Von der am 5. April beginnenden Abstimmung über den nächsten Präsidenten Afghanistans hängt viel für die Zukunft des Landes ab. Es wird auf die Persönlichkeit des Gewählten ankommen. Doch wahrscheinlich wird noch wichtiger sein, ob eine von den Afghanen selbst als annehmbar angesehene Wahloperation durchgeführt werden kann oder nicht.
Das Veto der Taleban
Die Taleban haben ihr ganzes Gewicht dafür in die Waagschale geworfen, dass dies nicht geschehe. Sie haben den Wahlen als solchen ausdrücklich den Kampf angesagt, und sie warnen die Bevölkerung, wer daran teilnehme, als Wähler oder als Organisator, werde "bestraft". Die wahrscheinlichste Strafe, welche die Taleban zu verhängen vermögen, ist die Ermordung der zu bestrafenden Person, möglicherweise mit seiner Familie oder Teilen derselben. Die potentiellen Wähler sind ausführlichen Drohungen ausgesetzt wie der folgenden:
„Wir haben allen Mujahedin befohlen alle Gewalt einzusetzen, um die bevorstehenden Pseudo-Wahlen zu stören. Sie sollen alle Arbeiter aufs Ziel nehmen, alle Aktivisten, Besucher, den Sicherheitsapparat in allen Büros. Die Nation muss dafür sorgen, dass diese Wahlen nicht durchgeführt werden, weder in Moscheen, noch Kliniken, noch in Schulen, Islamschulen,oder allen anderen öffentlichen Räumlichkeiten. Wir fordern alle Mitbürger auf, sich von Wahlbüros fern zu halten, von Urnen, Wahlzusammenkünften und Umzügen, so dass - Gott behüte - ihr Leben nicht gefährdet werde. Wenn irgendjemand dennoch darauf bestehen sollte, teilzunehmen, dann ist er selbst verantwortlich für alle zukünftigen Verluste“
Anschläge als Machtdemonstrationen
Um ihre Drohungen glaubhaft zu machen, haben die Taleban in den letzten Wochen spektakuläre Anschläge durchgeführt. Jene, die in Kabul stattfanden, erhielten die meiste Beachtung, im Lande selbst und im Ausland. Darunter waren zwei Angriffe auf den Haupt- und den Nebensitz der Unabhängigen Wahlkommission in Kabul am 25. März. Dies ist die Kommission die für die sehr schwierige technische Durchführung der Wahlen verantwortlich ist. Sie war von Karzai in einem undurchsichtigen Verfahren ernannt worden. Die afghanischen Sicherheitstruppen reagierten auf den Angriff. Die Schiesserei mit ihnen dauerte über 5 Stunden. Die Terroristen wurden anscheined alle getötet. Doch die Verluste auf der angegriffenen Seite blieben unklar.
Mord an Kindern und Ausländern
Zuvor am 20.März gab es den Angriff auf das Serena Hotel, eines der besten in Kabul. Die Attentäter waren als Frauen verkleidet, das heisst völlig verschleiert. Sie hatten Revolver in ihren Socken versteckt, und sie durchbrachen auf diesem Weg zwei Sicherheitsabschnürungen. In dem Hotel wurden neun Zivilisten getötet, fünf Afghanen, zwei Kanadier, ein Amerikaner und ein Bürger Paraguays. Die Ausländer waren Mitglieder von Beobachterkommissionen, die gekommen waren, um den Verlauf der Wahlen zu beobachten. Die Kommissionen beschlossen darauf, nach Hause zurückzukehren, weil die Sicherheit nicht gegeben sei. Die afghanischen Opfer waren der Hauptkorrespondent von AFP in Aghanistan, Sardar Ahmed, mit seiner Frau und drei Kindern. Nur der jüngste Sohn überlebte mit fünf Einschüssen. Die afghanischen Journalisten beschlossen in Reaktion auf die Untat, in Zukunft alle Mitteilungen der Taleban nicht mehr zu veröffentlichen. Doch dies scheint nicht besonders gewirkt zu haben. Am 4. April wurde gemeldet, dass zwei weitere ausländische Journalistinnen "in einem Polizeirevier", anscheinend von einem Polizisten in Kunduz angeschossen worden seien, die eine verlor ihr Leben, die andere wurde schwer verletzt.
