In letzter Zeit ist Indonesiens Präsident Susilo Bambang Yudhoyono, meist einfach SBY genannt, häufiger als Komponist schmalziger Liebeslieder, denn durch irgendwelche Aktivitäten seiner Regierung aufgefallen. Seine Minister müssen dann die Texte dazu dichten, so dass SBY sie anschliessend singen kann. Angesichts der Untätigkeit der Regierung wartet die Bevölkerung nur noch ungeduldig auf ihr Ende, und die ersten Kandidaten bringen sich für die indonesischen Präsidentschaftswahlen 1914 heute schon in Stellung.
Die Partai Amanat Nasional (Partei des Nationalen Mandats, PAN), erkor den Wirtschaftsminister in SBY’s Koalitionsregierung und Schwiegervater von SBY’s jüngstem Sohn, den 59jährigen Hatta Rajasa, zu ihrem Spitzenkandidaten. Die Golkar-Partei (golong karya = funktionale Gruppen), die einstige Wahlmaschine des langjährigen Diktators Soeharto, wählte den Grossindustriellen und alten Soeharto-Paladin Aburizal Bakrie. Und der Kandidat der Bewegung Grossindonesiens (Gerindra), der Generalleutnant im Ruhestand und populäre ehemalige Schwiegersohn Soehartos, Prabowo Subianto, hat seinen Wahlkampf bereits mit grossen Reden begonnen.
Keine Stimmabgabe ohne Geld
Er prangert die Korruption an, die deshalb so tief in der Bürokratie verwurzelt sei, „weil 60 Prozent des Geldes in Jakarta zirkulieren, 30 Prozent in den regionalen Zentren und nur zehn Prozent in den Dörfern, wo aber 50 Prozent der Bevölkerung leben. Unter der Alten Ordnung (Sukarno) war die Korruption unter dem Tisch, in der Neuen Ordnung (Soeharto) war sie auf dem Tisch – und heute ist Korruption unter und auf dem Tisch.“ 32 Prozent aller regionalen Regierungschefs stünden wegen Korruption unter Anklage.
Er beklagt, dass Indonesien inzwischen sogar vom traditionellen Rivalen Malaysia abgehängt werde. „Wir verspotteten Malaysia, weil sie ihr Protonauto bauten. Aber wir unterstützten auch nicht unsere eigene Autoindustrie, als wir den Esemka in Solo bauten. Heute werden Protonwagen in Indonesien verkauft. Die Malaysier sagen, sie fürchteten uns nicht, weil unsere Flugzeuge herunterfielen, ehe wir Malaysia erreichten. Das ist ihr Witz und unser Problem. Aber wenn wir als Nation zusammenfinden, können wir unsere Fehler korrigieren.“
Stimmenkauf bis zuletzt
Prabowo ist populär, weil er als einer der wenigen angesehen wird, der nicht korrupt ist und die Sprache des kleinen Mannes spricht. Mit Demokratie schien er nie viel im Sinne gehabt zu haben. Nun aber spricht er viel von Demokratie. Doch fehle dem Land bei der derzeitigen Form von Demokratie eine starke Führung, kritisierte er SBY, wie er Absolvent des Jahrgangs 1974 der Militärakademie. „Indonesien ist an einer Wegkreuzung angelangt, wo eine Gruppe aus dem Kurawa (Königreich des Teufels) versucht, die Idee der Demokratie zu entführen. Wir befinden uns mitten in einem Kampf zwischen dem Kurawa und dem Pandawa (Reich der Gerechtigkeit)“, versucht er sein Anliegen allegorisch mit dem populären, 2000 Jahre alte Sanskritepos „Mahabharata“ verständlich zu machen.
Wenn ich zu den Unwissenden, den Ignoranten über „meine Mission und Vision für das Land rede, dann kümmert sie das nicht“, zeigt er Enttäuschung über das Wählerverhalten. „Sie wollen nur wissen, wie viel Geld ich ihnen geben werde… Sie können indonesische Politik erst verstehen, wenn Sie über serangan fajar (Angriff in der Morgendämmerung) Bescheid wissen“, schimpft er auf die weitverbreitete Praxis, noch kurz vor Öffnung der Wahllokale Stimmen zu kaufen.
