Wie gehen jüngere Menschen mit der heutigen Kommunikationsflut um? Wer die Ausstellung „Warnung: Kommunizieren gefährdet“ besucht, wird gleich beim Start aufgefordert – ähnlich einem Klinikeintritt –, einen elektronischen Check-up zu machen. Je nach Ergebnis beginnt der Ausstellungsbesuch durch eine anders gefärbte Eingangstüre. Bis jetzt haben gut 5000 BesucherInnen diesen Check-up gemacht. Journal21 publiziert erstmals Zwischenergebnisse. Befragt wird der Umgang mit den Medien Festnetz- und Mobiltelefon, E-Mails, Internet, Social Media und Presseprodukten. Die Zwischenauswertung zeigt, dass die Befragten - diese Medien zusammengezählt - im Durchschnitt mehr als 3,5 Stunden pro Tag nutzen. Am meisten Zeit verbringen sie mit dem Surfen im Internet (57 Min./Tag), mit dem Austausch über Social Media (49 Min./Tag) und mit E-Mail-Verkehr (43 Min./Tag). Journal21 befragte Ulrich Schenk, Kurator am Museum für Kommunikation.
Ulrich Schenk, welche Ergebnisse sind für Sie am erstaunlichsten?
Überrascht hat mich, dass E-Mails die Befragten mit Abstand am stärksten belasten. Rund ein Viertel der NutzerInnen schätzen die elektronische Post als eher oder sehr belastend ein. Beim Mobiltelefon sind hingegen nur 16 % dieser Auffassung. Obwohl das Handy damit auf Platz zwei liegt, finde ich den Prozentanteil recht tief. Ich habe eher damit gerechnet, dass das Mobiletelefon von einer Mehrheit als Hauptverursacher des Kommunikation-Overkills angesehen wird. Vielleicht ist das die typische Sicht eines Mittvierzigers, der das Handy zwar als sehr nützlich, aber bisweilen eben auch als Ärgernis wahrnimmt.
Wie repräsentativ sind diese ersten Umfragergebnisse?
Die Ergebnisse der Befragung sind im Rahmen der Möglichkeiten repräsentativ. Einerseits haben wir bei der Konzeption des Check-ups mit dem Institut für Soziologie der Universität Bern zusammengearbeitet, andererseits erreichen wir im Rahmen der Ausstellung eine hohe Zahl von Probanden. Das Sample ist mit rund 5000 Befragten bereits jetzt gross. Gleichzeitig muss man berücksichtigen, dass es sich bei den Erfassten um MuseumsgängerInnen, also um eine spezifische Gesellschaftsgruppe handelt. Da wir auch einige demographische Angaben erheben, wird man die Daten bei der Endauswertung besser einordnen können. Was weiter zu bedenken ist: Die abgegebenen Antworten beruhen auf einer momentanen Selbsteinschätzung. Da können natürlich Unschärfen vorkommen. Das ist aber bei jeder derartigen Befragung der Fall.
Kann man bereits schlüssig die Vermutung bestätigen, dass über 30-jährige anders kommunizieren als jüngere?
Ja, da gibt es tatsächlich gewisse Hinweise. Am klarsten zeigen sich die Unterschiede bei den Social Media, den sozialen Netzwerken im Internet. Personen unter 30 Jahren – die sogenannten Digital Natives, die mit digitalen Technologien aufgewachsen sind – nutzen Social Media rund eine Stunde pro Tag, etwa dreimal so lange wie die über 30-Jährigen, die Digital Immigrants. Die Natives stufen das Medium auch betreffend Spass und Nützlichkeit viel positiver ein als die Immigrants. Umgekehrt nutzen die Älteren E-Mail mit 56 Minuten pro Tag doppelt so intensiv wie die Jüngeren. Man kann dies als Anzeichen dafür interpretieren, dass es sich beim Medium E-Mail um ein Auslaufmodell handelt. Möglicherweise deuten diese Zahlen aber auch darauf hin, dass E-Mails für Menschen, die stärker im Berufsleben engagiert sind, wichtiger sind.
Ist Internet am Compi bzw. auf Smartphone noch immer dasselbe «Medium»?
Grundsätzlich schon, denn die Inhalte, die ich abrufen kann, bleiben ja die gleichen, unabhängig vom Gerät, das ich nutze. Allerdings verwischen die Grenzen zwischen den Medien zunehmend. Das Smartphone bietet mir alle Nutzungsmöglichkeiten, für die ich früher einen Computer benötigte. Das müssen wir bei der Interpretation der Befragungsergebnisse im Auge behalten. Wenn jemand beim Handy eine tägliche Nutzungsdauer von zwei Stunden angibt, heisst das nicht unbedingt, dass die Person zwei Stunden «nur» telefoniert. Sie kann auch E-Mails beantworten und sich über Internet oder Social Media informieren und austauschen.
