Seit Monaten umwarb das Swiss Tourism Büro in Bombay fast nur einen Kunden: Er heisst Mukesh Ambani, und wie es sich für einen Gujerati Geschäftsmann gehört, spielte Ambani mehrere möglichen Standorte für die Verlobungsparty seines Sohns Akash gegeneinander aus. Denn es ging um einen Auftrag von geschätzten fünfzig Millionen Dollar.
Es wäre unfair zu behaupten, dass es nur Snob Appeal war, der den Zuschlag schliesslich bei St.Moritz landen liess. Swiss Tourism musste, so meine Informationen, etliche Rotlichter und Stoppsignale aus dem Weg räumen, um dem Ambani-Clan und dessen Hofstaat den königlichen Einzug ins Weltdorf freizuschaufeln. An diesem Wochenende steigt die mehrtägige Monsterparty.
Eine Milliarde Inder schauen nach St. Moritz
Einheimische und betuchte Gäste mögen die Nase rümpfen über solche devote Hofknicks und die kurzfristige Verpachtung ihres Ferienparadieses. Vielleicht tröstet es sie aber, dass inzwischen auch eine Milliarde Inder zuschauen dürfen, wie ihre demokratische sozialistische Republik an Herrn Ambani verpachtet wird. Der Stromverbrauch in seinem Eigenheim entspricht dem Verbrauch von 12’000 armen Dörfern.
An Mukesh Ambani und seinem Firmenkonglomerat Reliance Industries kommt heute niemand mehr vorbei. Sein Goldesel ist das Energie-Kombinat rund um die Erdölraffinerie von Jamnagar in Gujerat. Er hat sie quasi eigenhändig aus dem Boden gestampft und rundete damit die Vorwärts- und Rückwärtsintegraton der Firma ab, die sein Vater eingeleitet hatte.
Dhirubhai Ambani hatte mit dem Hausieren von Nylon-Saris in den Chawls von Bombay erste Ersparnisse gemacht. Damit stieg er in die Textil-Fabrikation ein. Mit noch einem Schritt zurück expandierte er in synthetische Textilfasern; und von da in die Petrochemie.
Auch Bananen und Zahnpasta
Mukesh setzte die „backward integration“ fort. Er stellte eine Erdöl-Raffinerie von 27 Millionen-Kapazität auf die Beine, stieg, da diese „gefeuert“ werden musste, ins Thermalkraftwerk-Business ein. Der nächste Schritt war – logischerweise – Erdöl-Prospektion (in der Bucht von Bengalen), bald einmal auch die Öl- und Gasförderung, und daran angegliedert deren Transport und Handel.
Einmal der Platzhirsch in Rohstoffgewinnung und -verarbeitung, warum nicht auch in den „Downstream“-Aktivitäten den Meister zeigen? Und warum nur Erdölprodukte verkaufen und nicht voll in den Einzelhandel einsteigen, mit Bananen, Zahnpasta, Glühbirnen und allem dazwischen? Bald schon gab es einen gigantischen Tante-Emma-Laden namens Reliance Retail. Es ist heute die grösste Einzelhandelsfirma des Landes.
Flankierende Massnahmen sind notwenig und selbstverständlich. Wie sein Vater wusste Mukesh, wie man die Regierung dazu bringt, lästige Konkurrenz aus dem Ausland vom Leib zu halten. Erst als Reliance Retail eine kritische Grösse erreicht hatte, lockerte der Staat die Zugangsschranken für Konkurrenten wie IKEA, Walmart, Tesco, METRO u. a.
Kräfte verzettelt
Nur in einem Gebiet schien Mukesh Ambanis Fussabdruck kaum erkennbar: Es gab weder Reliance Software noch Reliance TV, und damit auch kein Reliance E-Commerce. Ein Grund lag darin, dass bei der Teilung des Imperiums nach dem Tod des Vaters der jüngere Sohn Anil die Telekomfirma Reliance Communications (RCom) übernommen – und die Brüder ein „no compete agreement“ vereinbart hatten.
Doch eine Verletzung dieses informellen Konkurrenzverzichts liess sich nicht rechtlich anfechten. Je mächtiger die digitale Ökonomie auch in Indien auftrat, desto mehr zerrte Mukesh an seinen Fesseln.
Zudem: War nicht er es gewesen, der RCom gross gemacht hatte, als die Brüder noch gemeinsam firmierten? Und was hatte sein jüngerer Bruder getan, nachdem er sich bei der Güterteilung RCom unter den Nagel gerissen hatte? Viel Kapital verschleudert, riesige PR-Kampagnen lanciert, seine Kräfte verzettelt, sich über die Ohren verschuldet – und war auf die Nase gefallen. Im Kampf mit den grossen Konkurrenten Vodafone und Airtel landete Anil Ambani abgeschlagen auf Platz drei.
Das nächste Netflix?
2015, kurz nach der Regierungsübernahme durch den Gujeraten Narendra Modi, schlug Mukesh Ambani los. Er erklärte allen Dreien den Krieg – und zwar gleich flächendeckend. Die Kriegskasse: drei Milliarden Dollar. Vier Jahre später ist Jio mit 125 Millionen Abonnenten die grösste Telekom-Firma des Landes. Nicht nur dies: Mit seinen Dumping-Preisen hat Ambani RCom, Vodafone und Airtel mit noch mehr Schulden überladen und ihre Konkurrenzfähigkeit lahmgelegt. Proteste bei der Regierung fruchteten erwartungsgemäss nichts.