Erst kürzlich, bei den Gouverneurswahlen in Jakarta, „verloren wir 6000 Wahlbeobachter in 3000 Wahllokalen, weil eine bestimmte Partei jedem 600 000 Rupiah (rund 40 €) bezahlt hat, während wir jedem von ihnen nur 200 000 gegeben hatten. Wir hatten Glück, dass es in Jakarta passierte, wo wir leicht Ersatz finden konnten. Aber das ist die Wirklichkeit hier. Das ist die Welt von Angebot und Nachfrage.“ Er werde mit „den Besten und Hellsten“ des Landes arbeiten, um eine bessere Demokratie zu erreichen, versprach er. Mit einer „besser gelenkten Demokratie“ könne man die Probleme, die das Land plagen, lösen.
Menschenrechte sind unwichtig in Indonesien
„“Ich weiss, dass die Leute mich sofort als den ehemaligen Soldaten darstellen werden, der einst versuchte, den Präsidenten zu stürzen und der in die antichinesischen Unruhen (beim Sturz Soehartos, denen 1998 etliche tausend Chinesen und vor allem Chinesinnen zum Opfer gefallen waren) verwickelt war. Ich bin ein Generalleutnant im Ruhestand, der einmal versucht hat, einen Präsidenten zu stürzen. Aber ich scheiterte, und ich bedauere, dass ich scheiterte“, erklärt er grinsend und unter dem Gelächter der Zuhörer.
Ein anderes Mal, während der Unruhen des Jahres 1998, verzichtete er als Kommandeur des Strategischen Reservekommandos Kostrad (1965 hatte Soeharto als Kostrad-Kommandeur erfolgreich gegen Sukarno geputscht.) darauf zu putschen. „Angesichts der heutigen Situation bedauere ich, es nicht getan zu haben“, spasste er. Doch es könnte auch durchaus ernst gemeint gewesen sein.
Der immer noch kräftige, wenngleich etwas fülliger gewordene Prabowo, der sich gerne in Uniform mit dem roten Beret der Kopassus Sondereinheiten darstellen lässt und stolz auf seine amerikanische Ausbildung in Fort Benning ist, war berüchtigt geworden, als er die timoresische Widerstandsbewegung gegen die indonesische Besatzung (Fretelin) in seiner „Operation Ausrottung“ mit Terror, Todesschwadronen und Folter eliminieren wollte.
Kampf den "Vaterlandsverrätern"
Den Dank diverser Regierungen erntete er, nachdem er 1996 in einer nicht minder brutalen „Operation Mapenduma“ zwölf deutsche, britische und holländische Wissenschaftler der Lorentz-Expedition aus den Händen der mit Pfeil und Bogen bewaffneten Entführer der Freies Papua-Bewegung befreit hatte. Als sich 1998 im Gefolge der asiatischen Finanzkrise der öffentliche Unmut über den langjährigen Diktator in zahlreichen Studentendemonstrationen äusserte, versprach Prabowo, „alle Chinesen aus dem Land zu jagen, auch wenn das die Wirtschaft um zwanzig bis dreissig Jahre zurückwirft“, und beschwor Indonesiens Muslime öffentlich, sich ihm anzuschliessen, um die „Vaterlandsverräter“ zu bekämpfen.
Doch nicht diese Vergangenheit ist es, die verblüfft. Schliesslich verlangt auch BJ Habibie, der ehemalige Präsident und Nachfolger Soehartos mit seiner deutschen Ausbildung als Flugzeugingenieur, eine starke Führerpersönlichkeit an der Spitze des Staates, der von religiösen, ethnischen und sozialen Konflikten zerrissen ist: „Wir brauchen eine Person, die das Volk führen kann, um voranzukommen.“ Und grobe oder sogar gröbste Menschenrechtsverletzungen haben Indonesien noch nie geschadet, weder 1965 als Soeharto in einem Blutbad die Macht an sich riss, dem Hunderttausende zum Opfer fielen, noch die Massaker, in denen Indonesiens Truppen in 25 Jahren Besatzungszeit die einheimische Bevölkerung Osttimors um ein Drittel dezimierten, oder das Gemetzel, das pro-indonesische Milizen nach der Abstimmung für die Unabhängigkeit am 30. August 2001 in Osttimor anrichteten. Als „unser bad guy“ musste Indonesien nie unter Sanktionen leiden.
