Im Gedenken an den fast zwei Jahrhunderte dauernden Kampf um Anerkennung homosexueller Lebensformen war 1985 in Berlin das Schwule Museum gegründet worden: in einem Hinterhof am Kreuzberger Mehringdamm gelegen, schäbig und viel zu eng, aber in seiner Art einmalig auf der Welt. Nun hat sich das Museum von seinen eigenen Anfängen gelöst und ist vom Hinter- ins Vorderhaus und vom etwas verruchten Kreuzberg ins gediegene Tiergarten-Viertel gezogen. Nach sechsmonatigem Umbau einer ehemaligen Druckerei konnten die neuen, fast doppelt so grossen Räumlichkeiten in Besitz genommen und die drei neu konzipierten Ausstellungen eröffnet werden. Zusätzlich zu den Ausstellungsräumen im Parterre bietet das Haus in der Lützowstrasse im Obergeschoss optimale Bedingungen für die internationale Fachbibliothek und die umfangreichen Archivbestände des Museums, die der Öffentlichkeit zur Benutzung offen stehen. Möglich wurde diese Erweiterung des Museums dank der Förderung durch das Land Berlin, die Kulturstiftung der Länder, den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung sowie die Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin. Einen „Quantensprung“ nannte Berlins Regierender Bürgermeister in seiner Begrüssungsrede den Umzug des Schwulen Museums von Kreuzberg an den Tiergarten. Damit, so meinte er, sei die Regenbogen-Community im wörtlichen Sinne in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Sie verstecke sich nicht mehr im Hinterhof, sondern zeige sich für jeden sichtbar hinter einer grossen Fensterfront als Zeichen von Selbstbewusstsein und gesellschaftlicher Anerkennung, die, so Klaus Wowereit, trotz allem Fortschritt noch immer nicht überall und in allen Kreisen selbstverständlich seien.
Dass im Schwulen Museum Berlin aber nicht nur die Räumlichkeiten, sondern auch die Konzepte neu sind, zeigt ein erster Blick in die drei aktuellen Ausstellungen. Vor allem die Schau „Transformation“, die interimistisch die alte, historisch ausgerichtete Dauerausstellung ersetzt, macht klar, wohin die Reise gehen soll. Nicht mehr die Schwulengeschichte mit ihrem Kampf um Emanzipation und Akzeptanz steht im Zentrum, sondern – der Titel deutet es an – das viel weiter gefasste Thema der Geschlechterordnung und Geschlechteridentität in all ihren mannigfaltigen Erscheinungsformen. Die Ausstellung sei, so heisst es im Pressetext, „eine assoziative Reise durch die vielen Transformationen, welche die LGBTIQ (LesbianGayBisexualTransIntersexQueer) Communities und ihre Akteur_innen in ihrer Geschichte durchlaufen haben: sie skizziert Lebensentwürfe und Identitäten jenseits der heteronormativen Geschlechterordnung, beleuchtet Siege und Niederlagen, die Kreativität und den Eigensinn der Beteiligten, aber auch ihre schwierigen und manchmal fragwürdigen Kompromisse.“ Nicht mehr nur die Schwulen und Lesben sind hier angesprochen, sondern sämtliche Bewohner und Bewohnerinnen des Regenbogenplaneten, wie Kuratorin Birgit Bosold bei der Pressebesichtigung ausdrücklich betonte.
Es ist vermutlich kein Zufall, dass bei diesem Ausstellungskonzept eine Frau ihre Hand im Spiel hatte. Nicht nur wird dem weiblichen Begehren viel mehr Platz eingeräumt, als dies in der alten Dauerausstellung der Fall war, es ist auch das Thema selbst, das mit seiner Betonung von Transformation und Travestie die Geschlechtergrenzen verwischt und die ehemals männliche Dominanz aufhebt. Klare Zuordnungen werden bewusst vermieden. Das Prinzip heisst „Transgender“. Identitäten sind Rollen, mit denen man spielen und die man wählen oder auch ablehnen kann. Das beginnt mit der Lust an der Verwandlung in den griechischen Mythen, mit Jupiter etwa, der die Gestalt der Diana annimmt, um sich der Nymphe Callisto zu nähern, und geht über das verborgene Spiel mit Verkleidungen im 18. und 19. Jahrhundert bis hin zum Auftreten von Kessen Vätern und Tunten sowie der Anerkennung der eigentlichen Transsexualität in neuerer Zeit. Über diese historischen Bezüge hinaus wird aber auch das spannungsgeladene Verhältnis von Lesben und Schwulen thematisiert. Mangelnde Solidarität, etwa wenn es um Gewalt gegen Frauen oder den Ausbruch von Aids ging, aber auch fehlende Abgrenzung gegenüber Pädophilie, sind nur einige der Konfliktfelder, die es aufzugreifen gilt, wenn man ein Museum nicht nur für Schwule, sondern für alle Bewohnerinnen und Bewohner des Regenbogenplaneten sein will.
Wie vielfältig, wie bunt, wie bisweilen auch schrill und schräg diese Regenbogen-Community sein kann, das zeigte sich am Eröffnungsabend in dem den Museumsräumen direkt gegenüber gelegenen Jugendkulturzentrum „Pumpe“. Alle waren sie gekommen, um ihr neues Museum einzuweihen: die Ledermänner und die Transen, die Kessen Väter und die Tunten, aber auch dezente Herren mit Krawatte und adrett gekleidete Damen – und zwischendrin Wesen wie von einem anderen Stern, bei denen mit dem besten Willen nicht auszumachen war, welchem Geschlecht sie angehörten. Man war im besten Sinne des Wortes unter sich an diesem lauen Abend im schönen Monat Mai. Man fühlte sich sicher und anerkannt und konnte für einen Augenblick vergessen, wie gross die Distanz zur Mehrheitsgesellschaft noch immer ist und wie wenig es braucht, bis die allgegenwärtige Homophobie wieder ihre hässliche Fratze zeigt.
„Einen guten Tag für Berlin“ nannte die Vertreterin der Kulturstiftung der Länder diesen 17. Mai 2013 und betonte, wie vor ihr schon Klaus Wowereit, dass die Kulturgeschichte der Homosexualität nicht nur die Schwulen selbst, sondern die Gesellschaft als Ganzes angehe. Wie sie mit Minderheiten umgeht, sagt etwas aus über den Stand der Demokratie. Wie innerhalb der Gemeinschaft die Geschlechterrollen definiert sind, betrifft jedes ihrer Mitglieder, ganz egal ob schwul, lesbisch, hetero oder etwas dazwischen. Die aktuelle Ausstellung „Transformation“ ist ein guter Einstieg für jedermann, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen.
Schwules Museum, Lützowstr. 73, 10785 Berlin. Öffnungszeiten Mittwoch – Montag: 14 – 18 Uhr, Samstag: 14 – 19 Uhr, Dienstag geschlossen. „Transformation“, ab 18.5. 2013 bis voraussichtlich 2015. „Zwischen Tradition und Moderne – Frühe Gemälde von Jochen Hass 1950 bis 1955“, 18.5. – 19.8. 2013. „Update – Fotografien zum Wandel des Museums“, 18.5. – 3.6. 2013. „Lesbisch, jüdisch, schwul“, 7.6. – 9.9. 2013.