Die Frage, ob „Trumpismus“ eine neue Art politischer Ideologie darstelle, ist im Moment mit Jein zu beantworten. Die Ideenlehre des unzimperlichen Chefs, der seit dem 20. Januar 2017 aus dem Oval Office im Weissen Haus in Washington D. C. seine Einfälle (oder Anfälle?) und alternative Fakten kundtut, ist menschenverachtend, aber nicht ganz neu.
„Trumpismus“ durchschaut!
1. Lärmige Öffentlichkeitsarbeit. 2. Wenige – ständig wiederholte – Schlagworte. 3. Prägnante „Lösungen“ für die breite Masse statt Argumentation. 4. Appell an Emotionen und Beschwörung von „Katastrophen“ als nationale Schmach.
Etwas konkreter formuliert heisst das: 1.Die Charakteristika eines Präsidenten, der twittert, lärmt und täglich. „America first!“ ruft. 2.Der schwört: „Wir holen die verlorenen Arbeitsplätze zurück und kreieren so Millionen neuer Stellen.“ 3.Der „seine“ Lösungen und Wahrheiten an ältere, weisse Männer und Tea-Party-Fan-Gruppen („das Volk“) richtet. 4. Der die Globalisierung, den Welthandel und die Einwanderung als unerträgliche Katastrophe von nationalem Ausmass brandmarkt.
Übrigens ist der erste Teil (1- 4) dieser Aufzählung entlehnt aus: „Merkmale und Entwicklungen der NS-Ideologie und NS-Propaganda 1933–1945“ (wikipedia.org/wiki/nationalsozialismus).
Das Volk gegen die korrupte Elite
Wir sind gegenwärtig Zeugen einer Welle des politischen Rechts-Populismus in vielen Ländern des Westens. Es scheint deshalb angezeigt, sich einige Gedanken zu machen zum Phänomen, bevor wir uns ins national Unterschiedliche vertiefen.
Das populistische Ideologieangebot, das uns in diesem Beitrag in erster Linie beschäftigt, lässt sich tendenziell in einer Form des National-Populismus einordnen, dessen politischen Stilmittel (Verschwörungsdenken, Polarisierung, Tabubruch, Euroskeptizismus, Globalisierungskritik, Einwanderung etc.) eine klare ideologische Konzeption verraten. „In seinem dünnen Kern erweist sich dieser Populismus als Anti-Establishment-Ideologie“, sagt Lars Rensmann (Universität Groningen). Das Verführerische am Ganzen ist die Behauptung, fertige und alternativlose Lösungen bereit zu halten, wo längst feststeht, dass es für komplexe Probleme keine einfachen fertigen Lösungen gibt.
Doch: wir sind ja nicht blöd! Wir sollten Ideologien und Propaganda durchschauen.
Etwas läuft schief
Weiter schreibt Rensmann: „Populistische Ideologien spiegeln eine grundsätzliche innere Spannung im Kern liberaler Demokratien“, und er fragt, ob sie deshalb eine Gefahr für die Demokratien darstellten. Gerade in Bezug auf europäische Staaten ist doch das zeitgenössische Problem demokratischer Legitimität (EU/Brüssel) nicht zu übersehen. Hier ist eine Repräsentationsschwäche der europäischen Parteiendemokratien offensichtlich.
Auch anderswo, zum Beispiel in der Schweiz, verweist der Erfolg populistischer Ideologien auf reale oder empfundene Strukturprobleme des politischen Systems (siehe meinen Beitrag „Das System ist krank“ vom 15. Februar 2017, www.journal21.ch), auf eine Krise der Parteien als demokratische Vermittlungsinstitutionen und nicht gehaltene Versprechen demokratischer Transparenz hin.
Die Rolle verantwortungsloser Banker und Manager
Obige Überlegungen und Fragen sind durchaus berechtigt. Das diffuse Gefühl weiter Bevölkerungsteile, etwas laufe schief in Politik und Wirtschaft – reflektiert es nicht argwöhnische Vermutungen auch jener gesellschaftlichen Kreise, die sich intensiver mit diesen aktuellen Fragen auseinandersetzen? Die dabei realisieren, dass die eigentliche Tragödie, der wir beiwohnen, eine gerne verdeckte Rückseite aufweist.
Das Vakuum, in dem der Rechts-Populismus gedeiht, ist auch eine Folge des Neoliberalismus und der wachsenden Widersprüche des Kapitalismus. Dieser „liberale“ Populismus blendet Kritik an der penetranten Verantwortungslosigkeit in den Reihen von Bankern und Managern der obersten Etagen und den dieses System befürwortenden Politikern aus. Diese klopfen sich auf die Brust beim „edlen“ Kampf gegen Rechtspopulisten und verbieten sich damit jede unliebsame Kritik am Status quo. „Alternativlos“ steht oft als Abkürzung dieser Haltung.