Kabul und Provinzhauptorte als Ziele
Es gab noch andere "vorwahl" Anschläge in Kabul, darunter einer auf ein Gasthaus von NGOs, der offenbar eigentlich einem christlichen Gemeindehaus gegolten hatte, das daneben liegt. Die ersten Communiqués der Täter sprachen von einer "Kirche", die sie angegriffen hätten. Wenn der Angriff sein Ziel erreicht hätte, wäre ihm eine Grosszahl von Menschen zum Opfer gefallen. Auch das Gasthaus des Innenministeriums wurde am 2. April angegriffen.
Vergleichbare spektakuläre Schritte der Taleban gab es auch in den Provinzstädten. So in Jalabad, zwei mal in Kunduz, und in Maimana, mit gesamthaft 41 Toten und über 60 Verwundeten. Ziel war offensichtlich stets, zu unterstreichen, dass die Taleban in der Lage seien, ihre Drohungen wahr zu machen, sogar dort, wo die Regierung das Sagen hat. Allerdings dürfte den Afghanen nicht entgangen sein, dass diese Mordaktionen stets durch Personen durchgeführt werden, die bereit sind, ihr Leben zu verlieren.und es auch zu verlieren pflegen, "todesmutig" sagen die Taleban; "selbstmörderisch" ihre Gegner.
Doch noch Chancen für Wiederaufbau?
Wenn es gelingt, die Wahlen glaubwürdig durchzuführen trotz dieser Anstrengungen der Taleban und trotz aller anderen Schwierigkeiten, besteht eine Möglichkeit, dass der kommende Präsident ein Regime aufzubauen vermöchte, das den Taleban Widerstand leistet. Wenn aber die Wahlen unglaubwürdig verlaufen, das heisst so, dass die Afghanen selbst in ihrer grossen Mehrheit, die Resultate nicht mitzuvolliehen gewillt sind - aus welchen Gründen auch immer dies sein mag - dann wird es praktisch unmöglich werden, Afghanistan als zusammenhängenden Staat nach dem Abzug der Nato Truppen, der Ende dieses Jahres vollendet sein soll, von Kabul aus fortzuregieren.
Zerbricht Afghanistan nach dem Abzug?
Spaltungen würden unvermeidlich und ein Bürgerkrieg drohte. Er würde wohl jenem vergleichbar ausfallen, der nach dem Abzug der Sowjetarmee im Jahr 1988 ausbrach und aus dem schussendlich 1996 die Taleban mit pakistanischer und saudischer Hilfe als die Sieger hervorgehen sollten. Es war jener innere Krieg, mehr noch als der Krieg gegen die Sowjetbesatzung, der Afghanistan und Kabul selbst gründlich zerstören sollte.
Warum ist den Wahlen eine solche Bedeutung zuzumessen? - Dies liegt an der gegenwärtigen politischen Gesamtlage. Die Amerikaner und Nato wären bereit, nach dem Abzug ihrer Truppen weiterhin einige Verantwortung für das Land zu übernehmen. Dies in Bezug auf seine Sicherheit, seine Entwicklung und seine Finanzen. Hauptverantwortung für die Sicherheit kommt der neuen afghanischen Armee zu. Dies ist bereits gegenwärtig der Fall. Die Wahlen sollen durch nicht weniger als 200 000 Mann abgesichert werden.Doch diese Armee mit einem geplanten Bestand von 500 000 Mann muss finanziert werden. Ihre Kosten werden auf 14 Milliarden Dollar im Jahr angeschlagen, und der heutige afghanische Staat ist schlechterdings nicht in der Lage dies aufzubringen. Er ist angewiesen auf finanzielle, militärische und Ausbildungshilfe der Nato Staaten, wenn seine neu ausgebildete Armee weiterhin funktionsfähig bleiben soll.
Abzug aller Truppen oder Vertrag mit den USA?
Die Nato Staaten, primär die USA, wären bereit, ein kleineres Kontingent ihrer Soldaten nach dem Abzug zurückzulassen, für Ausbildungshilfe und möglicherweise Kampfunterstützung falls angefordert und nötig. Die neue afghanische Armee hat noch keine Luftwaffe. Jedoch nach den amerikanischen Gesetzen ist eine derartige Militärmission nur möglich, wenn ein Vertrag über sie abgeschlossen wird, der die Einzelheiten über Verbleib, Vollmachten und Aufgaben der amerikanischen Truppen festlegt. Ein solcher Vertrag wurde zwischen der afghanischen Regierung und den amerikanischen Diplomaten ausgehandelt.