Überrascht sind Beobachter vielmehr von Prabowos Forderung nach einer „gelenkten Demokratie“. Da kennen sich die Indonesier aus. Schon einmal, unter ihrem Staatsgründer Sukarno, hatten sie eine „gelenkte Demokratie“. Es hatte böse geendet.
Gelenkte Demokratie
Unter dem Druck zumeist westlicher Regierungen, die gebetsmühlenhaft Demokratie fordern, ohne sich Gedanken über die Ausgangslage zu machen, versammeln sich in den meisten Parlamenten der Entwicklungs- oder Schwellenländer die Vertreter winziger gebildeter und egoistischer Eliten, die nur ihre Interessen verfolgen, und die eine weite Kluft von den grossen Massen der städtischen und ländlichen Bevölkerung trennt.
Genervt von Parteienzwist, Korruption und Feilschen um die Pfründe im Parlament hatte Sukarno 1956 einer Versammlung von Jugendführern zugerufen: „Wisst ihr, was mein Traum ist?... Mein Traum ist, dass die Parteiführer gemeinsam berieten und dann zu der Entscheidung kämen, zusammen alle Parteien zu begraben.“ Die Demokratie, die er sich für Indonesien ersehne, so erklärte er seinen Zuhörern, „ist keine liberale Demokratie, wie sie in Westeuropa existiert. Nein! Was ich mir für Indonesien wünsche, ist eine gelenkte Demokratie, etwas, das geführt wird, aber immer noch eine Demokratie ist.“
Eine unheilvolle Erinnerung
Drei Jahre später liess er mit nachdrücklicher Billigung der USA die Wahlen verschieben, weil zu befürchten stand, dass die kommunistische Partei PKI gewonnen hätte. Gleichzeitig löste Sukarno die verfassunggebende Versammlung auf, richtete ein Arbeitskabinett ein, dem auch die drei Stabschefs, der Polizeichef und der Generalstaatsanwalt angehörten, und berief ein Parlament, dem neben 130 von ihm bestimmten Parteienvertretern 153 Repräsentanten funktionaler Gruppen angehörten, wobei 15 Sitze von der Armee, jeweils sieben von Marine und Luftwaffe, fünf von der Polizei und der Rest von Arbeiter-, Bauern-, Jugend-, Frauen- sowie islamischen Repräsentanten besetzt wurden. Neben dieser Beratenden Volksversammlung diente der Oberste Beratende Rat, dem zwölf Repräsentanten der bedeutendsten Parteien, acht regionale Vertreter sowie Vertreter diverser funktionaler Gruppen angehörten, dem Präsidenten als zusätzliches Beratungsgremium. Diese Gremien sollten den geeigneten Rahmen für die Beratungen bilden, die nach der Logik der Gelenkten Demokratie den nationalen Konsens sicherstellen sollten.
Damit war zwar die Macht des Präsidenten erheblich gestärkt und die PKI ausgebootet, doch damit war auch das Parlament zerschlagen. Die einzige starke Kraft neben dem Präsidenten waren nun die Streitkräfte. Um der wachsenden Macht des Militärs zu begegnen, versuchte Sukarno die PKI wieder als Gegenpol an seine Seite zu holen. Das aber wollten die USA, die bereits in Vietnam kämpften und den Fall weiterer „Dominosteine“ fürchteten, auf jeden Fall verhindern. CIA, NATO und indonesische Generäle planten und organisierten den Sturz des charismatischen Javaners. Sie zogen eine blutrünstige Diktatur einer „gelenkten Demokratie“ vor. Das scheint Prabowo vergessen zu haben.