Alte Pianos, flackernde Kerzen, stumpfe Bleistifte und ein Gorilla. Ob aus dem Sammelsurium Kunst wird? Der Film «Zilla» von Iwan Schumacher ist die Antwort.
Es gehört zur Faszination und Unverwechselbarkeit der Künstlerin Zilla Leutenegger, ihre Zeichnungen, Gemälde, Fotografien, Videos und Installationen nur andeutungsweise in Worte fassen zu können. Das Auge erkennt sofort sowohl das Ganze als auch die Einzelheiten und vermag jedes optische Signal vielfältig zu kombinieren. Eines bedingt das andere. An dieser spontanen Vernetzung scheitert die Sprache. Gegen die Gleichzeitigkeit künstlerisch wirksamer Kräfte kommt sie nicht an.
Die Gegenwartskunst prägend
Über die Person und die Erfolge von Zilla Leutenegger lässt sich hingegen mühelos schreiben. Dass sie 1968 in Zürich geboren wurde, die Handelsschule in Chur und die Textilfachschule in Zürich besuchte, Einkäuferin beim Warenhaus ABM war, hernach an der Hochschule für Gestaltung und Kunst studierte, in ihrer Geburtsstadt und im Misox arbeitet, seit Jahren in der Schweiz und im Ausland ausstellt, die Gegenwartskunst prägt und hohe Auszeichnungen erhielt. Das wird weiterhin der Fall sein.
Rätselhaftes, das Neugier weckt
Aber die Arbeiten Zilla Leuteneggers erschliessen sich verbal eben bloss unzureichend. Das Rätselhafte, das die Neugier weckt und zu Erklärungsversuchen herausfordert, bleibt. Das erhöhte die Spannung auf den der Künstlerin gewidmeten Dokumentarfilm von Iwan Schumacher. Denn seine Porträts sind meisterhaft.
Massgeschneiderte Konzepte
Zunächst einfach deshalb, weil er alles weglässt, was zur grassierenden Dreischritt-Monotonie der dramaturgischen Ordonnanz gehört: die kunstschaffende Person im Bild und Schnitt, schwärmende Zeitzeugen und Schnitt, kommentierte Kameraschwenks in allen Richtungen und Schnitt. Kunst zum Unterrichtsbehelf aufbereitet. Mit anmassender Deutungshoheit der Filmschaffenden, Bis hin zum Geschwurbel.
Das ist Iwan Schumachers Sache nicht. Er nimmt sich zurück. Das Interesse gilt den Künstlern. Er ergründet geduldig und vorurteilsfrei deren Eigenart und entwickelt daraus das gestalterische Konzept. Immer massgeschneidert neu.
Vertrauen in die starke Bildsprache
Er vertraut der Bildsprache. Präzise und stark muss sie sein. Denn er verzichtet auf den Kommentar, der nachliefert, was Kamera und Dramaturgie nicht einzufangen wussten.
Iwan Schumachers Porträtfilme etwa über Jean Odermatt, Markus Raetz, Urs Fischer und Walter Pfeiffer beweisen die cineastische Exzellenz. Psychogramme? Nicht im Sinne der Entkleidung, sondern der Entfaltung im Kontext der Kreativität. «Zilla» setzt diese Qualität fort. Erstmals mit einer Frau, mit Zilla Leutenegger.
«Espèces d’espaces»
Der Filmschaffende, der die Kunst beherrscht, und die Kunstschaffende, die sich aufs Filmische versteht, begegneten sich erstmals 2009 an der Art Basel. Iwan Schumacher fühlte sich von der Video-Installation «Rondo» magisch angezogen. Die Begeisterung blieb.
Im Hinblick auf Zilla Leuteneggers Einzelausstellung «Espèces d’espaces» im Bündner Kunstmuseum begleitete Iwan Schumacher die Künstlerin während dreier Jahre filmend, von 2019 bis 2021.
Poetische Privatwelt
Der knapp 63 Minuten lange Film konzentriert sich auf die Entstehung, Verwerfung und Weiterentwicklung dreier Kunstwerke: Auf zwei Mama und Papa symbolisierende Flügel aus dem Instrumentenfriedhof, auf einen herrschaftlichen Korridor aus der Kindheitserinnerung und einen männlichen Gorilla mit silbrig-grauem Rücken als Kellerbewohner namens ZillaGorilla.
Das klingt, als sei die Ausstellung ein verrücktes Sammelsurium. Tatsächlich handelt es sich um eine poetische Privatwelt zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen überbordender Fantasie und kontrollierter Realität, zwischen Intimität und öffentlicher Preisgabe.
Die drei zentralen Themen sind eingebettet in den Aufbau der Ausstellung, die sich Zilla Leutenegger mit Modellen und exakt bis ins Detail erarbeitet, immer wieder im Gespräch mit Museumsdirektor Stephan Kunz und dem Museumsteam. Wir sehen gespannt ein «work in progress» und gewinnen das Werkverständnis fördernde Einblicke ins Leben und Denken der Künstlerin.
Schumacher-Blick
Der Film, bei dem Iwan Schumacher und Aurelio Buchwalder die Kamera führten und Anja Bombelli die Montage besorgte, ist eine so vergnügliche wie geistbelebende Erkundung eines Teils der Gegenwartskunst. Mit Champagnerluft zum Atmen. Ohne didaktischen Volldampf. Ohne eine Künstlerin in eine interpretatorische Zwangsjacke zu stecken.
Der kunstgerechte und der Kunst gerecht werdende Film verdankt sich dem Schumacher-Blick: Menschen mit Respekt begegnen und wachen Sinnes herausfinden, was sie antreibt, bremst und letztlich aussergewöhnlich beflügelt.
«Zilla», koproduziert von der Schumacher & Frey GmbH mit dem SRF Schweizer Fernsehen, der RSI Radiotelevisione Svizzera und 3sat, geht mit Iwan Schumacher und Zilla Leutenegger ab 14. November auf Kino-Tour.