Als „Regisseur der Frauen“ ist Cukor oft apostrophiert worden, drehte er doch mit dem ganzen Firmament der weiblichen Stars wie Ingrid Bergmann, Judy Holliday, Anna Magnani, Katherine Hepburn, Elisabeth Taylor, Audrey Hepburn, Marilyn Monroe, Greto Garbo, Judy Garland, Sofia Loren, Jacqueline Bisset, Jane Fonda und Claire Bloom und stellte die Aktricen in den Mittelpunkt seiner Filme.
Dabei zeigt er, dass er keinem Typus, weder im Aussehen, noch der Wesensart verhaftet war. Keine Reihe von blonden Sexpots wie bei Roger Vadim, Hitchcocks ‚cool blondes’ oder von Sternbergs distanzierten Verführerinnen. Er veränderte die Schauspielerinnen nicht. Sein Spitzenfilm in dieser Beziehung ist ‚The Women’ (1939) mit Norma Shearer und Joan Crawford in den Hauptrollen, in dem nur weibliche Charaktere vorkommen und Männer nur in deren Gesprächen präsent sind.
Schauspielerinnen kann man nicht ummodeln wie Männer
Cukor in einem Interview 1964: „Ich bin sehr realistisch mit Frauen; viel mehr noch als mit den Männern. Schauspielerinnen kann man nicht ummodeln, wie manchmal die Männer. Ich muss ihnen helfen, sie selbst zu sein. Und dabei muss ich sie wissen lassen, dass sie als solche interessant sind.“
Doch wehrte er sich dagegen ein Frauenregisseur zu sein: „Auch einige männliche Schauspieler haben durch die Rollen in meinen Filmen Oscars gewonnen.“ Er führte Stars wie Spencer Tracy, Cary Grant - als er noch akrobatische und clowneske Einlagen gab -, führte Jack Lemmon in seinem ersten Film, drehte mit Anthony Quinn, Laurence Olivier, William Holden, und entdeckte Aldo Ray.
Ob Frau oder Mann – immer richtete er den Fokus auf die Schauspieler. Das kam aus seiner Vergangenheit.
Keine filmtheoretischen Überlegungen
1899 in New York als Sohn von jüdisch-ungarischen Immigranten geboren war er schon von Jugend an vom Theater fasziniert. In den 1920er Jahren war er zuerst Dialogcoach, dann ein erfolgreicher Broadway-Regisseur und gilt als Erfinder der Out-of-Town-Try-Outs, den auswärtigen Probierperioden bevor die Stücke am Broadway Premiere haben.
1929 schloss er sich der Karawane von Broadwayschauspielern an, die mit dem aufkommenden Tonfilm neue Chancen in Hollywood bekamen. Sein erstes Engagement bekam er als Sprachlehrer für die Schauspieler von „Im Westen nichts Neues“, um kurz danach bei drei Filmen die Co-Regie zu übernehmen. Doch auch da wurden seine Stärken nicht thematische Kamerabewegungen wie bei Minelli oder ausgeklügelte Inszenierungen. Auch filmtheoretische Überlegungen waren nicht seine Sache.
So meinte er zur“Nouvelle Vague“ Godards, Truffauts und Chabrols im Frankreich der späten 50ger Jahre trocken: „Ich bewundere den Mut dieser Regisseure, die es sich herausnehmen ihr Publikum zu langweilen“.
„Ich kenne die Menschheit“
Seine Komödien, wie „The Philadelphia Story“, „Lets make Love“, „Women“, „Adam’s Ri“’ oder „Holiday“ unterhielten auf hohem Niveau. Cukor: „Sie brauchen einen leichtfüssigen Ton, einen Hauch von Zärtlichkeit und vor allem Rhythmus. Den hat das europäische Kino vom amerikanischen gelernt.“ Doch unter der scheinbaren Leichtigkeit des cukorschen Kinos, seiner verführerisch unterhaltsamen Oberfläche, lauert Abgründiges. Oft wird einem erst später bewusst, in welche menschlichen Abgründe man im Film geblickt hat und welche gesellschaftlichen Zwänge gezeigt wurden, die das Individuum nicht nur in seinen Handlungen beeinflusst, sondern auch in seiner Ausprägung behindert haben. Cukor, insofern ein Mozart des Kinos, meinte dazu kryptisch: „Ich kenne die Menschheit“.
