„What a wonderful day for democracy!“ lautete ein Tweet am Freitagmorgen, als sich die Wahlniederlage des srilankischen Präsidenten Mahinda Rajapakse abzuzeichnen begann. Er traf genau meine Gefühlslage. Es war das schönste Beispiel, wie eine Demokratie einen Diktator aushebeln kann. Trotz absoluter Kontrolle der staatlichen Institutionen, einer gefügigen Wirtschaft, trotz gefesselter Medien und eines repressiven Polizeiapparats hatte eine Mehrheit der Stimmbürger den Mut, ihren selbsternannten ‚Bodhisattva’ – die Inkarnation Buddhas – ins politische Jenseits zu verbannen.
Es war auch Glück dabei. Hätte sich nach der Ankündigung einer vorgezogenen Präsidentenwahl im November 2014 nicht eine Gruppe von Rajapakses Gefolgsleuten von ihm losgesagt und Gesundheitsminister Maithripala Sirisena als Herausforderer auf den Schild gehoben, wäre Rajapakse heute auf gutem Weg, Präsident auf Lebenszeit zu werden. Die Opposition war zerstritten und eingeschüchtert, die Wirtschaft florierte, und die Dreiviertelmehrheit der Singhalesen schwamm im Bad ethnischer Überlegenheit, das ihnen der Rajapakse-Clan angerichtet hat.
Selbstüberheblichkeit und Realitätsverlust
Der Präsident nahm den Verrat zunächst auf die leichte Schulter. Er nannte sie lachend die ‚Hoppers-Verschwörung’, denn sie platzte am Tag nach einer gemeinsamen Mahlzeit mit Sirisena und dessen Gesinnungsgenossen, bei der auch diese Reis-Omelette serviert worden war. Die Achillesferse jedes Diktators – Selbstüberheblichkeit und Realitätsverlust – wurde auch Rajapakse zum Verhängnis. Er fiel aus allen Wolken, als seine engsten Gesinnungsgenossen ihm „in den Rücken“ fielen. Hoppers sind auch Sri Lankas Nationalgericht, und der herangezogene Vergleich zeigte, wie sehr ihn der Verrat getroffen hatte.
In den folgenden Wochen stellten Parteigenossen sicher, dass sich die Miene des verratenen Führers aufhellen konnte. Überall, wo Rajapakse auftrat, waren die Stadien und Plätze berstend voll, die neugebauten Autobahnen verstellt von Plakaten mit seinem Konterfei. Was sie nicht zeigten waren Hunderte von parkierten Bussen, mit denen Rajapakses Zuhörer herangekarrt wurden. Wenn das Fernsehen den Verräter Sirisena ins Bild setzte, dann meist vor dem Hintergrund leerer Sportplätze und dünner Besucherränge.
Schriller Spott
Nur die Meinungsumfragen zeigten eine andere Realität. Je näher der Wahltermin rückte, desto mehr näherten sich auch die Sympathiewerte der beiden Kontrahenten an. Der Gefahrinstinkt des politischen Emporkömmlings meldete sich wieder zu Wort. Rajapakses Spott über seinen Widersacher wurde immer mehr zur schrillen Denunziation, er zeichnete das Gespenst neuer ethnischer Unruhen an die Wand, er kündigte Steuersenkungen an, mehr regionale Autonomie.
Sogar eine Untersuchungskommission über mögliche Verbrechen in der letzten Schlacht gegen die tamilischen Ultras der LTTE wollte er einsetzen. Bisher hatte er eine solche immer abgelehnt. Die Schätzungen der Uno, wonach damals bis zu 40'000 Zivilisten von Armeeangehörigen umgebracht worden waren, hatte er als Propaganda-Coup von Exil-Tamilen abgetan. Und er wurde nicht müde, auf die neuen Autobahnen, Häfen, Stadien, die Flugplätze und Hotelbauten, die Auslandsinvestitionen und Touristenzahlen hinzuweisen. Waren sie nicht der Beweis, dass auch das Ausland auf Sri Lanka setzte, dass dessen strategische Bedeutung endlich respektiert wurde?
40 Familienmitglieder an der Macht
All dies ist tatsächlich Realität und kein Potemkinsches Dorf. Es bildete die schier uneinnehmbare politische Festung von zehn Jahren Rajapakse-Herrschaft. Sirisena musste daher aufpassen, dass er nicht gegen Windmühlen antrat und sich dabei der Lächerlichkeit preisgab. Doch er war lange genug im Dunstkreis des Präsidenten gewesen und kannte die Schwachstellen. Und er machte zwei vermeintliche Trumpfkarten aus, die nicht mehr stachen.
