Die schweren Anschläge am Wochenende in Kabul und verschiedenen afghanischen Provinzen haben über fünfzig Opfer gefordert. Bei Terroranschlägen in Afghanistan variiert jeweils nur noch die Zahl der Opfer, alles andere ist Business as usual. Die Anschlagsziele – Polizeikonvois, Hotels, Feste – sind ausgemacht, ebenso wie die Zielgruppen: ausländische Experten, Sicherheitsbeamte, Zivilisten.
Pakistans Doppelzüngigkeit
Eine weitere Konstante sind die Tätergruppen: Meist handelt es sich um die afghanische Fraktion der Taliban und das Netzwerk der Haqqani-Brüder, die sich unverfroren zur Tat bekennen oder die offizielle Zuweisung der afghanischen Regierung nicht bestreiten. Natürlich gesellen sich auch afghanische Warlords dazu sowie Zellen des IS, aber die Fäden werden durchweg von den Taliban und den Haqqanis gezogen.
Auch der Schutzpatron der Attentäter vom Samstag und Sonntag tauchte im Communiqué des Präsidentenpalastes auf: Pakistan, der übliche Verdächtige. Die ersten Granaten und Bomben gingen nur einen Tag nach einer weiteren diplomatischen Attacke der USA gegen Pakistans Doppelzüngigkeit hoch. Eine Zusammenarbeit mit Islamabad sei nicht möglich, sagte Unterstaatssekretär Peter Sullivan vor dem Uno-Sicherheitsrat in New York, wenn Terroristen im Land Schutz geboten werde.
Die Abhängigkeit der USA
Der pakistanische Gesandte wies den Vorwurf ebenso energisch zurück, aber selbst dies ist inzwischen rhetorische Routine. Für viele Beobachter sind die Attentate auch die Bestätigung dafür, dass Islamabad den Twitter-Sturm inzwischen ad acta gelegt hat, den Präsident Trump am Neujahrsmorgen gegen Pakistan entfesselt hatte, dem er Lüge und Treulosigkeit vorwarf, und das keine Dollarhilfe mehr verdiene. Nach dem ersten reflexartigen Erschrecken, das eine Salve aus dem Weissen Haus wohl auch in Islamabad immer noch auslöst, erntete Trump dann nur noch Hohn und Häme.
Pakistans Medien waren schnell zur Hand, den gegenwärtigen Herrn des Weissen Hauses an die strategische Rolle Pakistans in der Region zu erinnern. Es sei für die USA eben immer noch die einzige Aufmarsch-Route, über die sie ihr Engagement in Afghanistan militärisch glaubwürdig durchstehen können. Und à propos reflexartig: Es verging kein Tag, und schon hatte sich China vollmundig vor seinen Verbündeten an der Arabian Sea gestellt.
Überwältigende Indizienlast
Die Anschläge in Afghanistan fallen nicht nur mit einem erneuten Schlagabtausch in der Uno zusammen. Diese Woche erwartet Pakistan zudem eine Delegation des Sicherheitsrates. Sie hat abzuklären, ob das Land immer noch gemäss SR-Resolution 1267 auf der Schwarzen Liste der Staaten erscheinen soll, die terroristischen Gruppen Unterschlupf bieten. Islamabad hatte beantragt, von dieser Liste gestrichen zu werden.
Hängig ist zudem ein Gesuch von Hafiz Saeed, von der Sanktionsverfügung gestrichen zu werden, die ihn auf dieselbe Stufe wie die Terrorgesellen der Qaida und des IS stellt. Hafiz Saeed ist Gründer der Lashkar-e-Taiba (LeT), der einflussreichsten islamischen „Wohlfahrtsorganisation“ mit zahlreichen Trainingscamps und Zweigstellen im ganzen Land. Er war im Frühjahr 2009 als Drahtzieher der Terroranschläge in Bombay vom 26.11.2008 identifiziert worden.
Die überwältigende Indizienlast, die nicht nur Indien, sondern auch westliche Geheimdienste den pakistanischen Strafbehörden geliefert hatten, genügte offenbar nicht, diesen Terrorgesellen der Tat zu überführen. Angesichts einer betont schwachen und widersprüchlichen Klageschrift durch den Staatsanwalt sah sich das Gericht in Lahore ausserstande, Saeed zu verurteilen. Den Hausarrest, den ihm der Staat darauf pro forma aufbrummte, focht Saeed erfolgreich an, und seit letztem November ist er wieder ein freier Mann.
