Zugegeben: Die aus lauter hochbezahlten Kickern zusammengesetzte Selección hat in 120 Minuten ein Tor geschossen und die Schweiz nicht. Aber das war es auch schon, wie nach dem Spiel selbst fanatische Argentina-Fans, die zusammen mit Schweizern das Spiel in der Schweizer Botschaft in Buenos Aires verfolgten, zugeben mussten. Zuvor hatte ihnen mehrmals der Atem gestockt, weil die Aussenseiter dem Favoriten aus Südamerika durchaus ebenbürtig waren und den einen oder anderen argentinischen Star schlecht aussehen liessen.
Eine fast „schöne“ Niederlage
Die Argentinier hatten zwar ihren Messi, mit dem sie oft und gern prahlen, der wirkte an diesem Tag jedoch eher blass, und auch ein bisschen lustlos. Spätestens nach einer Viertelstunde mussten sie ihre Prognose, dass die Schweizer gegen Argentinien eine ähnliche Abfuhr erleiden würden wie gegen Frankreich, kleinlaut korrigieren. Nun fragte keiner mehr wie in den Tagen zuvor wohlwollend-spöttisch, ob denn ausser dem Bayern-Spieler Shaqiri irgendein Schweizer internationales Format habe.
In der Verlängerung zu verlieren tut weh. Aber einmal abgesehen davon, dass nach den Worten des Wiener Soziologen Roman Horak, „schöne Niederlagen und hässliche Siege unverzichtbarer Teil des Fussballspiels sind“: Den Schweizern bleibt die Genugtuung, ihren Gegnern alles abverlangt zu haben. Und sie haben letztlich auch ihren Landsleuten, die in Argentinien leben, einen (unfreiwilligen, und zumindest im ersten Augenblick auch unerwünschten) Gefallen getan.
Wenn die Favoriten verloren hätten
Nicht auszumalen, was auf die paar Schweizer unter den Millionen Argentinos zugekommen wäre, wenn die Favoriten verloren hätten. In ihrem Zorn über die schmachvolle Niederlage gegen einen Fussballzwerg hätten sie wohl vergessen, dass die beiden Länder ziemlich beste Freunde sind, und möglicherweise an den Tango-Schulen in Buenos Aires einen Numerus clausus für Kandidaten und Kandidatinnen aus der Schweiz eingeführt.
Oder sie hätten uns gar alle in einen Topf geworfen mit dem Blatter Sepp. Der umstrittene Schweizer Fifa-General kann zwar immer noch auf die tatkräftige Unterstützung des unter schwerem Korruptionsverdacht stehenden argentinischen Fussballbosses Julio Grondona zählen, ist aber mittlerweile auch in Lateinamerika kein Vorzeigeschweizer mehr.
Inflation, Korruption und Schuldenkrise
Bei allem Herzschmerz ist den Argentinos der Erfolg gegen die Schweiz auch deshalb zu gönnen, weil sie zurzeit wieder einmal ziemlich unten durch müssen. Sie leiden unter einer galoppierenden Inflation, die von der Regierung schön geredet, anstatt wirksam bekämpft wird. Aber auch gegen die wachsende Kriminalität und die ausufernde Korruption unternehmen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner und ihre Gefolgsleute viel zu wenig.
Das Land riskiert zudem nach dem Staatsbankrott vor 13 Jahren einen neuen Zahlungsausfall. Am Tag bevor die Selección die Schweizer Nationalmannschaft schlug, hätte Argentinien 539 Millionen USD Schulden zurückzahlen müssen. Die amerikanische Justiz blockiert jedoch die Auszahlung der fälligen Raten auf die 2005 und 2010 umgeschuldeten Anleihen.
Gemäss einem Gerichtsbeschluss muss Argentinien zuallererst 1,5 Milliarden USD an zwei Hedgefonds begleichen. Diese hatten bei den Schuldenschnitten 2005 und 2010 auf ihre ursprünglichen Forderungen bestanden. Sie verlangen den vollen Nominalwert der argentinischen Anleihen, die sie während der Schuldenkrise 2001 zu Ramschpreisen gekauft hatten.
Buenos Aires will zahlen, aber...
Ein US-Gericht hatte den Fonds das Recht zugestanden, ihre Ansprüche durchzusetzen, der Oberste Gerichtshof der USA hatte das Urteil bestätigt. Der Streit wird in den Vereinigten Staaten ausgefochten, weil die Staatsanleihen damals in Dollar unter US-Recht ausgegeben wurden.
Die Regierung in Buenos Aires, die die Investoren als „Geierfonds“ bezeichnete, hat in ganzseitigen Zeitungsinseraten in Europa und den USA ihre Zahlungsbereitschaft beteuert. Sie erklärt sich auch verhandlungsbereit, ist aber nicht gewillt, die Fonds zum Nominalwert zurückzuzahlen. Andernfalls, so befürchtet sie, könnten auch andere Gläubiger mit Klagen nachdoppeln, Forderungen von über 20 Milliarden USD stellen und damit Argentinien in grosse finanzielle Schwierigkeiten bringen.
Und jetzt Weltmeister?
Mit einem Sieg an der Fussball-WM lassen sich diese Sorgen nicht vertreiben, aber zumindest kurzfristig vergessen. Und vielleicht haben die Argentinos in den nächsten Tagen abermals Grund zum Jubeln. Der Weg zum Weltmeistertitel müsste nun eigentlich geebnet sein. Vamos Argentina: Die höchste Hürde habt ihr mit dem Erfolg gegen die Schweiz ja überwunden.