Der 1945 geborene japanische Architekt Riken Yamamoto ist in Europa wenig bekannt. Bevor er 2010 den Wettbewerb für die Grossüberbauung neben dem Flughafen Zürich gewann, wurde er nur selten zu hiesigen Wettbewerben eingeladen. In seinem Werkverzeichnis führt er einen Entwurf für ein französisch-japanisches Kulturzentrum in Paris und ein Projekt für einen Wohnblock in Amsterdam auf.
In Japan hingegen realisierte er mit seinem Team komplexe und umfangreiche Werke, etwa 1991 eine 110 Einheiten umfassende Wohnüberbauung in Kumamoto, 1999 ein riesiges Universitätsgebäude in Saitama, 2003 einen Wohnungscluster in Tokyo mit rund 2000 Wohnungen und 2008 die aus zwei prägnanten Blöcken bestehende Fussa City Hall in Tokyo.
In seinen Kommentaren bemängelt Yamamoto die traditionelle Rolle des Architekten, der sich den strategischen Entscheidungen von Politikern und Wirtschaftsleuten unterordnen muss. Vielfach entwirft der Baumeister ein in sich abgeschlossenes Gebäude, das mit der Umgebung nicht vernetzt ist. Dadurch zerfallen städtische Gebilde in Einzelteile, zwischen denen ungestaltete Räume entstehen.
Ganzheitliche Entwürfe
Wo immer ihm dies möglich ist, versucht Riken Yamamoto Bezüge von Aussen und Innen, von Landschaft und Gebautem, von Verkehrsachsen und bewohnten Zellen zu schaffen. Beispielhaft zeigt sich dies in der 2010 erfolgten Pangyo-Überbauung in Seongnam, Südkorea. Die Wohnzellen sind zu kleineren Gruppen konzentriert, die je auf einem gemeinsamen Sockel stehen. Innerhalb der Überbauung schaffen Wege und Terrassen die Verbindungen zwischen den Clustern. Gemeinschaftsräume sollen die Bewohner und Bewohnerinnen zusammenführen. Grosse Fensterflächen gewähren nicht nur Sichtkontakte im Quartier, sondern auch Ausblicke auf die Umgebung.
Riken Yamamoto pflegt seine Überlegungen mit farbigen Zeichnungen zu visualisieren, die an Kinderbücher gemahnen. Ungewohnt für Architekturskizzen sind die unzähligen Figuren, welche die perspektivischen Ansichten eines Projektes bevölkern.
Ohne die Kenntnis der gestalterischen Grundsätze Riken Yamamotos ist das Konzept von „The Circle“ beim Flughafen Zürich nicht nachvollziehbar. 2009 wurde für dieses Dienstleistungs- und Begegnungszentrum, wie es im Jurybericht lapidar genannt wird, ein Wettbewerb ausgeschrieben. Für die Überbauung freigegeben wurde ein bananenförmiges, bereits überbautes Grundstück am Fusse des Butzenbüels, des kleinen Hügels im Zufahrtsring. Nicht weniger als 93 Teams aus der ganzen Welt nahmen teil. Die Bezeichnung „The Circle“ war von Anfang an gegeben. Für die Nutzung wurden sieben Module definiert, die um Themen wie Gesundheit, Kultur, Hotel, Büronutzung und Kongresse kreisten.
Der Circle als Stadtgebilde
Nach drei Evaluationsstufen erklärte die Jury das Team von Riken Yamaoto zum Sieger. Die Japaner hatten sich gegen renommierte Gestalter wie Zaha Hadid, SAANA, David Chipperfield und Dominique Perrault durchsetzen können. Auffällig am Siegerprojekt ist das geradezu januskopfartige Erscheinungsbild mit einer weitgehend geschlossenen Fassade zum Flughafen und einer offenen Struktur auf der Butzenbüel-Seite. Ein weiteres kennzeichnendes Element ist das Thema der Gasse im Inneren.
2013 erhielt Riken Yamamoto die Gelegenheit, das Projekt zusammen mit anderen Entwürfen anlässlich einer kleinen Ausstellung in der Architekturgalerie Luzern zu zeigen. Der Titel der Begleitpublikation „How to make a city“ verweist bereits auf die Interpretation vom Circle als Stadtgebilde. Gegenüber den ersten Plänen musste Riken Yamamoto die feingliedrige Gebäudestruktur zum Hügel hin verdichten. Das ist zwar zu bedauern, doch aus betriebswirtschaftlichen Gründen war eine Anpassung unumgänglich.