Ambani lässt es damit nicht bewenden. Inzwischen wächst weltweit die technische und finanzielle Integration aller Kommunkationsformen rasch voran. Jio will darin einer der ganz grossen Spieler werden. Fürs erste tun sich Jio und Reliance Retail zusammen und fordern Amazon und den zweiten E-Commerce-Riesen Flipkart heraus.
Inzwischen hat sich Mukesh mit dem Kauf von TV18Viacom und einem Schwall von Regionalkanälen ein Fernsehimperium gebastelt. Zudem besitzt er die teuerste Cricket-Mannschaft des Landes, er hat Lizenzen für sportliche Grossanlässe. (Und seine Frau Nita ist Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees, obwohl sie sportlich nur Cheerleader-Erfahrung vorweisen kann.) Zusammen mit einem Filmstudio und den Sport-Franchisen kann er so Content liefern und diesen über seine multiplen Kanäle verbreiten. Und, oh, bevor ich’s vergesse: Jio Movies soll das nächste Netflix werden.
Mit Billigware abgespiesen
Mukesh Ambanis Geschäftsmodell ist einfach: Indien hat 1,3 Milliarden potentielle Kunden. Die meisten sind arm. Die Goldene Regel: Wertschöpfung durch hohes Volumen und tiefe Preise. Die Kehrseite: Kunden, einmal am Futtertrog, werden mit Billigware abgespiesen. Die Läden sind oft schäbig, der Service minimal. Die Lieferanten werden gegeneinander ausgespielt, sie klagen (unter der Hand) über erpresserischen Preisdruck. Doch wen kümmert’s? Sicher nicht den Monopolisten.
Und was ist aus Bruder Anil geworden? In seinem Eifer, den älteren Bruder auszustechen, hat er sich in Dutzenden von Geschäftsbereichen verzettelt und immer mehr verschuldet. Heute ist seine Firma praktisch bankrott. Früher wäre das nicht schlimm gewesen. – Gläubiger waren meist staatliche Banken, und diese (bzw. der Staat) schrieben bei politisch gut vernetzten Schuldnern die Ausstände ab. Und die Ambanis sind weissgott gut vernetzt.
Doch nun hat sich die Lage geändert. Die meisten Staatsbanken sind so tief verschuldet, dass der ganze Bankensektor inzwischen in Schieflage geraten ist. Ein neues Bankrottgesetz sieht zudem eine rasche Liquidation einer zahlungsunfähigen Firma vor, und es hat die persönliche Haftung verschärft.
Im Staub kriechen lassen
Anil Ambanis Firmenkonglomerat gehört zu den grössten Schuldnern des Landes. Seine Ausstände werden auf fünf Miliarden Dollar geschätzt. Über die Hälfte davon lastet auf RCom. Der rettende Anker wäre Bruder Mukesh, der vor allem an der Spektrum-Lizenz von RCom interessiert ist. Aber Mukesh lässt seinen Bruder im Staub kriechen – er will nur die Firmen-Aktiva übernehmen, nicht den Schuldenberg.
Nicht einmal Premierminister Modi scheint imstande, Mukesh umzustimmen. Der Premierminister ist auch mit Anil befreundet und will ihm wohl in der Not beistehen. Etwa so: Beim anstehenden Kauf von französischen Rafale-Kampfbombern wurde der vorgesehene staatliche Unter-Akkordant von Dassault, Hindustan Aeronautics Ltd. (HAL), plötzlich abgehalftert. An die Stelle von HAL trat eine Firma namens Reliance Defence. Laut Presseberichten hat sie keinerlei Erfahrung mit Waffentechnologien. Ihr Promoter: der Bankrotteur Anil Ambani.
Mukesh lässt seinen Bruder zwar zappeln, aber das heisst nicht, dass er nicht zum Tanz geladen ist. Bei der Hundert-Millionen-Hochzeit von Mukeshs Tochter in Udaipur stampfte und schwitzte Anil auf der Bühne im Takt der dröhnenden Bollywood-Musik. Vielleicht wurde er, schnödete ein Freund, für seinen Auftritt bezahlt, wie die anderen Filmstars. Wird er auch in St. Moritz dabei sein? Ein bisschen frische Luft täte dem Marathonläufer sicher gut, nach den überfüllten und schlechtgelüfteten Gerichtssälen.
Im pelzausgelegten Hochsitz
Überdies könnte AA bald Gefängnisluft einatmen. Am Mittwoch wurde er vom Obersten Gericht abgekanzelt, weil er drei gerichtlichen Zahlungsterminen nicht gefolgt ist. Neben einer saftigen zusätzlichen Busse für „contempt of court“ servierte ihm Richter Nariman ein Ultimatum: Entweder du zahlst (eine relativ geringe Forderung des ehemaligen Technologie-Lieferanten Ericsson) oder du wanderst für drei Monate ins Kittchen.
Es sei denn, König Mukesh im pelzausgelegten Hochsitz über dem St. Moritzer See zeigt sich gnädig, lädt den kleinen Bruder zur Stag Night seines Sohnes ein und bezahlt sein Flugticket. Die nächste Folge des Game of Thrones ist angesagt. Diesmal liegt Winterfell im Engadin.