Wird die Belastung durch bestimmte Kommunikationsmittel von den Altersklassen unterschiedlich wahrgenommen?
Ja, auch da gibt es Unterschiede. Die über 30-Jährigen fühlen sich von den Kommunikationsmedien grundsätzlich stärker belastet als die unter 30-Jährigen. Nur bei den Social Media stufen die Jüngeren die Belastung stärker ein als die Älteren. Das mag in erster Linie damit zusammenhängen, dass die Jüngeren Social Media intensiver nutzen als die Älteren.
Neue Medien sind aber oft auch boshafte Zeitfresser…
Eine Frage des Check-ups lautet: «Ich habe das Gefühl, dass ich zuviel Zeit verbringe mit…» Bis zu einem Viertel aller Befragten stufen die Zeit, die sie mit Internet, Social Media oder E-Mails verbringen, als zu hoch ein. Wobei die über 30-Jährigen das ungute Gefühl vor allem beim E-Mail verspüren, die Natives in erster Linie beim Internet und bei den Social Media. Telefonieren und Presseprodukte hingegen werden nur von rund jedem 15. der Befragten als «Zeitfresser» angesehen.
Wann wird Belastung zur Belästigung?
Den Aspekt der Belästigung – zum Beispiel durch Werbung, durch Spam-Mails oder durch die Handynutzung im öffentlichen Raum – erheben wir im Check-up mit spezifischen Fragen. Die Ergebnisse dazu haben wir bei der ersten Zwischenauswertung aber noch nicht berücksichtigt. Sie werden zu einem späteren Zeitpunkt sicher interessante zusätzliche Erkenntnisse zum Medienumgang der Befragten liefern.
Das Handy macht uns überall erreichbar – aber müssen wir denn immer erreichbar sein? Gibt es auch dazu Antworten?
Auf die Frage «Ich habe das Gefühl, dass ich immer erreichbar sein muss» haben rund ein Drittel der Befragten mit «trifft oft zu» oder «trifft sehr oft zu» geantwortet. Auch hier sind die unter 30-Jährigen stärker vertreten, sie machen rund zwei Drittel der Antworten aus. Wenn wir das Handy im Speziellen anschauen, geben fast ein Viertel der Nutzerinnen und -nutzer an, dass sie ihr Gerät selten ausschalten. Jeder Zehnte schaltet das Mobiltelefon gar nie aus, also weder im Kino, im Konzert, in der Schule noch nachts. Der Anteil der unter 30-jährigen macht hier gut drei Viertel der Antworten aus. Grundsätzlich zeigen die Zahlen, dass die Digital Natives eher gewillt sind, immer erreichbar zu sein.
Und wie steht es mit den Printmedien? Haben die quasi verspielt?
Fast neun von zehn Befragten geben an, dass sie Presseprodukte konsumieren. Das ist ein erfreulich hoher Wert. Allerdings ist die Nutzungsdauer im Vergleich mit den anderen erfassten Kommunikationsmedien eher tief: Die über 30-Jährigen verbringen täglich rund eine halbe Stunde mit Printmedien, die unter 30-Jährigen 23 Minuten – immerhin drei Minuten mehr als es die führende Pendlerzeitung der Schweiz in ihrem Titel vorgibt… Bezüglich der Einschätzung der Nützlichkeit halten die Pressprodukte mit den übrigen Medien mit, betreffend Spass liegen sie sogar an zweiter Stelle, knapp hinter dem Internet. Das ist doch überraschend. Zudem wird die Presse als das Medium angesehen, das am wenigsten belastet. Interessant ist, dass es bei diesen Beurteilungen nur geringe Unterschiede zwischen den beiden Altersgruppen gibt.
Was passiert mit den Daten?
Die Befragung läuft bis zum Ende der Ausstellung Mitte Juli 2012 weiter. Bis dahin erwarten wir rund 30'000 Teilnehmende. Das Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der Hochschule St. Gallen hat uns bereits angefragt, ob wir die erhobenen Daten nach Abschluss der Ausstellung für eine wissenschaftliche Auswertung zur Verfügung stellen könnten. Für uns ist es natürlich sehr erfreulich, dass wir im Rahmen der Ausstellung empirische Daten generieren, die für die Sozial- und Medienforschung von Interesse sind. Wir sind gespannt, was sich daraus ergeben wird.
„Warnung: Kommunizieren gefährdet!“ Noch bis 15. Juli 2012 im Museum für Kommunikation, Helvetiastrasse 16, Bern. www.mfk.ch