„Diese Hochzeit wurde im Himmel beschlossen“, hatte der eine Partner gezwitschert. Und prompt kam die Twitter-Antwort des andern: „... und auf Erden geschlossen.“ Mitte Januar kam es zur Trau-Zeremonie zwischen Indien und Israel, als Israels Premierminister Benjamin Netanjahu in Delhi war, ein halbes Jahr quasi nach der Verlobung, als Narendra Modi Israel besucht hatte.
Drei Tage Honigmond
Die beiden ausführenden Schausteller zählen bekanntlich zur Spezies der Alpha-Tiere. So kam es bei der Begrüssung zu einer etwas verkrampften Umarmung, da beide darauf aus waren, den anderen in die Arme zu schliessen, ihn quasi zu verschliessen. Am andern Tag hatte die Protokoll-Abteilung dazugelernt. Netanjahu, der Gast, lief mit hängenden Armen auf Modi zu; und dieser machte von seinem Gastgeberrecht Gebrauch, den anderen mit weit ausgebreiteten Armen an seine Brust zu ziehen.
Was folgte, waren drei Tage Honigmond. Der Taj Mahal für das Ehepaar Netanjahu, ein Spaziergang entlang der Flusspromenade des Sabarmati in Ahmedabad, ein bisschen Handspinnen im Gandhi-Ashram, Bollywood-Gala in Bombay, Schweige-Minuten an Gandhis Grab, Kranzniederlegung vor einem Gedenkmal für indische Soldaten, dann im Chabad-Haus in Bombay, einem der Schauplätze des Terrorangriffs vom 26.11.2008.
Erodierender arabischer Machtblock
Es gab natürlich auch bilaterale Gespräche, und diese liessen ahnen, dass Indien und Israel einander tatsächlich einiges zu bieten haben. Dies gilt in erster Linie für israelische Technologien, die gut auf den grossen Nachholbedarf des asiatischen Giganten abgestimmt sind. Es sind Sicherheits- und Waffensysteme, Robotik und Telematik. Aber auch landwirtschaftliche Technologien sind hier sehr gefragt, etwa um Wasser zu sparen, oder hybride Saatgüter zur besseren Produktivität in Dürrregebieten.
Mit einer verbesserten Abstimmung ihrer jeweiligen Aussenpolitik können beide Länder darüber hinaus ihre strategischen Interessen besser wahrnehmen. Israel nutzt jede Gelegenheit, seine regionale Isolation zu überwinden. Der arabische Machtblock ist, nicht zuletzt dank der Rivalität zwischen Iran und Saudi-Arabien, am Zerbröckeln. Dies ist eine Gelegenheit, Indiens starke diplomatische Anbindung an die islamischen Nationen zu lockern, gerade was Iran angeht.
Der Moment scheint günstig. Die hindu-nationalistische Regierung mit ihrer ausgeprägten Abneigung gegen die eigene muslimische Minderheit sieht in der Freundschaft mit den Golfstaaten vor allem eine Zweckehe. Sie gründet auf der Abhängigkeit von mittelöstlichem Erdöl, auf dem lukrativen Job-Markt der Golfregion für Millionen seiner Arbeiter sowie auf Indiens Hunger auf Petrodollar für seine unterentwickelte Infrastruktur.
Persönliche Nähe
Der politisch-ideologische Machtwechsel in Delhi hat die jahrzehntelange kühle Distanz Delhis zu Tel Aviv aber beendet. Die traditionell pro-arabische und israel-kritische Haltung der Kongresspartei ist der pragmatischen der BJP gewichen. Indien hatte Israel 1948 als einer der ersten Staaten diplomatisch anerkannt. Aber es dauerte über vierzig Jahre, bis es zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen und einem Botschafteraustausch kam.
Narendra Modis Reise nach Israel im Juli letzten Jahres war der erste Besuch eines indischen Regierungschefs überhaupt. Er wurde denn auch mit dem Zeremoniell für einen Staatspräsidenten empfangen. Die stimmige persönliche Chemie zwischen den beiden Spitzenpolitikern half mit, diese Courtoisie auch beim Gegenbesuch einzusetzen und die bilaterale Beziehung über den üblichen diplomatischen „Courant normal“ zu heben.