Schlafwandelnde westliche Gesellschaft
Zurück zu den Rechts-Populisten. Ob die Anführer – in der Mehrzahl „charismatische“ Botschafter ihrer persönlichen Ideologie – schliesslich zur Gefahr für die westlichen Demokratien werden, liegt ausgerechnet beim „Volk“, welches jene exklusiv zu vertreten behaupten. Dieser Volkswille, der nie einheitlich ist und sich schon gar nicht durch eine selbsternannte Person vertreten lässt, ist aufgeweckt und alarmiert durch den „Theaterschwank“ auf der US-Politbühne
Auch in Europa sollten die Alarmglocken läuten. Viktor Orban, Ungarns Ministerpräsident und erklärter Trump-Fan, bezeichnet die amerikanische Entwicklung als „Rückkehr zur Realität“. Jaroslaw Kaczynski ist sein Freund in Polen. Marine Le Pen vom Front National in Frankreich, Kandidatin für die französischen Präsidentschaftswahlen 2017, verspricht bei einem Sieg den „Frexit“ und eifert damit Theresa May, der britischen Premierministerin nach. Bekanntlich sind auch in Italien, Österreich, Deutschland, Holland starke Oppositionskräfte im Aufwind. Sie wollen „das System“ stürzen und die EU verschrotten. Gemeinsamer Trick (gemeinsames Versprechen) aller: Mit uns geht es direkt ins Paradies auf Erden!
Jetzt ist tatsächlich „das Volk“ gefordert, wenn Schlimmeres verhindert werden soll (siehe: „Wer schweigt, schadet der Heimat“, www.journal21.ch vom 9. März 2017).
Ein US-Präsident, der unverfroren lügt
Zweifellos rüttelt der lügende Präsident am Fundament westlichen Demokratieverständnisses. Der Narzisst kreiert unverfroren seine eigenen „Wahrheiten“. Seine wichtigsten, demokratieverachtenden Einflüsterer sind Steve Bannon und Stephen Miller, beides skrupellose Ideologen. Bannon: „Ich will das ganze System zu einem krachenden Kollaps bringen und das gesamte heutige Establishment zerstören.“ (NZZ am Sonntag)
Die hetzerischen Töne sind natürlich nicht akzeptabel in einer Demokratie wie die USA. Doch vertrauen wir auf die berühmten „checks and balances“, die Gesamtheit der Institutionen, die autokratische Allüren verhindern und in der Unionsverfassung von 1787 verankert sind. Gerichte und Kongress haben schon in der Vergangenheit Auswüchse korrigiert.
Der grossartige Schriftsteller T. C. Boyle ist der Meinung, dass die aktuelle Situation die grösste Bewährungsprobe darstelle, der die amerikanische Demokratie jemals ausgesetzt war. Weiter äussert er sich in der NZZ: „Trump arbeitet wie jeder Ideologe mit Propaganda für die Unwissenden.“ Und er macht einen wichtigen Hinweis zu diesen Bevölkerungskreisen: „Aber sie lesen nichts, nie. Sie sehen Fox News und glauben, das sei die Wahrheit.“ Das gilt auch für Donald Trump.
Demokratie „made in Switzerland“
Auch in unserem Land gibt es die Verführer, die einzigen, die „dem Volk“ Schutz vor der EU und gegen alle Unbill der Zeit anbieten, im Gegensatz zu „Bern“ und „denen, da oben“. Diese Ideologen treten für einen ziemlich aggressiven Nationalismus ein.
Warum punkten diese Stimmenfänger mit ihrem einfältigen Elite-Bashing? Wir haben doch weder ein Trump-Problem, noch einen „War on Facts is a War on Democracy“ (Faktenkrieg ist ein Demokratiekrieg)? Vermutlich wächst auch in unserem Land die generelle Unzufriedenheit weiter Bevölkerungsteile – einerseits als Folge der genannten Agitation und andererseits, weil die Erkenntnis zunimmt, dass in Zeiten der Globalisierung die Reformunfähigkeit der Schweiz zu einem immer drückenderen Problem wird. „Das Volk“ realisiert durchaus die fehlende Kompromissfähigkeit und steigende Polarisierung unserer Politik, unserer parlamentarischen Vertreter in Bern
Blochers, Köppels, Somms „Revolution“
Wortgewaltig und mit grossem finanziellem Aufwand wird in der „Weltwoche“ und der „Basler Zeitung“ dafür geworben, endlich jene Politiker und Richter in die Schranken zu weisen, „die dem Volk die Macht wegnehmen wollten, damit sie machen können, was sie wollen“ („Tagesanzeiger“). Natürlich ist das aufgelegter Blödsinn, denn seit Jahren zeigen in der Schweiz alle Umfragen eine sehr grosse Zufriedenheit der Bevölkerung mit ihrer Regierung und der Gerichtsbarkeit im Land.
Dass diese Ideologen mit Sprüchen wie „All die Verräter am Volkswillen gehören an den Pranger gestellt“ einen eigentlichen, permanenten Krieg gegen unsere Demokratie führen, ist beunruhigend. Wir können auf die Kämpfe, die zurzeit anderswo toben, gerne verzichten. Wir wollen in Frieden leben, auch das wäre der „Sonderfall Schweiz“.
„Das Volk“, wir alle, sind gefordert, uns aktiv zu engagieren. Für Wettbewerb, Kooperation und Lösungen, nicht für Agitation, Kampf und Propaganda.
Weitere Artikel des Autors zu diesem Thema:
„Das System“, 15. Februar 2017
„Steigende Ungleichheit“, 25. Februar 2017
„Wer schweigt, schadet der Heimat“, 8. März 2017