Wo Trump recht hat
Indische und pakistanische Medien wittern dahinter einen Plan des militärischen Establishments, Saeed nicht durch Haft und Verurteilung unschädlich zu machen, sondern ihm als Mainstream-Politiker seine Überlebenschancen zu verbessern (die USA haben ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt). Premierminister Shaheed Abbasi persönlich gab ihm einen offiziellen Freipass, als er verlauten liess, es bestünden keine rechtlichen Vorwürfe mehr gegen ihn. Worauf Saeed in einem zweiten Akt die Gründung einer politischen Partei bekanntgab, die Milli Muslim-Liga. In einem Balanceakt, auf den wohl kaum jemand hereinfiel, wurde er darauf in seiner Reisefreiheit eingeschränkt und mehrere der LeT-Konten wurden eingefroren.
Somit muss nur noch der schwarze Fleck auf der Terror-Liste des UN-SRs getilgt werden. Allerdings sieht es nicht so aus, als sei die internationale Gemeinschaft, allen voran die USA, gewillt, weiter an der Nase herumgeführt zu werden. Der Neujahrs-Tweet Donald Trumps war grobschlächtig und unüberlegt gewesen. In der Sache waren sich aber viele einig, dass der Präsident diesmal nicht nur seiner weiss-nationalistischen Gefolgschaft aus dem Herzen gesprochen hatte.
Pakistans vermeintliche Opferrolle
Saeed ist nicht der einzige schwarze Fleck für Pakistan. Auf der Sanktionsliste Nr. 1267 erscheinen nicht weniger als 35 Organisationen und 27 Individuen, die als terrorverdächtig bezeichnet werden. Dennoch muss Islamabad vom bevorstehenden Besuch der Uno-Diplomaten am 25. Januar nichts Böses befürchten. Wie bei Uno-Resolutionen üblich, geht auch diese formell davon aus, dass der pakistanische Staat im Kampf gegen den Terror Opfer, nicht Täter ist.
Es war denn auch Islamabad, das den Ombudsmann des Sicherheitsrates zum Besuch eingeladen hat. Dieser hat ohnehin kein robustes Mandat, um seinem Gastgeber auf den Zahn zu fühlen, und etwa zu fragen, warum Saeed aus Haft und Hausarrest entlassen wurde und woher seine üppigen Finanzmittel stammen. Eine Befragung von Saeed selber wurde von der Regierung von vorneherein ausgeschlossen.
Pakistans Dilemma
Wie so oft könnten aber ebendiese Fragen der Terror-Finanzierung Pakistan immer mehr zusetzen. Die Financial Action Task Force (FATF), die neben Regierungsvertretern auch Zentralbanken umfasst, hat in seiner letzten Sitzung im November Pakistan beschuldigt, zu wenig zu unternehmen, um Klarheit in Bezug auf die Terror-Finanzierungen zu schaffen beziehungsweise diese nicht ganz zu unterbinden. Der Form halber sperrte die pakistanische Zentralbank daraufhin die Konten einer Reihe von Organisationen. Beim nächsten Treffen Mitte Februar in Paris wird aber erwartet, dass sich auch diesmal der Druck auf die Regierung erhöht.
Islamabad hat immer weniger Spielraum, um diesem Druck nachzugeben. Selbst wenn Pakistan wollte, könnte es Organisationen wie die LeT nicht einfach verbieten und unschädlich machen. Wie das Haqqani-Netzwerk enthält die LeT Geheimzellen, die von den Sicherheitsdiensten der Militärs vermutlich nicht kontrolliert werden. Zudem dienen die beiden dem Staat auch als Schutz vor noch radikaleren Gruppen, nicht zuletzt dem IS mit seiner ideologischen Zielrichtung der Zerstörung des modernen Staats, wie ihn Pakistan verkörpert. Ohne deren Hilfe wäre es der Armee vor drei Jahren kaum gelungen, den pakistanischen Taliban das Rückgrat zu brechen.
Beim Haqqani-Netzwerk kommt hinzu, dass dieses sowohl in Pakistan wie in Afghanistan verwurzelt ist. Es bildet auch ein Gegengewicht zu den (afghanischen) Taliban. Beide Organisationen sind verbündet und arbeiten auf den Sturz der gewählten Regierung in Kabul hin. Die Taliban sind die quasi „konventionelle“ Guerilla-Streitmacht, die ihr Land zurückerobert; die Haqqani-Brüder geben Flankenschutz als disruptiver Terror-Verband. Mit dieser Arbeitsteilung stellt Pakistan auch sicher, dass die Taliban, sollten sie erneut an die Macht kommen, weiterhin auf Islamabad hören. Sonst würden sie wohl selber bald zum Ziel von Haqqani-Sabotageakten. Dasselbe aber gilt auch für Pakistan: Es ist heute ein Staat, dessen Existenz von Kräften bedroht ist, die er selber grossgezogen hat.