Raffaela Stelzer, die Mediensprecherin des Flughafens Zürich, ermöglichte es mir, zusammen mit Arthur Tobler, dem Leiter Projekte des Flughafens Zürich, das gesamte Zentrum zu besichtigen – zufälligerweise am Tage des ersten Schneefalls. Mit den verschneiten Bäumen und den zwischen den Schneeflocken diffus erscheinenden Fassaden aus Glas und Aluminium fühlte man sich schon fast in eine japanische Winterlandschaft versetzt.
Auch wenn der Circle offiziell bereits eröffnet wurde, sind einige Innenräume noch nicht vollendet, so etwa das Juwel des Konferenztraktes, ein 60 Meter langer unterteilbarer Saal mit abgeschrägten Seitenwänden, die so perforiert sind, dass verborgene Leuchtkörper verschiedene Farbstimmungen generieren können. Stelzer und Tobler bezeichneten diese Halle, die bis zu 1500 Personen aufnehmen kann, als eine Art Kathedrale.
Kleinräumig und modular
Riken Yamamoto verwies in den Medien wiederholt auf seine Besuche im Niederdorf in der Altstadt von Zürich. Deren Kleinräumigkeit beeinflusste seinen Entwurf für den Circle wesentlich. Die Fassade zur Zufahrtsstrasse gestaltete er als elegant geneigte Glasfront, die als Nachbildung einer mittelalterlichen Stadtmauer gedeutet werden kann.
Drei Tore verbinden die Verkehrsachse mit der Hauptgasse des Circle, die mit zahlreichen Richtungswechseln eine Art Fussgängerzone mit kleineren und grösseren Plätzen bildet. Es scheint, als ob Riken Yamamoto das von Camillo Sitte propagierte, sich an mittelalterliche Stadtkerne anlehnende ideale Stadtbild neu interpretieren wollte.
Dem gesamten Grundriss ist ein Raster mit den Massen 540, 270 und 135 Centimeter unterlegt, der an den Fassaden bei Fenstergrössen und Abständen der Stützen abgelesen werden kann. Das Skelett besteht aus einem Betongerüst, dessen Pfeiler teilweise roh belassen wurden. Glas und Aluminium prägen die Aussenhaut; allerdings ist den Restaurationsbetrieben und Geschäften die Gestaltung ihrer Schaufassaden nach eigenen Vorstellungen erlaubt worden. Einzig die Eingänge waren mit einer geometrischen Rahmenstruktur und einer einheitlichen Beschriftung vorgegeben.
In der Gasse erleben die Flanierenden ein Spiel von Offen und Geschlossen. Glasdachelemente überdecken einige Abschnitte, andere sind zum Himmel offen. Während die Aussicht von den Büros zum Flughafen alles andere als berauschend ist, öffnen sich die kleineren und grösseren Aufenthaltsräume zur idyllischen Parklandschaft des Butzenbüel, der dank einer Standseilbahn auch für gehbehinderte Personen erreichbar ist.
Impuls für die Region
Noch ist es zu früh, um zu beurteilen, ob das Stadtgebilde am Flughafen auch als solches wahrgenommen und belebt wird. Doch wer vom SBB-Bahnhof durch das Gewusel der Terminals schreitet und sich dabei konzentrieren muss, um die Orientierung nicht zu verlieren, erlebt den Circle trotz der zahlreichen Ecken und Winkel als geordnetes Ganzes.
Der Begriff «Stadt» kann dazu verleiten, Vergleiche mit historisch gewachsenen Siedlungsstrukturen anzustellen. Doch das würde einem solchen Konzept nicht gerecht. Ursprünglich sollte laut Jurybericht der künftige Komplex gezielt anspruchsvolle und wählerische Besucher anziehen: „Sie sind weltgewandt, mit gutem Geschmack und hoher Kaufkraft – ob international von allen Kontinenten, regional aus der Schweiz, aus Süddeutschland und Norditalien oder lokal aus dem Grossraum Zürich.“ Inzwischen versteht man den Circle jedoch als neues Quartier, das insbesondere die Region stärken und dadurch ein breiteres Publikum ansprechen soll als ursprünglich vorgesehen.
In Vorbereitung ist eine Monografie über den Circle in Zusammenarbeit mit dem Verlag Hochparterre.