In den letzten zwei Jahren hat die Entwicklung verschiedener Aktienindices wieder einmal einen grossen Teil der Anlegergemeinde überrascht. An verschiedenen Orten schreiben wir historische Höchststände.
Trendhafte Zeitreihen
Und einmal mehr lecken die immer gleichen Katastrophen-Gurus ihre Wunden. Nicht weil die vorausgesagten Katastrophen nicht eingetroffen wären – da sind die meisten wahrscheinlich froh –, sondern weil, wenn sie denn ihren eigenen Aussagen trauen, nicht investiert waren - wenn sie denn überhaupt selber Geld verwalten.
Längerfristig orientierte Anleger und Investoren, die eine fundamentale und vielleicht auch historisch orientierte Sicht haben, sind etwas weniger erstaunt. Aktienindizes sind trendbehaftete Zeitreihen, die der langfristigen Entwicklung der Unternehmensgewinne nachstreben. Und trendbehaftete Zeitreihen erklimmen halt immer wieder neue Höchststände. Das ist an sich nicht besonders aufregend. Trotzdem reiben sich die Leute jeweils die Augen, wenn wieder einmal ein Zwischenhoch erreicht wird. Und sofort wird auch wieder orakelt, ob es das denn nun gewesen sei, oder ob wir weitere Gipfel erklimmen werden.
Chaotische Bilder
Der Grund für diese Unsicherheit ist einfach. Die ebenso regelmässig wie unerwartet einsetzenden Einbrüche lassen einen jeweils daran zweifeln, dass der langfristige Trend auch wirklich real und nachhaltig ist. Während nämlich die langfristigen Kursgrafiken von weitem betrachtet den Trend visuell bestätigen, zeigen sie von nahem – sprich über die kurzfristigen Perioden – ein chaotisches Bild. Das ist auch der Grund, weswegen immer wieder behauptet wird, die Börse hätte sich schon lange von der realen Wirtschaft abgekoppelt und würde ein Eigenleben führen, das traditioneller ökonomischer Analyse nicht zugänglich sei. Entsprechend solle man bei der Geldanlage auch nicht auf irgendwelche wirtschaftliche Regularitäten setzen, sondern die Opportunitäten dort ergreifen, wo sie sich bieten.
In der Tat zeigen auch ökonometrische Untersuchungen, dass der Beitrag fundamentaler Unternehmensdaten, beispielsweise aus der Rechnungslegung, zur Erklärung kurzfristiger Aktienkursentwicklungen eher gering ist. Deswegen ist es auch hier sinnvoll, sich auf die längerfristige Analyse zu konzentrieren. Im längerfristigen Bereich zeigen einschlägige Studien nämlich – untersucht werden hier die Entwicklungen über mehrere Jahre oder Jahrzehnte – dass der Verlauf der Aktienkurse durchaus das Wertschöpfungspotential der Unternehmen abbildet. Solche Horizonte spielen aber für Analysten und/oder Anleger, die den raschen Kick suchen oder auf einen kurzfristigen Hype setzen wollen, keine Rolle. Für diese bleibt die Entwicklung der Aktienkurse oft chaotisch und „abgehoben“.
Die Determinanten
Dies eröffnet zwei Fragenkomplexe: Zum einen denjenigen nach den Determinanten des langfristigen Trends und zum anderen denjenigen nach der Bedeutung der Unternehmensdaten im „kurzfristigen Chaos“.
Der langfristige Trend, der uns die regelmässigen Börsenrekorde liefert, ist die einfachere der beiden Fragen. Er ist das Ergebnis des wirtschaftlichen Erfolges der letzten Jahrzehnte. Er repräsentiert die grundsätzlichen Fortschritte im wirtschaftlichen, sozialen und politischen Gefüge und die Innovationskraft der an diesem Prozess beteiligten Unternehmen. Wird sich diese Tendenz fortsetzen und uns irgendeinmal weitere Höchststände bringen?
Wer an die Phantasie und die Innovationskraft künftiger Generationen glaubt und der Meinung ist, dass die permanente Suche nach neuen Produkt- und Prozessmöglichkeiten erfolgreiche Unternehmen hervorbringt, zweifelt nicht an der längerfristigen Entwicklung. Kann man davon profitieren? Diejenigen, die begriffen haben, dass Aktien eine Langfristanlage sind, die einen Geduldshorizont von mindestens zehn Jahren verlangen, profitieren schon lange davon.
Volatile Erwartungen
Und das „kurzfristige Chaos“? Dieses hat damit zu tun, dass die Börsenkurse nicht das gegenwärtige Umfeld oder die gegenwärtigen Kennzahlen des Rechnungswesens abbilden, sondern nur die entsprechenden Erwartungen. Erwartungen über den Erfolg eines neuen Medikamentes, eines neuen Produktes, eines neuen Produktionsprozesses, etc. und die entsprechenden Erwartungen über deren Wirkung auf Gewinn- und Verlustrechnung und Bilanz.
Solche Erwartungen haben es an sich, selber sehr volatil zu sein und unvorhersehbar Enttäuschungen oder Euphorie hervorzubringen. Wenn die kurzfristige Aktienmarktdynamik aber von diesen Erwartungen getrieben wird, dann wird sie selber volatil und mag chaotisch aussehen. Damit hat sie sich aber noch lange nicht von den ökonomischen Gegebenheiten verabschiedet. Die Zusammenhänge sind einfach anders als oft dargestellt.
Dem Markt voraus sein
Und wie kann man davon profitieren? Nur dann, wenn man kurzfristig bessere Erwartungen bilden kann als „der Markt“, sprich, als alle anderen Mitkonkurrenten in diesem globalen „Spiel“. Es ist offensichtlich, dass dies nicht vielen systematisch gelingt. Da sich die Anleger auf der anderen Seite als Kollektiv auch nicht systematisch täuschen, werden erfolgreiche Unternehmen längerfristig den Index weiter nach oben treiben.
Wer aus den obigen Überlegungen schliesst, der Aktienindex müsste Ende Jahr höher notieren als heute, hat die Argumente nicht verstanden. Aber die heutigen Indexniveaus werden nicht der letzte Höchststand sein.