Die Südafrikanerin Golda Schultz gilt als eine der interessantesten Sängerinnen ihrer Generation. Der Dialog ist ihr wichtig: mit Freunden, mit Kollegen und vor allem auch mit dem Publikum. Im Zürcher Opernhaus brilliert sie zurzeit in Mozarts Oper Don Giovanni.
Der Tag hätte nicht prächtiger sein können: strahlende Sonne über dem Sechseläutenplatz, Spaziergänger am See, blauer Himmel über dem Opernhaus, und davor, in den Restaurants, jede Menge Leute, die ihre Mittagspause grosszügig verlängern an diesem vielleicht letzten Sommertag des Jahres.
Golda Schultz hat den Platz als Treffpunkt vorgeschlagen, denn sie kommt gerade aus der Probe für «Don Giovanni» am Zürcher Opernhaus. Die Südafrikanerin gilt als eine der interessantesten Sängerinnen ihrer Generation mit einer der bemerkenswertesten Stimmen im Klassikbereich. Und sie strahlt übers ganze Gesicht.
«Es ist so schön, mit Mozart wieder hier zu sein», sagt sie in fast makellosem Deutsch. «Zweimal bin ich schon mit Nozze di Figaro in Zürich aufgetreten! 2016 bin ich das erste Mal hier eingesprungen, zwölf Stunden nachdem ich informiert wurde. Fünf Stunden Probe, dann war schon Vorstellung! Ich erinnere mich, dass Julie Fuchs als Susanna während ihrer letzten Arie auf der Bühne ein Problem mit dem Kostüm hatte, und jemand sagte mir, du musst da raus und ihr helfen, sonst schaffen wir die Vorstellung nicht mehr. Also wurde ich noch Garderobiere auf der Bühne – und alles hat geklappt!»
Golda Schultz lacht sich noch heute kaputt über ihren ersten Auftritt in Zürich. «Aber mit solchen Erfahrungen lernt man: Wir sind ein Team. Nimm es nicht so ernst, spiel einfach mit. Man muss locker bleiben. Und am Ende hat es wirklich Spass gemacht.»
Anpassen und einmischen
Und nun die Donna Anna in Mozarts Don Giovanni. «Es ist eine neue Rolle für mich», sagt Golda Schultz. «Neue Rollen sind immer ein bisschen anstrengend. Aber das Haus hat mir die Chance gegeben und alle sind so hilfsbereit. Es ist eine Wiederaufnahme, da hat man weniger Zeit zum Proben, weil die Inszenierung ja bereits besteht. Man muss sich einerseits anpassen und sich andererseits trotzdem so gut wie möglich mit eigenen Ideen einmischen.»
Wer ist denn die Donna Anna für Golda Schultz, was charakterisiert sie? «Schwierig zu sagen. Ich bin ja nicht aus jener Zeit, kann mir aber vorstellen, wie sie gewesen sein könnte. Hier in der Zürcher Inszenierung ist es eine Frau mit einem riesigen Trauma: Don Giovanni hat ihren Vater erstochen; deshalb sucht sie Rache. Es hat weh getan, deshalb hat sie das Gefühl: Ich muss sofort etwas machen, damit niemand auf die Idee kommt, ich wäre schwach. Das ist total menschlich. Unsere Aufgabe auf der Bühne ist es, tiefer zu graben und herauszufinden, was hinter diesen Gefühlen steckt. Donna Anna ist eine interessante und komplizierte Frau. Aber niemand von uns ist eindimensional. Wir alle haben diverse Seiten in unserer Persönlichkeit.»
Oft würden Regisseure oder Dirigenten nur eine Seite einer Persönlichkeit hervorheben, sagt sie, und das sei nicht interessant. «Wir dürfen nicht vergessen: Unser Publikum besteht aus Menschen wie wir selbst. Wir sind komplizierte Menschen und wollen komplizierte Menschen auf der Bühne sehen, denn wir sehen uns und unser Leben sozusagen gespiegelt auf der Bühne. So haben wir eine Chance, uns selbst besser zu verstehen. Ich glaube, deswegen geht man ins Theater, deswegen schauen wir Filme an und lesen Bücher. Irgendwie möchten wir uns als Menschen besser verstehen.»
Auf Umwegen zum Gesang
Wenn man Golda Schultz so sprechen hört, wundert es einen nicht, dass ihr Weg zur Bühne und zum Gesang keineswegs geradlinig war, sondern ihrer Neugierde entsprechend zunächst zur Philosophie und zum Journalismus geführt hat. Fragen stellen, der Sache auf den Grund gehen, das hat sie angetrieben. Aufgewachsen ist sie in Südafrika als Tochter eines Mathematikprofessors, die Mutter war Krankenschwester.
«Mein Vater hörte gern klassische Musik, aber die musikalische Linie lag in unserer Familie eher bei meiner Mutter. Ihre Brüder haben im Kirchenchor gesungen und ihr Grossvater hat Gitarre gespielt.» Eine gewisse Begabung für Musik liege wohl in den Genen, meint sie. «Aber was mich damals wirklich interessiert hat, waren Geschichten über Menschen. Ich schaue mich gern um, ich höre den Menschen zu. Die grosse Frage ‘warum’ beschäftigt mich immer. Deshalb bin ich zum Journalismus gekommen. Philosophie, Politik und die Frage: Warum ist unsere Welt so wie sie ist? Warum machen wir, was wir machen? Diese grossen Fragen beschäftigen mich. Als Kind habe ich Geige und Klavier gespielt. An der Uni ist Gesang dazu gekommen, allerdings ohne den Gedanken, Opernsängerin werden zu wollen. Andere Leute haben dann zu mir gesagt: Du musst singen!»
