Zahlreiche europäische Politiker haben bereits vor allem wegen der Krise ihr Regierungsamt verloren (Berlusconi, Zapatero, Gordon Brown etc.). Nun zählt auch Nicolas Sarkozy zu diesen Verlierern, obwohl er sich vorab als Retter aus der Krise vorgestellt und Frankreichs wirtschaftlichen und finanziellen Niedergang für den Fall eines Sieges seines sozialistischen Herausforderers angedroht hatte. Hollande versprach dagegen deutliche Korrekturen an der Austeritäts- und Steuerpolitik von Sarkozy. Der von letzterem und seiner Partei stets erhobene Vorwurf von Inkompetenz und Unerfahrenheit gegen Hollande verfing aber nicht. Sarkozy, nicht Hollande, fiel in die Glaubwürdigkeitslücke, obwohl Hollande den Kurswechsel erst noch konkretisieren muss. Mit der Häufung übertriebener Vorwürfe gegen Hollande vernachlässigte es Sarkozy, eine ausreichend positive Bilanz seiner fünf Jahre Präsidentschaft zu geben.
Wertekrise
Der Trend zu Hollande war seit Anfang des Wahlkampfes deutlich. Hollande hatte sogar einmal einen Vorsprung auf Sarkozy von zehn Punkten. Dieser Vorsprung ist dramatisch geschrumpft, aber letztlich war das Wählerreservoir für Sarkozy geringer als dasjenige für Hollande. Die schamlosen Anlehnungen Sarkozys an die nationalistischen Forderungen des rechtsextremen Front National von Marine Le Pen in den zwei letzten Wochen der Kampagne erwiesen sich für ihn als Katastrophe. Sie verscheuchten mehr Wähler, als sie ihm einbrachten und provozierten vor allem ein kritisches Unbehagen in der eigenen Partei, der Union pour un mouvement populaire (UMP), die jetzt vor einer schwierigen Reorganisation steht. Diesmal ohne Sarkozy, der sich aus der Politiki zurückziehen will.
Sein Flirt mit dem FN motivierte aber auch François Bayrou vom Mouvement Democrate, der in der ersten Wahlrunde allerdings nur 9 Prozent der Stimmen erhalten hatte, zu einem historischen Bruch zwischen dem Zentrum und der Rechten. Bayrou erklärte drei Tage vor der Stichwahl, er werde Hollande wählen, weil er Sarkozys Anbiederung an den FN - als gravierende Leugnung humanistischer und republikanischer Werte - nicht mittragen könne. Ob Bayrous kleine Partei diesen Bruch überleben wird, ist allerdings eine andere Frage.
Ein anderer Stil
Zum ersten Mal seit 17 Jahren - nach Mitterrands Präsidentschafts von 1981 bis 1995 - zieht wieder ein Sozialist ins Elysée ein. Hollande ist der siebte Präsident der Fünften Republik. Man erwartet von ihm keine dirigistischen wirtschaftspolitischen Abenteuer, wie sie Mitterrand in seinen ersten drei Jahren mit eklatantem Misserfolg versuchte. Hollande neigt von seinem Naturell zu moderaten Positionen, was ihm während seiner Zeit als Erster Sekretär des Parti Socialiste (1997 bis 2008) das Schimpfwort eines Weichlings eingebracht hat. In seiner Kampagne hat er aber auch Hartnäckigkeit gezeigt. So in der Fernsehdebatte mit Sarkozy und mit einigen plakativen Forderungen: 60'000 neue Stellen im Schulwesen, 75% Steuersatz für Einkommen über 1 Million Euro, Reduzierung der Atomenergie von 75 auf 50 Prozent, Wahlrecht für Ausländer auf Gemeindeebene.
Das ist noch kein Regierungsprogramm, aber vieles deutet darauf hin, dass Hollande zu einer sozialdemokratischen Mitte neigt. Er hat bereits deutlich gemacht, dass er sich nicht an den Wahlpakt zwischen seiner Partei und den Grünen gebunden fühlt. Er hat weder der extremen Linken, noch den Zentristen markante Zugeständnisse gemacht und den Wählern des FN - an die er allerdings auch appelliert hatte - nicht hofiert wie Sarkozy. Anders als Sarkozy, der im Land Konflikte zur Stärkung der eigenen Macht schürte - gegen die Gewerkschaften, gegen die Immigranten, gegen die Medien, gegen die "Eliten" und Intellektuellen -, ist Hollande ein geübter Krisenmanager, der nicht Konflikte, sondern "Synthesen" - und seien es "weiche", wie ihm seine eigenen Genossen es vorwarfen - suchte.
Schwieriges Erbe
Trotz seiner angeborenen Diskretion zeigte Hollande in seiner Kampagne auch seine eigene Persönlichkeit - aber auf der Gegenseite von Sarkozys "Bling-bling", das diesem viel Sympathien gekostet hat. Jedenfalls hat er eine andere Vorstellung des - in Frankreich immer noch leicht monarchistisch angehauchten - Präsidentenamtes. Sein Durchsetzungsvermögen wird sofort auf dem Prüfstand sein, wenn er - voraussichtlich am 15. Mai - sein Amt antritt. Eine Steuerreform (das heisst Steuererhöhung für Grossunternehmen und Besserverdienende) ist notwendig, wenn Hollande, wie angekündigt, bis 2017 das Budgetgleichgewicht herstellen, aber nicht auf einige neue Staatsausgaben verzichten will. Einseitige Austeritätspolitik will Hollande nicht akzeptieren.
Er hatte damit bereits einen Konflikt mit Deutschland heraufbeschworen, als er eine Neuverhandlung des deutsch-französischen Fiskalpakets in Aussicht stellte. Unterdessen haben sich in der EU die Hinweise vermehrt, dass Wachstumsimpulse gesucht werden und aus Berlin kamen noch am Sonntag zuversichtliche Signale eines neuen deutsch-französischen Zusammengehens. Bundeskanzlerin Merkel - die ihn als Kandidaten nicht empfangen wollte - hat Hollande bereits nach Berlin eingeladen - wahrscheinlich seine erste Auslandsreise als neuer Präsident. Über den Charakter der neuen Impulse gehen die Meinungen aber noch auseinander. Hollande denkt an Investitionen und die Europäische Zentralbank, die EU-Kommission an Strukturreformen im Steuerwesen und dem Arbeitsmarkt.
Aussenpolitisch erwarten Hollande in schneller Abfolge ein G-8-Gipfel, der Nato-Gipfel in Chicago (wo Hollande seine Absicht erklären müsste, die französische Truppen bereits ab Ende 2012 aus Afghanistan abzuziehen), ein EU-Rat und eine G-20-Versammlung.
Hürde Parlamentswahlen
In der Regel honorieren die französischen Wähler in den Parlamentswahlen, die auf die Präsidentenwahl folgen, die neue Mehrheitspartei. Eine Garantie dafür gibt es aber nicht. Wenn Hollande mit einer eigenen Regierung seine Politik realisieren will, muss er die Parlamentswahlen vom 10. und 17. Juni gewinnen. Sollte der PS verlieren, müsste Hollande - wie schon vor ihm sein Vorbild Mitterrand - mit einer Kohabitation, das heisst einer rechtsstehenden Regierung, auskommen. Vorläufig deutet aber nichts auf seine derartige Komplizierung hin. Die Rechte warnt aber bereits vor einem Machtmonopol der Sozialisten in den Territorialkörperschaften, dem Senat, dem Parlament und dem Elysée.