Doch Karzai weigert sich, ihn zu unterschreiben. Er fordert, die Amerikaner müssten gewisse Konzessionen einräumen, bevor er das tun könne. Die Forderungen Karzais sind für die Amerikaner jedoch nicht erfüllbar, und nach einem sehr langen diplomatischen Ringen haben die Amerikaner es aufgegeben, auf eine Unterschrift von Seiten Karzais zu hoffen. Sie haben beschlossen, die höchst komplexen und teuren Operationen zum Abzug ihrer Truppen zu beginnen, ohne länger auf den Vertrag zu warten. Das heisst, zu planen und zu handeln, als ob sie voll und endgültig ohne irgendwelche Rückstände abziehen würden. Der Truppenrückzug ist bereits in vollem Gang. Die Motive der Haltung Karzais sind unklar. Man kann vielfältige Vermutungen aufstellen, warum er seine Unterschrift verweigert. Zu seinen unterschiedlichen Forderungen gehört auch, die Amerikaner müssten mit den Taleban verhandeln, bevor sie abzögen. Doch keiner der vermuteten Gründe erklärt die Beweggründe Karzais völlig.
Wird der Nachfolger unterschreiben?
Weil der heutige afghanische Staat schlechterings nicht wird überleben können ohne Auslandshilfe, wird angenommen, der Nachfolger Karzais als neuer Präsident werde sich zuallererst mit der Frage des amerikanischen Vertrages abgeben müssen. Wahrscheinlich wird er ihn so rasch wie möglich unterschreiben. Wenn er es nicht täte, wäre seine präsidiale Position praktisch aussichtslos. Konkret, er könnte seine Armee nicht mehr finanzieren. Diese würde auseinanderfallen. Die immernoch bestehenden "War Lords" der Bürgerkriegszeit würden die Macht in den verschiedenen Teilen des Landes übernehmen und entweder mit den Taleban kämpfen oder mit ihnen paktieren. Sie würden auch gegeneinander kämpfen, und sie würden das Land einmal mehr zerstören.
Dass die Amerikaner und die Nato Staaten ihren Geldversprechungen nachkämen, wenn Kabul die Präsenz von Sicherheits- und Ausbildungstruppen in Afghanistan ablehnte, indem es den Vertrag nicht unterzeichente, ist nicht anzunehmen. Sie würden wahrscheinlich den Geldhahnen mit der Begündung zudrehen, die Hilfsgelder versickerten ja ohnehin in der sprichwörtlichen afghanischen Korruption.
Fortführung oder Zusammenbruch?
All dies läuft auf die Formel hinaus: ein glaubwürdiger Präsident vermöchte vielleicht die heutige verfahrene Lage noch zu korrigieren und das Engagement der westlichen Staaten in Afghanistan zu verlängern. Ein umstrittener und daher von Beginn an wenig glaubwürdiger Präsident vermöchte das schwerlich.
Auch ein glaubwürdiger Präsident, der die - unentbehrliche - Hilfe der westlichen Staaten erhielte, wird gegen gewaltige Widerstände ankämpfen müssen. Man kann aufzählen: die Taleban; die Korruption, die Opium Ökonomie (Anbau und Schmuggelexporte = 90 Prozent der Weltproduktion); die Schwierigkeiten des Zusammenlebens in dem Vielvölker- und Zweireligionenstaat, Frauenemanzipation und Bildung (5 % der Frauen über 15 können Lesen und Schreiben); Armut, Infrastrukturen, Gesundheitswesen etc. Es ist also keineswegs sicher, dass sogar ein glaubwürdig gewählter und fähiger Präsident das Land wird voranbringen können. Viel gewisser ist das Gegenteil: ein nicht glaubwürdiger Präsident, das heisst einer, mit dem sich ein bedeutender Teil der Afghanen nicht abfinden kann, wird die bevorstehenden Aufgaben nicht bewältigen können.
Legitimiert durch ehrliche Wahl
Viel für die Glaubwürdigkeit, die Legitimität, des nun zu wählenden Präsidenten und damit für die Zukunft des Landes wird vom Ablauf des nun beginnenden Wahlprozesses abhängen. Wie glaubwürdig aber wird die bevorstehende Wahl ausfallen? -
Wahlbetrug wird es geben. Angesichts des Ablaufes der früheren Wahlen von 2010 fürs Parlament und 2009 für den bisherigen Präsidenten, ist das zu erwarten. Das wird auch hinnehmbar sein, wenn die Betrügereien nicht dermassen massiv ausfallen, dass sie das Resultat als unglaubwürdig diskreditieren.