Kapstadt, New York, München
Nach ihrem Journalismus-Studium ging Golda Schultz nach New York an die Juilliard-School und studierte Gesang. Als nächstes bewarb sie sich um einen Platz in einem Opernstudio. Unter anderem in Zürich. «Ich habe hier vorgesungen und sie haben ‘nein, danke’ gesagt. Und ich habe ‘tschüss’ gesagt und bin woanders gelandet – und sechs Jahre später dann doch am Opernhaus in Zürich.» Golda Schultz lacht.
«Woanders», das war München. Dort ist sie nach dem Opernstudio auch Mitglied der Bayerischen Staatsoper geworden. Und vor allem hat sie ihren Weg auf die grossen Opernbühnen gefunden. Die Salzburger Festspiele kamen hinzu, erst mit dem Rosenkavalier, dann Clemenza di Tito von Peter Sellers und Teodor Currentzis, und vor einem Jahr war sie «Artiste étoile» beim Lucerne Festival. Mittlerweile steht sie in der New Yorker Met auf der Bühne, in der Mailänder Scala, der Wiener Staatsoper und in vielen weiteren grossen Häusern.
Spiegel oder Konfrontation?
Dass sie sich vorher mit Journalismus und Philosophie beschäftigt hat, sieht sie im Nachhinein durchaus als Vorteil. «Der Horizont wird grösser, das hilft auch bei der Interpretation einer Rolle. Der Job wird farbiger und viel interessanter, die Herausforderung ist grösser, aber der Gewinn ebenfalls.»
Über ihre eigene Rolle in einem Stück hinaus macht sie sich auch Gedanken über das Gesamte, und zum Gesamten gehört auch das Publikum. «Es gibt verschiedene Wege, dem Publikum zu begegnen. Entweder man spiegelt die Welt oder man konfrontiert das Publikum, man gibt einen Denkanstoss. Dann muss man aber auch Zeit zum Denken einräumen, Zeit, um anzukommen.»
Sie erläutert das an einem Beispiel: «Ein Meister des Anstosses war Beethoven. Tatatataaa! So muss man auch im Theater denken. Tatatataaa! Okay, das war ein Weckruf, aber ich komme wieder, nicht so laut, aber das Thema kommt zurück und ich erkläre, warum es so wichtig ist. So funktioniert ein Gespräch. Es ist nicht nur: Ich bin laut, du bist auch laut. Manchmal weint jemand, manchmal ist es ganz ruhig. Aber wir sind gemeinsam in einem Raum. Und das ist Theater live: zusammen in einem Raum sein, zusammen eine Erfahrung machen.»
Golda Schultz lacht, strahlt und kommt richtig in Fahrt, wenn sie spricht. Mit ihrer Begeisterung reisst sie einen mit. Spannend auch, ihr zuzuhören, wenn sie darüber spricht, was sie am Lied so fasziniert, dieser urdeutschen Sparte der Musik.
«Poesie!» sagt sie. «Ich liebe Sprache, egal welche. Wie ein Dichter mit der Sprache spielt, um ein Bild zu zeichnen, das ist eine Herausforderung. Und wenn es gelingt, bekommt man beim Lesen einen Kosmos vor die Augen, in den Kopf und in die eigene Phantasie. Schon als Kind habe ich Shakespeare geliebt, seine Sonette, dann habe ich afrikaanse Dichter gelesen, dann Goethe und Schiller, auch Rilke – auf Englisch, damals.»
Gespräch über Zeit und Raum
Vom passiven Lesen macht sie aber auch den Sprung zum aktiven Singen. «Ich fand es so schön, dass die Worte einen Komponisten inspiriert haben, sie in Musik zu fassen. Da kommt wieder die Idee vom Gespräch: Der Dichter bringt ein Thema, der Komponist hört zu und sagt: Aber ich habe auch eine Idee, und setzt sie in Noten um. Dann mische ich als Sängerin mich in das Gespräch ein und sage: Ich höre alles, was ihr sagt und möchte meine Stimmfarbe auch dazugeben. Es wird ein Gespräch über Zeit, Raum und Geschlecht hinweg, ein intimes Gespräch, und dazu kommt noch das Publikum. Ich versuche immer daran zu erinnern, dass Texte keine toten Worte und die Musik keine toten Noten sind. Es ist lebendig!»
Dass sie dies alles auch auf einer CD verwirklicht hat, ist fast schon selbstverständlich. Zum Beispiel: «This be her verse», eine Sammlung von Liedern von Komponistinnen von Clara Schumann über Nadia Boulanger bis Kathleen Tagg.
Inzwischen lebt Golda Schultz nicht mehr in Bayern, sondern in Berlin. Der Unterschied? «Das Bier ist nicht so gut in Berlin, aber Berlin ist sehr kosmopolitisch.» Und was ist für sie typisch an Zürich? «Das Opernhaus steht direkt am See! Das ist sooo cool! Wenn man ein Stündchen Pause hat, geht man spazieren oder jemand sagt, wir gehen schwimmen. Das gibt einem das Gefühl von Chillen in Zürich, und das erinnert mich ein bisschen an Kapstadt. Meine Eltern waren vor ein paar Tagen hier, und wir hatten ein Kapstadt-Gefühl. Aber ich weiss nicht, wie es im Winter hier ist.» «Grau, kalt, neblig,» antworte ich. «Also genau wie Kapstadt!», meint sie und macht sich wieder auf den Weg zur Probe.