Bücher über jenen Menschen, der zwischen 1933 und 1945 als „Führer“ in die Geschichte Deutschlands einging, gibt es viele, gute und weniger gute. Eine bewundernswerte Leistung war die Hitler-Biografie von Alan Bullock, die bereits 1952 erschien, zu einem Zeitpunkt, als noch kein deutscher Historiker es wagen konnte, das heikle Thema anzugehen. Beste Dienste leistet noch immer die Biografie von Joachim Fest aus dem Jahre 1973. Nur einen einzigen Nachteil gäbe es zu bekritteln, sagte Golo Mann beim Erscheinen von Fests Werk: Eine so brillant geschriebene Biografie habe Hitler eigentlich nicht verdient. Vor etwas über einem Jahrzehnt erschien die zweibändige Biografie des Engländers Ian Kershaw, die sorgfältig den neuesten Forschungsstand verarbeitete und von vielen Kennern als Standardwerk empfohlen wird. Noch umfangreicher als Kershaws Werk verspricht die Hitler-Biografie von Volker Ullrich zu werden, deren tausendseitiger erster Band unter dem Titel „Adolf Hitler. Die Jahre des Aufstiegs 1889-1939“ eben erschienen ist.
Was ist das Besondere an Ullrichs Biografie? In einem Interview hat der Autor bemerkt, er wolle Hitler nicht dämonisieren, sondern als eine Privatperson darstellen, die viele durchaus normale, sympathische und sogar liebenswürdige Züge aufweise. Volker Ullrich, ehemals Redaktor der Wochenzeitung „Die Zeit“ und gelegentlicher Mitarbeiter des „Tages-Anzeigers“, kennt die Fachliteratur und verfügt über eine stupende Kenntnis selbst scheinbar nebensächlicher Details. Er schildert stilistisch gewandt gewisse Charakterzüge und Begabungen des Privatmanns: seine schauspielerische Verstellungskunst, seinen „betörenden Charme“ in Gesellschaft, sein Interesse für Kunst und Literatur. Wir erfahren, dass Hitler teure Autos und luxuriöse Hotels liebte und dass vieles darauf hindeutet, dass er mit seiner Lebenspartnerin Eva Braun eine normale Liebesbeziehung unterhielt. Es ist Volker Ullrich hoch anzurechnen, dass er bei aller fast beschaulichen Darstellung einer in mancher Hinsicht gutbürgerlichen Existenz nie aus dem Auge verliert, dass Hitler ein skrupelloser Verbrecher war, der unendliches Leid über die Menschheit brachte. Wie aber hängt das Eine mit dem Andern zusammen, die Normalität mit dem kriminellen Wahnsinn? Diese Frage kann der Historiker Ullrich nicht beantworten, und auch ein Psychologe wäre wohl überfordert. Aber die Frage stellte sich, seit Menschen sich mit Hitler auseinandersetzten. Sie trieb schon den längst vergessenen Schweizer Kulturphilosophen Max Picard um, der 1946 ein längst vergessenes Buch herausgab. Sein Titel lautete: „Hitler in uns selbst“.
So reichhaltig an Auskünften das Buch von Volker Ullrich auch immer sein mag – man muss es nicht unbedingt gelesen haben. Das Buch zu Hitler dagegen, das man gelesen haben muss, und zwar unbedingt, ist nur hundertfünfzig Seiten lang. Es ist vor über dreissig Jahren erstmals erschienen und stammt vom Juristen und Journalisten Sebastian Haffner. Sein Titel lautet: „Anmerkungen zu Hitler“.