Im Falle der Wiederwahl Karzais von 2010 war dies zweite weitgehend der Fall. Es kam zu zwei Wahlgängen, doch Karzais Herausforderer, Dr. Abdullah Abdullah, verzichtete darauf, den zweiten Wahlgang zu bestreiten, weil er der Ansicht war, angesichts der massiven Fälschungen, die im ersten Wahlgang zu Gunsten der Wiederwahl des Präsidenten stattgefunden hatten, habe er keine Chance, gewählt zu werden. Karzai behielt damals trotz solchen Fragwürdigkeiten ein Mimimum von Glaubwürdigkeit auch in seinem zweiten Mandat, weil die ausländischen Mächte und Truppen mit ihrer ganzen Macht und all ihren Geldern hinter ihn traten. Sie taten dies damals "faute de mieux". Doch diesmal werden sie, entweder weitgehend oder auch vollständig, abgezogen sein. Der gewählte Präsident wird daher darauf angewiesen sein, mindestens soviel Zustimmung in seinem Land zu finden und aufrecht zu erhalten, dass kein Bürgerkrieg ausbricht, genauer gesagt, dass die afghanische Armee fortbesteht und der bestehende Abwehrkrieg gegen die Taleban sich nicht unaufhaltsam weiter ausbreitet sondern eher eingeschränkt werden kann.
Die Rolle der Ethnien
Die ethnischen Gegensätze in Afghanistan haben sich im Verlaufe der vielen Kriegshandlungen verstärkt. Die Ethnie - neben der Religion und dem Stammeswesen - gibt einen der wenigen verbleibenden Ansatzpunkte für Zusammenarbeit und Solidarität, wenn ein Vielvölkerstaat auseinander bricht, wie es in Afghanistan in den Jahrzehnten seit dem Beginn der Sowjetinvasion von 1979 mehrmals geschah.Die Ethnie, Volkszugehörigkeit durch die Sprache bestimmt, der verschiedenen Präsidentschaftskandidaten spielt daher eine grosse Rolle. Grosso modo werden sehr viele Stimmbürger für ihren Landsmann stimmen, nicht für einen "Fremden", der einer anderen Ethnie (=Sprachgemeinschaft) angehört. Dieses Grundfaktum bewirkt, dass die paschtunischen Kandidaten, einen gewichtigen Vorteil besitzen. Die Paschtunen sind die grösste der Ethnien und auch jene, die das Land traditionell regierte. Doch wenn, wie zur Zeit, mehrere paschtunische Kandidaten gegeneinander kämpfen, schwächt dies die Position aller Bewerber. Im ersten Wahlgang, der nun beginnt, wird es daher wahrscheinlich keinen endgültigen Sieger geben. Es sei denn ein nicht Paschtune gewinnt über 50 Prozent der Stimmen, indem er jene der Minderheitsvölker und vielleicht auch noch einige paschtunische Stimmen dazu auf sich vereint. Dies wäre die Chance für Dr. Abdullah Abdullah, der von Mutters Seite ein Tajike ist, Angehöriger der zweitgrössten Ethnie, jedoch Sohn eines paschtunischen Vaters. Er hat im Bürgerkrieg in der wichtigisten "tajikischen" Hauptmiliz, der "Allianz des Norden" unter Ahmed Schah Masud, eine führende Rolle gespielt und wird deshalb oft als Tajike wahrgenommen.
Der Paschtune "Karzais"
Doch wenn Dr. Abdullah nicht im ersten Wahlgang gewinnt, wird er wahrscheinlich auch nicht im zweiten siegen. Die Paschtunen werden sich dann ungeteilt hinter jenen der Ihrigen stellen, der die besten Chancen hat, den beinahe Tajiken Abdullah zu schlagen.
Dies könnte die uneingestandene Taktik von Karazi sein. Offiziell unterstützt er keinen "Kronprinzen". Doch inoffiziell glaubt man zu wissen, "sein Mann" sei der Paschtune, Zalmay Rasul. Wenn dieser Präsident würde, so die Auguren, könne Karzai "im Hintergrund fortregieren", weil er grossen Einfluss auf Zalmay Rasul ausübe.
Braucht es einen „reinen“ Paschtunen?
