Als «Glücksfall» wird sie in der Kritik des Bayerischen Rundfunks bejubelt, «hinreissend in der Höhe» – so die «Süddeutsche». Für die «Salzburger Nachrichten» ist sie ein «hochkarätiger Ersatz», der – gemäss «Wiener Zeitung» – «dem Liebreiz der Jugend ebenso eine sinnliche Stimme verleiht, wie dem inneren Konflikt, der sich in heftigen Attacken Bahn bricht».
«Wie sie es schafft, bei der Schwere der Partie auch darstellerisch abseits des trägen Rampentheaters zu agieren – Kompliment!» So fasst es der «Standard» zusammen.
Die, um die es dabei geht, ist Regula Mühlemann, die junge Luzernerin, die selbstverständlich neben den Kritikern auch das Publikum bei den Salzburger Festspielen sozusagen um den Finger gewickelt und Standing Ovations dafür kassiert hat. Puhhhhh … auch das muss man erst mal aushalten.
Casting Show statt Oratorium
Grund für all den Jubel ist die Aufführung von «Il trionfo del tempo e del disinganno», das erste Oratorium, das der damals 22-jährige Georg Friedrich Händel in Rom schrieb, wo es auch uraufgeführt wurde. Mit Musik, so betörend und mitreissend, dass sie das Publikum noch heute zutiefst berührt. Es geht um vier symbolische Personen, die einerseits die «Schönheit» (Bellezza) und das «Vergnügen» (Piacere) darstellen, andererseits die «Zeit» (Tempo) und die «Ernüchterung» (Disinganno). Und, wie es so geht … am Schluss triumphieren «Zeit» und «Ernüchterung» über «Schönheit» und «Vergnügen». So ist das Leben. So will es die Moral.
Regula Mühlemann spielt die «Schönheit». Für das «Vergnügen» ist Cecilia Bartoli zuständig. Sie hat schon vor einigen Jahren im Zürcher Opernhaus diese Rolle gespielt und dem damals eher unbekannten Werk zu grossem Erfolg verholfen. In Salzburg hat man die Geschichte auf heutige Verhältnisse getrimmt und «the world’s next top model» daraus gemacht, eine Casting-Show. Das funktioniert hervorragend.
Im letzten Moment eingesprungen
Im dicken Programmbuch der Salzburger Festspiele steht immer noch der Name Mélissa Petit, die bei der Premiere an den Pfingstfestspielen die «Bellezza» gesungen hat. Wegen ihrer Schwangerschaft musste sie allerdings im Sommer neu besetzt werden und Regula Mühlemann sprang ein. «Die Vorbereitungszeit war knapp und sehr intensiv. Die zehn Tage Proben hier in Salzburg dauerten von frühmorgens bis spät in die Nacht. An diesen Arbeitstagen bin ich fast komatös ins Bett gefallen. Gleichzeitig habe ich es unglaublich genossen, endlich wieder richtig arbeiten zu können und gefordert zu werden. Ich liebe diese intensive Auseinandersetzung mit einem Werk während der Proben sehr und ich bin zum Glück in ein Team gekommen, das schon zuvor auf höchstem Niveau gearbeitet hat. Ich habe es wirklich sehr genossen, Teil einer Produktion zu sein, wo wieder einmal alles zusammenkommt. Die Arbeit mit Regisseur Robert Carson war wunderbar, er ist sehr auf meine Persönlichkeit und meine Ideen eingegangen. Und Cecilia Bartoli ist eine unglaublich nette Kollegin. Mit so einem Team hat man die Grundlage für einen erfolgreichen Abend.»
Dass es gelingen würde, ahnte Regula Mühlemann spätestens bei der Generalprobe. Da sass bereits Publikum im Saal. «Da spürte ich, das kommt gut an. Ich konnte dann mit viel positiver Energie in die Premiere einsteigen und hab’ wirklich alles gegeben …»
Sie holt noch mal tief Luft und fährt weiter: «Zur Intensität dieser Rolle muss ich noch sagen, dass sie sich in ganz wenige Partien, die ich bereits gesungen habe, einreiht, die ebenso intensiv sind, auch darstellerisch. Ich habe blaue Flecken, ich hab’ Blasen an den Füssen, ich musste nach jeder Probe duschen, weil ich schwarze Füsse hatte und so verschwitzt war ... ich weine, ich lache … alles gleichzeitig! Man versucht, die Seele hineinzulegen, um all diese Stufen, die die Figur durchlebt, wirklich echt darzustellen. Das nimmt einen dann schon ein bisschen her… Umso schöner ist es dann am Schluss, mit Applaus überschüttet zu werden … Da kommt die ganze Energie, die man rausgelassen hat, wieder zu einem zurück und am Ende des Tages geht man glücklich wieder nach Hause. Dass wir diesen Energie-Austausch jetzt nach den Pandemie-Einschränkungen wieder haben, ist ein grosses Geschenk.»
Drehpunkt Salzburg
Regula Mühlemann ist schon verschiedentlich in Salzburg aufgetreten. «Es ist eine Art Fixpunkt geworden. Nicht nur im Sommer, sondern auch zur Mozartwoche im Januar», sagt sie. «Aber im Sommer ist es besonders schön, weil man hier Kolleginnen und Kollegen, die man von anderen Projekten in der Welt kennt, zu einem Kaffee treffen kann. Für mich fängt das jetzt erst an, weil ich wegen der Proben gar keine Zeit hatte. Jetzt kann ich mich wieder den schönen Seiten Salzburgs hingeben und mich ein bisschen verwöhnen lassen.»
Gleichzeitig ist Salzburg auch für eine künstlerische Laufbahn von grosser Bedeutung. Ein regelrechter Drehpunkt. Hier trifft sich nicht nur Publikum aus aller Welt, sondern auch die wichtigsten Agenten und Intendanten, wobei selbstverständlich auch Agentinnen und Intendantinnen an Künstlerinnen und Sängern interessiert sind. «Salzburg ist diesbezüglich einer der wichtigsten Orte überhaupt», bestätigt Mühlemann. «Ich habe schon bei der Premiere gemerkt, wer alles drin sass und nachher noch gratuliert hat. Da werden auch künftige Projekte besprochen. Wenn man eine gute Leistung erbringt, wird dies hier gesehen und das ist schon sehr wichtig.»
Als nächstes könnte es für Regula Mühlemann in Salzburg die Pamina in der «Zauberflöte» werden. «Die hätte ich letztes Jahr schon singen können, dann wurde die Produktion auf dieses Jahr verschoben … und wieder abgesagt, weil die Werkstätten noch nicht bereit waren. Jetzt soll es auf nächstes Jahr verschoben werden. Ja, schau’n wir mal ...»
Vorläufig triumphiert sie als «Bellezza». Auch wenn der Titel des Oratoriums anderes behauptet und der «Zeit» und der «Ernüchterung» den Triumph zuschiebt …
Siehe auch: Mozart, Mühlemann und magische Momente