Kein Zweifel: Das von der katalanischen Regionalregierung ausgerufene Referendum ist illegal, weil es der Landesverfassung widerspricht. Der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont beruft sich deshalb auf internationales Recht, nämlich auf das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes. Dieses ist allerdings nicht kodifiziert. Er hat deshalb auch die Europäische Union zu Hilfe gerufen, die aber langsam genug hat von neuen Klein- und Kleinststaaten. Sie hat zweierlei festgehalten: Illegale Referenden kann sie nicht gutheissen, und eine automatische Aufnahme ohne Beitrittsverhandlungen gibt es nicht. Das hat schon Schottland zur Kenntnis nehmen müssen.
Weitgehende regionale Kompetenzen
Die zentrifugalen Nationalismen sind eine Folge der europäischen Zersplitterung im 20. Jahrhundert durch den Zerfall von Monarchien und der Sowjetunion, aber auch der nachfolgenden Globalisierung, welche einen neuen Regionalismus provoziert hat. Katalonien war schon vordem als Anhängsel eines der kleinen Königreiche ein spanischer Sonderfall, bevor es Opfer des Franquismus wurde. Mit seinem Hafen als Wirtschaftsmotor eines rückständigen agrarischen spanischen Stammlandes wirkend, konnte es seine kapitalistischen Trümpfe erst nach Francos Tod entwickeln. Durch seinen Erfolg geriet Katalonien aber dann auch gleich in Konkurrenz mit dem kastilischen Herzland von Madrid, dem Zentrum des neo-spanischen Nationalismus, und mit dem industrialisierten Baskenland. Letzteres hat, anders als Katalonien, mit der ETA bis vor kurzem noch einen eigenen terroristischen Nationalismus gekannt.
Als in der neuen Madrider Demokratie dann schliesslich die Sozialisten an die Macht kamen, begünstigten diese aus sowohl klientelistischen wie entwicklungspolitischen Überlegungen Südspanien, das unterentwickelte Andalusien. Katalonien fühlte sich einmal mehr vernachlässigt. Aber es profitierte dafür unter dem langjährigen Regionalfürsten Pujol zusammen mit dessen Familie von einer institutionalisierten Korruption. Madrid liess gewähren und kassierte mit. Das katalanische Wirtschaftswunder blieb damit geschmiert. Aber Katalonien verlor an Einfluss, was es zu spät realisierte.
Spanien besteht aus 17 Regionen, die einen unterschiedlichen, mit Madrid ausgehandelten Autonomiestatus haben, der – immer mit Ausnahme von Verteidigung und Aussenpolitik – sehr weit gehen kann. Eine eigene Sprache haben die Basken (die niemand versteht), die Galicier, zu denen der konservative Regierungschef Rajoy gehört, sowie die Katalanen, die statt einer natürlichen Zweisprachigkeit einen linguistischen Chauvinismus betreiben. Aber als das katalanische Regionalfernsehen endlich Gelder hatte, wurden nicht etwa gute Filme synchronisiert, sondern die dümmsten amerikanischen Serien!
Bornierte Zentralregierung
Was Franco mit seinem Verbot der katalanischen Sprache nicht erreichte, gelang dann dem konservativen Partido Popular (PP) besser. Dessen Anfechtung des neuen Autonomiestatus von 2006 bewog das PP-hörige Verfassungsgericht 2010 zu provokativen Änderungen (die Anerkennung Kataloniens als Nation zum Beispiel). Dies löste den neuen hartnäckigen Separatisms aus, der sektiererische Züge angenommen hat und längst nicht von allen Katalanen gutgeheissen wird.
Der PP ist für die nationalistischen Katalanen der Nachfolger von Francos Faschismus. Wenn die Madrider Regierung nach langjähriger Verweigerung neuer Verhandlungen und Konzessionen jetzt ihre Polizei nach Katalonien schickt zur Beschlagnahmung von Stimmzetteln und Urnen sowie zur Versiegelung von Wahllokalen (nach der Verhaftung hoher Beamter), erinnert das die militanten Katalonen an die Franco-Diktatur. Etwas mehr Gelassenheit täte not, auch wenn Puigdemont androht, zwei Tage nach einem positiven Wahlausgang sofort die Republik auszurufen.
Es findet ein lächerlicher Hahnenkampf statt, der am Sonntag zu Strassengewalt führen könnte. Der Ausgang des Referendums, so es denn stattfinden kann, ist klar. Es gehen ja vor allem die Separatisten zur Urne. Für Unabhängigkeit. Aber für welche? Die Mehrheit der Katalanen hat sich klar für ein legales Referendum ausgesprochen – aber nicht unbedingt für die Unabhängigkeit. Zwei bisherige konsultative Volksbefragungen haben kein interpretierbares Resultat ergeben. Solange kein direktes Risiko droht, ist man für Unabhängigkeit. Mit Risiko wäre man eher dagegen, wie das Referendum in Schottland gezeigt hat. Der legale Weg würde vorgängig über eine Verfassungsreform führen. Dazu bietet die Madrider Regierung nicht Hand, und das übrige Spanien, oft etwas eifersüchtig auf die erfolgreichen Katalanen, wäre ziemlich sicher dagegen.
Salomonische Fussballer
Salomonisch sind nur die Fussballer. Die nationale katalanische Ikone par excellence, der FC Bacelona, ist für die Unabhängigkeit, möchte in diesem Fall aber weiterhin in der spanischen Liga verbleiben. Denn nichts ist einträglichen als der „classico“, der mythische Match zwischen dem Réal Madrid und dem Barça. Für einmal könnten Politiker von Fussballern lernen.