Roland Jeanneret: Theaterbühne statt Kurzsatire? Was bringt Sie dazu?
Gisela Widmer: Ich machte ja jahrelang beides parallel und mittlerweile übrigens schreibe ich nur noch fürs Theater. Doch Theaterstücke haben nun mal weniger Öffentlichkeit als die übers Schweizer Radio ausgestrahlten „Zytlupe“.
Was reizt Sie an der dramaturgischen Form?
Vieles! Die Zusammenarbeit mit dem Team. Die Macht der Sprache. Was ein dürres Wort auslösen kann; das kann man so unmittelbar nur am Theater erleben. Dann gefällt mir auch, dass ich mich mit den einzelnen Figuren nicht identifizieren muss. Ich muss sie anlegen, mich in sie hineinversetzen und dann logisch bis zum Ende durchziehen. Das ist pure Magie, wenn erfundene Gestalten am Ende absolut schlüssig daherkommen.
„Biedermanns.umgezogen“ handelt von einem Islam-Konvertit – weshalb dieses Sujet? Provozierte Sie der „Islamische Zentralrat“ dermassen?
Nein. Mich provozierte die Nicht-Debatte der Linken im Vorfeld der Minarett-Abstimmung. Diese von beschönigendem Kulturrelativismus geprägte Nicht-Debatte erinnerte mich sehr an „Biedermann und die Brandstifter“ von Frisch. Das machte nur noch so „Blingblingbling“ vom Büchergestell herunter. Bei Frisch geht es ja um Sprache, die der Verstellung und nicht der Darstellung dient. Um Sprache also, die nicht benennt. Genau so wurde und wird die Debatte in linken Kreisen geführt, wenn es um den Islam geht. Alle haben Angst davor, in die SVP-Ecke gestellt zu werden. Ich habe dann ein halbes Jahr lang darüber nachgedacht, wer dieser Brandstifter sein könnte. Frischs Brandstifter durch Islamisten zu ersetzen, wäre mir aber zu billig gewesen. Und so entwickelte ich den Konvertiten, der übrigens der Bruder von Gottlieb Biedermann ist.
Hommage an Max Frisch im Frisch-Jahr?
Das Stück schlug ich dem Luzerner Theater im November 2009 vor. Da wusste ich noch nicht einmal, dass 2011 das Frisch-Jahr ist. Nein, es war einfach so, dass Frischs klare Sicht auf die Beschwichtigungsrhetorik in „Biedermann und die Brandstifter“ genau den Nerv dessen traf, was ich sagen wollte.
Es brennt ja – rein äusserlich – nie. Hat Ihnen die Luzerner Feuerwehr echtes Feuer im Theater verboten?
Offenes Feuer geht natürlich nicht, da haben Sie recht … Dennoch brennt’s. Die Beziehung von Babette und Gottlieb Biedermann geht in Rauch auf. Ihre jahrelange „Wir-müssen-alle-lieb-sein-zueinander“-Rhetorik funktioniert in Anbetracht der konkreten Auseinandersetzung mit dem Konvertiten nicht mehr. Babette und Gottlieb verkörpern einen linksliberalen Mikrokosmos. Wenn man Themen nicht anspricht, sie tabuisiert – sei es in einer Beziehung oder in einer politischen Gruppierung – dann ist irgendwann Feuer im Dach.
Der Feuerwehrmann im Stück spielt eine irritierende Rolle – wen oder was verkörpert er?
Er ist ein Freidenker. Babette outet sich ja mit der Zeit als ziemlich durchgeknallte Feministin, Gottlieb macht auf Harmonie bis hin zur Selbstverleugnung, und der Konvertit hat die absolute Wahrheit gefunden. Wirklich sympathisch ist mir nur der Feuerwehrmann. Er hat keine Ideologie, keine Religion. Er ist ein Intellektueller, der sich auch mal verrennt beim Denken. Ein Hofnarr nach angelsächsischem Vorbild eben. Das mag ich.
Wer den satirischen Unterton, mit welchem Sie die Minarett-Diskussion und die Islam-Auseinandersetzung bei den Linken kritisieren, nicht versteht, könnte fast meinen, die SVP habe Sie als Autorin gekauft. Liegen linke Ignoranz und rechter Rassismus so nah beieinander?
Nicht oder von den Falschen verstanden zu werden - dieses Risiko liegt im Wesen der Satire. Schauen Sie: Wenn es um den Islam geht, bekennen sich sogar die Männer von der Weltwoche zum ideologischen Feminismus. Das ist doch Realsatire! Derweil viele Linke bei diesem Thema den Schwanz einziehen und nur noch Verständnis für alles haben. Obwohl doch der real existierende Islam in zwei Dutzend Ländern viele urlinke Themen tangiert: Schwulenhass, Judenhass, Frauenunterdrückung, Unterdrückung der Meinungsfreiheit. Ich habe viel recherchiert und auch in der Schweiz haarsträubende Geschichten erfahren. Insgesamt: Diese Ignoranz von links führt dazu, dass das Thema Islam und Integration von Muslimen vollständig den Scharfmachern von rechts überlassen wird – auf einem erbärmlich tiefen Niveau.
Nach den Rechten werden auch die Linken Sie nicht mehr lieben…
Ich schreibe doch nicht Satire, um geliebt zu werden!
Gab es beim Inhalt oder bei der Form schmerzhafte Kompromisse, die Sie machen mussten?
Ich habe zwölf Jahre lang fürs Schweizer Radio Satire gemacht, ohne Zensurschere im Kopf. Nun musste ich mich auf einmal fragen: Darf ich das? Und ein paar Mal lautete die Antwort: Nein, den Propheten und den Islam darf ich nicht beleidigen. Sonst gibt’s Puff. Die Meinungsfreiheit gerade im künstlerischen Ausdruck ist eine der vielen enormen Errungenschaften unserer Kultur und unserer Zeit. Diese Errungenschaften müssen wir bewahren. Aber eben. Ich erinnere nur an Salman Rushdie oder an die dänischen Karikaturisten.
Was möchten Sie beim Theaterbesucher, der Theaterbesucherin mit „Biedermanns“ erreichen?
Ich will eine Plattform bieten für Selbstreflexion. Das Stück besteht ja aus vielen wortwörtlich übernommenen Zitaten aus der Integrations-, Konvertiten- und Feminismusliteratur. Den einen oder anderen Satz hat man bestimmt schon selber gesagt.
Gibt es bereits, Pläne für weitere Theaterstücke?
Ich habe zum dritten Mal einen Klassiker für die Luzerner Freilichtspiele adaptiert. Diesmal Romeo und Julia. Premiere ist am 15. Juni. Und momentan arbeite ich an einem Stück für die Profischauspielerin Annette Windlin über den Mobilitätswahnsinn.
Aufführungen von „Biedermanns.umgezogen“ Premiere: SA 19. März (ausverkauft) Weitere Aufführungen (jeweils 19.30 uhr): 26.3., 3.4., 12.4., 17.4., 20.5., 21.5. www.luzernertheater.ch