzt sind, für den Alltag der rund 85 Millionen Iranerinnen und Iraner eben doch einen wesentlichen Unterschied ausmachen, ob der eine oder der andere das Rennen machen wird.
Zum Beispiel: Peseschkian sagte, er betrachte die Art und Weise, wie das Regime in den letzten zwei Jahren mit Frauen umgegangen ist, als untragbar, als respektlos – die Institution der Sittenwächter (die mit ihren Minibussen die Städte verunsichern und Frauen, die kein Kopftuch oder dieses nachlässig tragen, willkürlich festnehmen) müsse abgeschafft werden. Dschalili dagegen bekräftigte in einer TV-Debatte und auch in Interviews seine bedingungslose Bewunderung für die Sittenwächter. Zweites, für Millionen Menschen in Iran wichtiges Thema: Peseschkian sagte, die (in den letzten Monaten periodisch verhängte) Zensur des Internets müsse aufgehoben werden. Dschalili dagegen forderte eher noch mehr Kontrolle des Netzes.
Offen zeigte sich Peseschkian in Bezug auf einen Dialog mit internationalen, auch westlichen, Mächten, über das Atomprogramm. Auch wenn er – da traf er sich dann wieder halbwegs mit den Positionen der Hardliner und auch jener seines Gegners für das Präsidentenamt – die Meinung vertrat, eine Wiederaufnahme von Verhandlungen mit der westlichen Grossmacht sei schwer vorstellbar. Dschalili seinerseits betrachtet eine Wiederaufnahme des Dialogs mit den Westmächten, insbesondere mit den USA, aber als überhaupt nicht zielführend, lehnt also neue Verhandlungen über das Atomprogramm pauschal ab.
Niedrige Wahlbeteiligung auch im zweiten Wahlgang?
Wer immer am 5. Juli das Rennen machen wird, er wird sich, wie erwähnt, darauf konzentrieren müssen, innerhalb des Systems koalitionswillige Partner zu finden, die, ihrerseits wiederum in der Lage sein müssten, Machtblöcke zu bilden. Die beiden früheren «Reform»-Präsidenten, Mohammed Khatami und Hassan Rouhani, scheiterten dabei beide.
In der heutigen Situation lautet die Herausforderung: Wer innerhalb des verkrusteten Systems und in Anerkennung der Fast-Allmacht des geistlichen Führers, Ayatollah Khamenei, irgend etwas bewegen will, muss einen Block von Konservativen im Parlament plus einen Kern von Meinungsmachern bei den Revolutionswächtern für sich gewinnen. Für eine relativ reformerisch eingestellte Persönlichkeit wie Peseschkian wäre das fast unmöglich. Also, die Erfolgschancen sind gering, auch wenn er die Wahlen gewinnen sollte. Für Dschalili wäre es einfacher. Nur – sollte er gewählt werden – wird das System Irans nochmals für mehrere Jahre hinaus erstarren.
Die Mehrheit der Iranerinnen und Iraner ist sich dieser Problematik offenkundig bewusst – kein Wunder also, dass am ersten Wahlgang nur 40 Prozent teilnahmen, oder anders interpretiert, dass sich die Mehrheit dem Prozedere verweigert hat. Wird sie sich am 5. Juli, beim entscheidenden zweiten Wahlgang, ähnlich verhalten?