Den Filmen Cukors, die oft Adaptionen von Stücken waren, wurde manchmal eine gewisse Statik vorgeworfen, ein „Abfilmen von Theater“. Hingegen zeichnete ihn auch hier das enge Arbeiten mit den Schauspielern an ihren Rollen aus: Die Darsteller waren sein „Hauptmaterial“. Nach Unterschieden im Schauspiel zwischen Theater und Film gefragt beschrieb Cukor die Technik Mary Pickfords: „Andere gestikulieren, doch sie hat jede Geste unter Kontrolle. Auf der Leinwand spielt man hauptsächlich mit den Augen und dabei ist die Kamera so nahe, dass man dabei absolut authentisch sein muss. Sonst wirkt es künstlich und die Zuschauer sind verstimmt.“
Byzantinischer Lebensstil
Dazu braucht es aber auch eine bestimmte Stimmung am Set. Diese war bei Cukors Enthusiasmus für seine Arbeit stets gegeben: „Ich filme so gerne, dass auf dem Set eine immer wachsende Begeisterung herrscht, die offenbar ansteckend wirkt. Die Atmosphäre muss beim Filmen vibrieren. Dies macht alles und jeden schöner. Vielleicht arbeiten deshalb die Schauspieler so gerne mit mir.“
Und sie feierten auch gerne mit ihm. Cukor pflegte einen fast byzantinischen Lebensstil; der Unterhaltungswert seiner wöchentlichen Partys war legendär und Einladungen dazu begehrt. Doch gab es da noch ein Schattenleben. Cukors Homosexualität war im damals vordergründig puritanischen Hollywood inakzeptabel. Sie soll auch zur grössten Enttäuschung seiner Karriere geführt haben: Er wurde als Regisseur von „Gone with the Wind“ gefeuert; Cukors Meinung nach „der berühmteste Film aller Zeiten“. Cukor: „Der erste Teil des Films ist ganz von mir: Ich bereitete den Film ein Jahr lang vor, wählte die Schauspieler aus und probte die Szenen. Auch der Schnitt des ersten Teils wurde von mir ausgeführt und nie geändert“.
„My Fair Lady“
Verantwortlich für das Abziehen Cukors vom Projekt soll Hauptdarsteller Clark Gable gewesen sein. Er hatte offenbar zu dieser Zeit eine Affäre mit Cukors Lebensgefährten und befürchtete, dass mit dieser auch seine Homosexualität ans Licht kommen könnte.
Cukors Schmerz über diese verpasste Gelegenheit wurde durch Welterfolge wie seine Verfilmung des Musicals „My Fair Lady“ (1964) mit Audrey Hepburn und Rex Harrison zwar gemildert, doch nie ganz getilgt. Doch sein Werk hat Bestand. Einige seiner Filme haben etwas Patina angesetzt, andere sind heute noch so frisch wie damals
Die Retrospektive in Locarno war durchgehend gut besucht, auch von jungem Publikum. Und Cukors letzter Film „Rich and Famous“, ein gesellschaftskritisches Werk mit Jacqueline Bisset, wurde auf der Piazza abends sehr applaudiert.
„Sie sehen doch, dass sie geliebt wird“
Doch etwas zeigte sich am Filmfestival deutlich: Das Kino des Studiosystems Hollywoods der dreissiger bis fünfziger Jahre zeigt nicht nur in der Produktion, sondern auch in Stil, Sitten und Mentalität grosse Unterschiede zu heute.
George Cukor antwortete auf die Frage, warum er erotische Szenen nicht expliziter zeigte: „Aber sie sehen doch am Gesicht von Ava Gardner, dass sie gerade geliebt wird.“ Richtig. Und es scheint ihr zu gefallen.
Heute ist dies anders. Im Film ‚Feuchtgebiete’, mit allgegenwärtigem Medientamtam am Filmfestival Locarno unter starker Prominenzbeteiligung uraufgeführt, sieht man mit expliziter Deutlichkeit, wer die Hauptdarstellerin wie zu erfreuen sucht. Doch auf deren Gesicht zeichnet sich ein Ausdruck nervöser Langeweile ab.