Gewichtsverschiebung
Die grossräumigen ideologischen Veränderungen nach dem Ende des Kalten Kriegs der letzten zwanzig Jahre förderten ebenfalls eine Annäherung. Von der alten Blockfreien-Solidarität zwischen Arabern und Delhi ist wenig übriggeblieben, im Gegenteil. Mit dem allmählichen Wachstum des Islamismus in der arabischen Welt hat sich Pakistan immer stärker als bevorzugter Partner der Golfstaaten profiliert. Die frühere arabische „Äquidistanz“ zu den beiden südasiatischen Rivalen ist aufgehoben. Dies zeigt sich etwa in der Kaschmir-Frage, bei der die Organisation Islamischer Staaten lautstark Islamabads Forderung nach einem Plebiszit unterstützt.
Diese Gewichtsverschiebung gilt allerdings nicht für Iran. Iran verdächtigt seinen Nachbarn Pakistan, in dem die sunnitische Scharia als Grundgesetz gilt, die eigene schiitische Minderheit zu diskriminieren, wenn nicht gar zu verfolgen. Teheran und Delhi haben zudem ähnliche Vorstellungen in Bezug auf Afghanistan, wo beide auf ein Zurückbinden der pakistanischen Hegemonie-Ansprüche hinarbeiten. Schliesslich bietet Iran Indien einen zuverlässigen Transit nach Zentralasien, nachdem die alten Seidenstrassen-Routen durch Pakistan und ein instabiles Afghanistan auf lange Dauer blockiert sein werden.
Dissonante Begleitgeräusche
Iran hat sich bekanntlich zu Israels Intimfeind entwickelt. Gerade der Blick auf das jeweilige Verhältnis der beiden Länder zu Teheran zeigt, dass die indisch-israelische „Traumehe“ vielleicht doch nicht im Himmel abgesegnet worden ist. Im Vorfeld des Netanjahu-Besuchs zitierten indische Medien eine Kolumne der israelischen Zeitung Haaretz. Diese hatte statt einer Liebesheirat boshaft von einer „Affäre“ gesprochen und damit insinuiert, dass wie so viele andere Affären auch diese kurzfristig ein Ende nehmen könnte.
Doch Realpolitik kann ideologische Affinitäten und diplomatisches Liebestuscheln rasch beiseite fegen. Als die Uno-Generalversammlung im Dezember über eine Verurteilung der USA wegen der Botschafts-Umsiedlung abstimmte, schlug sich Indien ins Lager der ablehnenden Mehrheit, statt sich, wie von Israel und den USA erhofft, der Stimme zu enthalten.
Dissonante Begleitgeräusche kamen hinzu. Der Zufall wollte es, dass nur zwei Tage vor Netanjahus Eintreffen der indische und iranische Transportminister einen Vertrag für die Lieferung von Lokomotiven und Rollmaterial nach Iran unterzeichneten. In seinen Abschlussworten sprach Minister Nitin Gadkari vom gemeinsamen Plan, den iranischen Hafen von Chabahar mit einer Eisenbahnlinie nach Zentralasien zu verbinden, „in line with India’s goal to connect to Central Asia and ultimately to Europe“ – Indiens Gegenstück zu Chinas OBOR-Initiative.
Noch eine Ehe im Himmel
Trotz der wortreichen Schalmeien des Netanjahu-Besuchs zeigten diese Zwischengeräusche, dass die Regierung den Eindruck vermeiden wollte, von Israel über den Tisch gezogen zu werden. Indien mag Israels grösster Rüstungskunde sein; dies hinderte Delhi jedoch nicht daran, den Vertrag für die Lieferung von 8’000 israelischen Spike-Anti-Tankgeschossen kurz vor Netanjahus Ankunft zu künden.
Möglicherweise war dies nur Teil des üblichen Geschäftspokers, mit dem der eine Partner versucht, bessere Bedingungen auszuhandeln. Narendra Modi stammt bekanntlich aus Gujerat, das stolz ist auf seine Geschäftskasten, die selbst aus Stein Wasser zu pressen verstehen. Ich erinnere mich an die Definition, die mir ein Bania einmal von seiner Kaste gegeben hat: „Ein Bania kann von einem Juden kaufen und einem Schotten verkaufen – und macht immer noch einen Gewinn.“
Und was die Liebesheirat angeht, weiss man, dass eheliche Gelübde, im Geschäft wie in der Politik, ein Gut mit beschränkter Geltung sind. Dies zeigte sich ausgerechnet in Israels Verhältnis zu China, Indiens Rivalen. Wie viele andere Länder will auch Tel Aviv vom OBOR-Jahrhundertvorhaben profitieren. Im März letzten Jahres reiste Netanjahu eigens nach Beijing und pries dort Präsident Xi Jinpings Initiative. Der Indian Express ging der Sache nach und entdeckte im Archiv folgenden Ausspruch Netanjahus: „We are your perfect junior partner ... I believe this is a marriage made in heaven.“