Da war einmal der Rajapakse-Clan, der sich im Präsidialhaus ‚Temple Trees’ eingenistet hatte. Die beiden Brüder Basil und Gotabaya waren Superminister für Verteidigung und Wirtschaft und kontrollierten damit die wichtigsten Pfeiler der Macht. Ein weiterer Bruder war Parlamentspräsident und sollte dem Familienältesten Rückendeckung geben. Der älteste Sohn war Abgeordneter im Parlament und lernte dort die politischen Ränkespiele, die Rajapakse II. brauchen würde. Rund vierzig Familienmitglieder mischen an administrativen Schlüsselstellen mit.
Quasi absolute Gewalten
Abgesichert wurde diese Familienherrschaft durch den 18. Verfassungszusatz, mit dem Rajapakse vor zwei Jahren die Sperre für eine dritte Amtszeit durchbrach und der dem Präsidenten quasi absolute Gewalten einräumte, nicht zuletzt gegenüber der Justiz.
Diese Macht spielte er denn im Duett mit einer Weltmacht aus, die sich um demokratische Spielregeln ebenfalls nicht kümmert. Um den westlichen Nörgler-Staaten und Menschenrechtsfanatikern zu entgehen warf sich das Regime China in die Arme. Diese sprachen weiche Kredite, bauten Autobahnen, Häfen und Hotels. Die bevorzugte Lage war neben Colombo der Südwesten der Insel, die Heimatregion der Rajapakses. Als Präsident Xi Jinping im Herbst 2014 seinen neuen Vasallen besuchte, unterzeichneten die beiden Präsidenten mehr als zwei Dutzend Vorverträge für weitere Projekte.
China, zum Wahlkampfthema gemacht
Aber auch den Chinesen fehlen die demokratischen Signale, die politische Grenzverletzungen frühzeitig anzeigen. Zwei Wochen vor Xis Visite legte ein chinesisches U-Boot im neuerbauten Containerterminal – in Mehrheitsbesitz chinesischer Staatsfirmen – an, ohne Voranmeldung. Dies war nicht nur für Indien und den Westen zu viel; auch vielen Srilankern wurde diese Arroganz ungemütlich.
Das Regime stellte sicher, dass es zu keinen anti-chinesischen Kundgebungen kam. Aber im Wahlkampf machte Sirisena Chinas Auftrumpfen zum zweiten grossen Wahlkampfthema neben der Clan-Wirtschaft. Er verband es mit dessen Gier der Rajapakses, die bei diesen Aufträgen mitverdienen. Er nannte es finanzielle ‚Schuldknechtschaft’ gegenüber China – die ‚Financial Times’ sprach von 5 Milliarden $ angelaufenen Schulden – und verglich sie mit der britischen Kolonialherrschaft.
Zurück zur parlamentarischen Demokratie
Die Ursache machte Sirisena in der undemokratischen Natur des Regimes aus. Das Wahlmanifest der Vereinten Demokratische Front versprach, den 18. Verfassungszusatz rückgängig zu machen und von einer Präsidialherrschaft wieder zu einer parlamentarischen Demokratie zurückzukehren, ohne Einflussnahme auf Justiz und Medien. Dies soll innerhalb der ersten hundert Tage Regierungszeit geschehen.
Das ist allerdings ein schier uneinlösbares Versprechen. Verfassungsänderungen erfordern die Zustimmung von zwei Dritteln der 225 Parlamentarier. Rajapakses Freiheitspartei SLFP verfügt aber mit 135 Abgeordneten immer noch über eine solide Mehrheit. Es ist also wahrscheinlich, dass es im Lauf dieses Jahres zu Parlamentswahlen kommen wird, es sei denn, die SLFP beginnt sich vom Präsidentenclan zu distanzieren.
Keine Hoppers
Dies ist nicht wahrscheinlich, denn die Singhalesen im ländlichen Süden wählten solide für Rajapakse. Es waren die Minderheiten – die Tamilen und Muslime – die Sirisena die nötigen drei Sieges-Prozente brachten. Sie gaben diesem rechtsnationalen Singhalesen ihre Stimme, genauso wie es die Muslime taten, die unter Rajapakse ebenfalls Zielscheiben buddhistischer Kampftrupps geworden sind. Dabei hatte Sirisena den Tamilen nicht einmal mehr Autonomie versprochen. Aber ihre Schlüsselrolle bei Sirisenas Sieg wird diesen Erwartungen nun Nahrung geben.
Es wird sich bald zeigen, ob Sirisena – einmal die Zielscheibe eines LTTE-Attentats – bereit ist, über den Schatten des singhalesischen Suprematismus zu springen, den er früher vertreten hatte. Denn auch ihm verdankt er – mit den Stimmen von Buddhisten und JVP-Nationalisten – seinen Sieg. Das ist aber jetzt noch Zukunft, denn was für alle zählt, ist die Wegwahl Rajapakses. Es ist nicht wahrscheinlich, dass der neue Präsident dafür den Rat von Astrologen einholt, wie es sein Vorgänger getan hatte, als er im Herbst vorgezogene Wahlen angekündigt hatte. Und bei der Siegesfeier wird er wohl kaum Hoppers servieren.