
Mein Vater war befreundet mit einem Anwalt. Der hatte vier Töchter. Und keine interessierte sich für Fussball.
Der Freund meines Vaters war Ehrenmitglied der Zürcher Grasshoppers. Stets waren auf der Ehrentribüne zwei Plätze für ihn reserviert. Da die Töchter nicht wollten, fragte er mich, ob ich will. Ich wollte.
Da sass ich nun, kleiner Knirps, im Hardturm-Stadion bei meinem ersten Match. GC gegen irgendwer. Ich war fasziniert, berauscht, fast neu geboren. Ein Blau-Weisser drehte eine Pirouette, den Ball am Fuss; den linken Absatz schlang er um das rechte Bein.
Die Schule, Zeitverschwendung
Am Abend nach dem Spiel führte ich meiner Mutter diese Pirouette vor, linker Absatz ums rechte Bein. Dummerweise fiel ich hin. Noch dümmer: ich klammerte mich an den Tischtuchzipfel des schon gedeckten Tisches. Das war mein erster Fussballtag. Meine Mutter wusste: jetzt ist ihr Sohn Fussball-Experte.
Es gab nichts mehr ausser Fussball. Die Schule, was soll’s, Zeitverschwendung. Schon damals gab es Panini-Bilder. Zehn Rappen kostete eines, inklusive Kaugummi. Natürlich hatte ich bald alle – und das Album dazu. Die Bildlegenden zu den einzelnen Spielern konnte ich schnell auswendig.
Der Pullover im Bett
Ab und zu durfte ich jetzt an den Match, nicht mehr auf die Ehrentribüne, sondern auf die Stehplätze. Ich himmelte die Spieler an. Manchmal hatte ich etwas Geld und konnte mir ein Vivi Kola leisten. Oft war ich schon eine, zwei Stunden vor Spielbeginn im Stadion – und träumte.
Einmal spielten die Young Fellows im Vorspiel. Ich stand hinter dem Tor. Der Torhüter hiess Armuzzi. Er trug einen schwarzen Wollpullover mit aufgeschlagenem Kragen. Während des Spiels lehnte er sich lässig an den Torpfosten, als wollte er sagen: Ihr Gegner da vorn, ihr könnt mich mal. Ich war begeistert. Da drehte sich Armuzzi um. Ich glaubte, er würde mir zuzwinkern. Meine Mutter strickte mir dann einen schwarzen Pullover mit aufgeschlagenem Kragen. Ich trug ihn auch nachts.
Hass und Verachtung
Meist ging ich allein an den Match. Ich wollte allein sein, allein geniessen, allein träumen. Die andern hatten ohnehin immer eine andere Meinung. Schon früh erfuhr ich: Beim Thema Fussball quatscht jeder mit.
Wieder stand ich auf den Stehplätzen und GC spielte gegen Lugano. Und da geschah es. Zwei Reihen hinter mir stand ein alter Mann. Er war so um die dreissig Jahre alt. Und er schrie: „Hopp Lugano“. Ich verstand die Welt nicht mehr. Wie kann man für Lugano sein. Ich musterte den Mann mit einer Mischung aus Hass, Verachtung und völligem Unverständnis. Immer wieder schaute ich ihn an, von oben bis unten. Wie kann man nur für Lugano sein!
Wichtiger als Catherina Valente
Es war die Zeit, als die Grasshoppers nicht die besten waren. Die Besten waren die Young Boys. Wie verabscheute ich diese Berner. Sogar die Farbe Gelb verabscheute ich. Ich hasste sie mit all meinen Fasern.
Da gab es bei GC einen linken Stürmer, Nummer 11. Duret hiess er, glaube ich. Er war das Idol all meiner Idole. Im Telefonbuch fand ich seine Wohnadresse. Ich glaube, er war Mechaniker, irgendwo. Eines Abends passte ich ihn ab, wartete Stunden. Dann kam er. Stotternd und zitternd ging ich auf ihn zu. Er strich mir über den Kopf und gab mir ein Autogramm. Das war mir tausend Mal mehr wert als das Autogramm, das mir einst Catharina Valente schickte.
Falsche Eckzähne
Am liebsten wäre ich selbst Torhüter geworden. In meinem Zimmer träumte ich davon. Da stand ich zwischen den Pfosten, Riesengeschrei im Stadion, ein harter Schuss. Ich im schwarzen Pullover. Ich hechtete aufs Bett, fing den Ball, Riesenjubel. Und das Bett krachte zusammen.
Ich spielte oft mit Freunden. 17. Liga oder so. Da ich Linksfüsser war, konnte man mich gebrauchen. Duret spielte ja auch links aussen. Doch dann stellte man mich oft ins Tor. Unerschrocken hechtete ich auf den Ball. Der Angreifer traf zwei Mal nicht den Ball, sondern meinen Kopf. Seither habe ich zwei falsche Eckzähne.
Intolerant, stur
Irgendwann verflog die Fussball-Euphorie. Ich begann mich für Flugzeuge zu interessieren – und dann für Mädchen. Später, als Erwachsener, dachte ich oft, wie kann man nur so intolerant sein, so absolut? So stur? Den Gegner aufs Blut hassen? Nur das Eine gelten lassen?
Wenn ich heute manchmal politische Diskussionen sehe, dann denke ich oft an meine Fussball-Zeit, an „Hopp Lugano“.
Ich zog dann für viele, viele Jahre nach Genf. Für Fussball interessierte ich mich kaum noch. Doch einen Luxus erlaubte ich mir. Alle zwei, drei Jahre ging ich zum Match, dann, wenn Servette „meine“ Grasshoppers empfing. Doch jetzt freute ich mich auch, wenn Servette gewann - vorausgesetzt sie spielten besser.
Manchmal lernt man dazu im Leben
Das alte Charmilles-Stadion war so romantisch vergammelt wie der Hardturm. Auch in Genf ging ich immer allein zum Match. Ich kaufte ein Bier und eine Waadtländer Bratwurst. Ich mischte mich auf der Stehtribüne unter die Zwölfjährigen. Da war immer was los.
Da beging ich einen kapitalen Fehler. In der Pause trank ich mein Bier und las... Ich las den Tages-Anzeiger. Die Zwölfjährigen begannen mich anzupöbeln. „Bist du etwa für die Grasshoppers, ça alors, quel con, quel imbécile, Suisse toto“. Die klassische Tirade gegen die Deutschschweizer. Ich hielt mich tapfer, doch ich spürte den Hass, der mir entgegenschlug. Ich dachte an „Hopp Lugano“.
Ein Jahr später ging ich noch einmal ins alte Servette-Stadion. Wieder Bier und Waadtländer Bratwurst. In der Pause las ich … die „Tribune de Genève“. Manchmal lernt man dazu im Leben.