Romanbearbeitungen haben derzeit auf deutschsprachigen Bühnen Konjunktur – manche zu Recht, andere nicht. Im Fall von Klaus Manns Roman „Mephisto“ drängt sich eine Bühnenfassung indes fast schon auf. Der „Roman einer Karriere“, wie der Autor selbst sein Werk nannte, ist der Roman einer Schauspielerkarriere. Er spielt im Theater, er handelt von Schauspielern, und er zeigt das Netz von Beziehungen auf, das Darsteller und Autoren untereinander und diese wiederum mit den Mächtigen verbindet. Klaus Manns Roman ist das schrille, boshafte und pointenreiche Porträt einer Schauspieler- und Literatengemeinschaft, die sich unter den Bedingungen einer Diktatur bewährt – oder eben nicht. Der Verfasser selbst hatte sich zum Zeitpunkt seiner Entstehung längst entschieden und war ins Exil gegangen. Von dort aus bekämpfte er die verhassten Machthaber. Von dort warf er seinen vernichtenden Blick auf den Protagonisten seines Romans: den Schauspieler und späteren Staatstheaterintendanten Gustaf Gründgens, der unter den Nazis Karriere gemacht hatte und kurze Zeit sein Schwager gewesen war.
Klaus Mann hatte sich zwar, nicht zuletzt auch aus rechtlichen Gründen, stets dagegen verwahrt, mit „Mephisto“ einen Schlüsselroman geschrieben zu haben. Aber das nützte ihm nichts. Jeder, der sich auch nur halbwegs in der Berliner Theaterszene auskannte, wusste, hinter welcher Bühnenfigur sich Gustaf Gründgens, Carl von Sternheim, Elisabeth Bergner, Pamela Wedekind, Erika Mann Hermann Göring oder dessen Frau Emmy Sonnemann verbarg. Ein Gutteil des Erfolgs, den der Roman zu seiner Zeit hatte, verdankt sich diesem Spiel mit Realität und Fiktion. Bis heute aktuell hingegen macht ihn seine politische wie psychologische Hellsichtigkeit. Klaus Mann hatte früher als viele andere und lange auch vor seinem Vater Thomas Mann erkannt, wohin die Nazi-Herrschaft führen würde. Und er hatte klarer als viele andere gesehen, welchen Anteil an deren Erfolg Typen wie dieser Höfgen hatten, die um der eigenen Karriere willen bereit waren, ihre Seele an eine Mörderbande zu verkaufen.
Paraderollen für Schauspieler
Hier setzt auch die Bühnenfassung an, die der tschechische Regisseur Dušan David Pařizek auf die Pfauenbühne gebracht hat. Er weiss, dass das Personal von damals dem Publikum von heute nicht mehr unbedingt geläufig ist und der Stoff insgesamt nicht mehr die Brisanz hat, die seinerzeit zu seinem Erfolg beigetragen hatte. Pařizek muss, deutlicher noch als Klaus Mann, hinter den historischen Figuren die Typen kenntlich machen und, ohne den historischen Hintergrund zu verraten, aufzeigen, wo sie auch für uns heute Gültigkeit haben. Dies ist ihm mit seiner Zürcher Inszenierung bis zu einem gewissen Grad auch gelungen. Sein „Mephisto“ bietet Paraderollen für Schauspieler, die sich und den eigenen Beruf zu karikieren verstehen und dabei gleichzeitig zum Ausdruck bringen können, wie urmenschlich ihre mal lächerlichen, mal heroischen, mal einfach nur erbärmlichen Verhaltensweisen sind. Das aus Michael Neuenschwander, Siggi Schwientek, André Willmund, Miriam Maertens und Elisa Plüss bestehende Ensemble bewältigt diese Aufgabe bravourös.
Dass das Geschehen auf der Bühne gleichwohl über weite Strecken verstaubt wirkt und der Abend, vor allem gegen Ende des ersten Teils, unerträgliche Längen aufweist, ist nicht ihnen, sondern der Regie anzulasten, die es nicht verstanden hat, die ebenfalls ziemlich ausufernde und zum Teil recht geschwätzige Romanvorlage in eine einigermassen stringente Form zu bringen. Die Darsteller tun ihr Bestes, die fehlende Substanz zu überspielen. Sie wechseln von Rolle zu Rolle und setzen auch noch dem kleinsten Part Glanzlichter auf. Miriam Maertens gibt eine umwerfende Dora Martin, Siggi Schwientek einen herrlich sächselnden Carl von Muck, und Michael Neuenschwander überzeugt als windiger, verletzlicher, geltungssüchtiger Günstling einer Machtelite, die er doch eigentlich aus tiefstem Herzen verachtet.
Jedes Regime braucht das Theater!
Der entscheidende Satz fällt auf den letzten Seiten des Romans und in der letzten Szene des Stücks: „Das Theater braucht mich, und jedes Regime braucht das Theater! Kein Regime kann ohne mich auskommen!“, lässt Klaus Mann seinen zum Politclown verkommenen Bühnenstar Hendrik Höfgen sagen. Im Roman geht dem Ausspruch eine Begegnung mit dem Geist des von den Nazis ermordeten Freundes Otto Ullrichs voraus. Bei Pařizek hält Höfgens Mutter Bella den an seiner Hamlet-Rolle verzweifelnden Sohn wie eine groteske Pietà auf dem Schoss. Hier wie dort bringt der Satz die unselige Verstrickung von persönlicher Feigheit und zynischem Machtanspruch auf den Punkt. Auf dem Heimweg ist es dann den Zuschauern überlassen, sich zu fragen, wie weit man selbst zu gehen bereit wäre, um die eigene Haut zu retten.
Weitere Vorstellungen: 20., 28. Januar und 2. Februar, jeweils 20 Uhr.
Als ergänzende Lektüre empfiehlt sich Tilmann Lahmes Monographie „Die Manns“, erschienen 2015 im S. Fischer Verlag.