Falls aber Abdullah im ersten Wahlgang siegen sollte, tauchte eine neue Schwierigkeit auf: wären dann die Paschtunen bereit, sich ihm, einem "beinahe Tajiken" unterzuordnen? - Oder würde eine Spaltung auftreten wie im Irak, wo sich die alte Herrschergruppe der irakischen Sunniten noch immer nicht damit abgefunden hat, dass nun die neue der irakischen Schiiten auf Grund von Wahlsiegen das Land regiert? - Natürlich hinge es von der Geschicklichkeit des neuen Machthabers ab, ob und wie er die Ressentiments der nun "entmachteten" Gemeinschaft besänftigen kann. Dem irakischen Machthaber, Maleki, ist dies entschieden misslungen.
Von Urnen, Wahlzentren und Geisterurnen
Der Wahlvorgang in dem weiten und zerklüfteten Bergland ist äusserst komplex. Urnen und Wahlhelfer werden von Kabul aus ausgesandt und womöglich kontrolliert. Es gibt "Wahlzentren" und "Urnenpositionen" (um den Begriff "polling stations" zu übersetzen). Ein Wahlzentrum muss mindestens zwei Positionen umfassen, eine für Frauen und eine für Männer. Doch ein Wahlzentrum kann bis zu 12 Urnen beherbergen. Eine jede Urnenposition sollte über 600 Wahlzettel verfügen. Ob das genügt, oder zu viel ist, hängt davon ab, wieviele Personen stimmen gehen. Die Grössse der Wahlzentren (Anzahl seiner Urnenpositionen) wurde von der Wahlkommission in Kabul auf Grund von früheren Wahlen und von - schwerlich sehr genauen - Einwohnerstatistiken festgelegt. Jedoch bedeutend mehr Wahlzettel wurden gedruckt als die 600 pro geplante Urnenstation.
Die endgültige Zahl der Urnenstationen schwankte im Vorfeld der Wahlen auf Grund von Sicherheitskonsiderationen. Manche aussenliegende Gebiete galten als allzu unsicher um dort Wahlen durchzuführen. Die letze veröffentlichte Zahl der geplanten Urnenstationen vom 29. März betrug 6423. Früher, im Februar, waren 6775 geplant gewesen. Als Faustregel gilt: je weiter eine Urnenstation von der Zentralmacht und ihrer Kontrolle entfernt liegt, desto grösser wird die Gefahr von Wahlfälschungen.
In den letzten Präsidentenwahlen hat es "Geisterurnen" gegeben. Das waren solche, an denen nie abgestimmt wurde. Sie verschwanden im Gehöft eines lokalen Mächtigen, der sie mit Stimmen füllte und nach Kabul zurücksandte. Er tat dies natürlich im Interesse des von ihm bevorzugten Kandidaten. Angestellte der Wahlkommission, die ihre Urnen begleiteten, konnten entweder bezahlt oder unter Druck gesetzt werden, um den Betrug zu dulden. Einige dieser Fälle wurden später nachgewiesen, und die gestopften Urnen wurden ausgeschieden. Doch wieviele davon ?
Es gab Urnenpositionen, und es dürfte sie auch diesmal wieder geben, an denen keine Stimmbürger erschienen.Dies weil an dem betreffenden Ort die Macht der Taleban gross genug war, um die Stimmbürger abzuschrecken. Wenn beispielshalber in einem Dorf in den Bergtälern am Tag die Regierung, im günstigsten Fall gestützt durch eine Polizeistation, die Macht ausübt, aber nachts die Taleban kommen, empfiehlt es sich, nicht stimmen zu gehen, weil im Dorf natürlich ein jeder weiss, was die anderen Dorfbewohner tuen und lassen.
Leere Urnen stellen dann auch eine Versuchung für die lokalen Machthaber dar, sie mit "kollektiv abgegebenen" oder mit "Kompensationsvoten" anzufüllen, bevor sie versiegelt und verschlossen nach Kabul zurückkehren.
Wahlfieber bis in den Juni?
All dies ist natürlich für die Afghanen tägliches Brot. Dennoch ist ihre überwiegende Mehrzahl bereit, stimmen zu gehen, und die Sicherheit in den Zentren, wo auch die meisten Menschen leben, ist gut genug, um dies zu erlauben. Resultate werden in etwa einer Woche bekannt werden. Endgültige Resultate werden länger brauchen. Wahrscheinlich wird eine Stichwahl notwendig werden. Sie könnte im Juni oder im Juli über die Bühne gehen. Erst wenn der neue Präsident gewählt ist, wird das endgültige Schicksal des Abkommens mit den Amerikanern entschieden werden. Wovon allem Ermessen nach die gesamte Zukunft des Landes sehr stark abhängen wird.