Die Artenschutz-Konferenz im japanischen Nagoya hat mehr gebracht, als viele befürchtet haben. Nach dem Scheitern des Klima-Gipfels von Kopenhagen vor knapp einem Jahr hatte man Ungutes befürchtet. Jetzt haben die 193 Konferenzteilnehmer ein Massnahmenpaket geschnürt, das das Aussterben weiterer Tiere und Pflanzen bremsen soll.
Bis in den frühen Samstagmorgen hinein versuchten die Delegierten ein drohendes Scheitern der Konferenz zu vermeiden. Mit Erfolg. Das Nagoya-Protokoll ist ein „historisches Ergebnis“, jubelte Jim Leape, der Chef der Umweltorganisation WWF. Bundesrat Leuenberger zeigte sich „ausserordentlich erleichtert“. Das Resultat sei „toll“.
Verabschiedet wurde ein Strategieplan, der vorsieht, dass bis 2020 die Biodiversitätsverluste gestoppt werden müssen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene zusätzliche Finanzmittel bereitgestellt werden. Zunächst einmal will man den konkreten Finanzbedarf ermitteln.
Hoffnungsschimmer für die nächste Umweltkonferenz
Die Konferenz beschloss, in den kommenden Jahren etwa 17 Prozent der Landfläche und 10 Prozent der Küstengebiete und Meere einem speziellen Schutz zu unterstellen. Die Überfischung der Meere soll gestoppt und die Überdüngung landwirtschaftlicher Nutzflächen eingestellt werden. „10 Jahre sind eine realistische Frist für die Anpassung der gesetzgeberischen Basis und die Durchführung von Massnahmen“, erklärt das BAFU.
Geeinigt hat man sich auch auf einen Plan, wie der Umweltschutz in den Entwicklungsländern finanziert werden soll. Eine Einigung erzielte man ferner beim Thema „Wirtschaftliche Gewinne aus biologischen Wirkstoffen“. So sollen Gewinne aus biologischen Rohstoffen, zum Beispiel für die Medizin, gerecht zwischen den Abbauländern und den Nutzungsländern aufgeteilt werden.
Der Erfolg von Nagoya beflügelt sicher die UNO-Umweltkonferenz, die Ende November im mexikanischen Cancun beginnt. Dort will man die "Schande von Kopenhagen“ tilgen und dem Kampf für eine besserere und sauberere Umwelt neue Impulse verleihen. Für Cancun bestehe jetzt „ein Hoffnungsschimmer“, erklärt das BAFU heute.
Durchbruch am Gotthard, Durchbruch in Nagoya
Die Rolle der kleinen Schweiz im Kampf für eine sauberere Umwelt und die Erhaltung von Flora und Fauna ist nicht zu unterschätzen. Die Spezialisten des Bundesamtes für Umwelt sind auf dem internationalen Parkett sehr aktiv, bringen immer wieder konkrete, machbare Vorschläge ein und haben einen guten Ruf. Im Konferenzmanagement gehörte die Schweiz zu den Vizevorsitzenden. Sie leitete mehrere Kontakt- und Verhandlungsgruppen. „So hat sie“, erklärt das BAFU, „die Schlussentscheidungen massgeblich mitgeprägt“.
Das Ergebnis von Nagoya ist auch ein Erfolg für Bundesrat Moritz Leuenberger, eine Art Krönung seiner Bundesratstätigkeit. Seine Teilnahme war sein letzter internationaler Auftritt. „Vor einem Monat haben wir im Neat-Stollen einen Durchbruch erzielt“, sagte er in einem Interview mit Radio DRS, „jetzt erreichten wir einen Durchbruch bei der Biodiversität“. Mit zwei Grosserfolgen geht er in Pension.
Sehr engagiert zeigte sich das Gastgeberland Japan. Der japanische Umweltminister Ryu Matsumoto erklärte, ein „langersehnter Traum“ sei in Erfüllung gegangen. Zum Schutz der Biodiversität hat Japan bis ins Jahr 2013 zusätzliche Mittel von 1,4 Milliarden Euro versprochen.
40 Prozent unserer Tierarten sind bedroht
Trotzdem soll das Ergebnis nicht überschätzt werden. Schon am Umweltgipfel in Rio im Jahre 1992 war eine Biodiversitätskonvention verabschiedet worden. Die Schweiz hatte die Konvention zwei Jahre später verabschiedet. Und wenig geschah.
Dann, im Jahr 2002, hatte die Staatengemeinschaft in Johannesburg beschlossen, den Rückgang der Biodiversität bis zu diesem Jahr zu reduzieren. Man rief das Jahr 2010 zum „Jahr der Biodiversität“ aus und hoffte dann einen konkreten Erfolg feiern zu können. Davon ist man weit entfernt. Die Biodiversität geht weltweit dramatisch zurück, auch in der Schweiz. Immer mehr Tier- und Pflanzenarten werden ausgerottet. Jetzt beschloss man in Nagoya erneut, das kommende Jahrzehnt ganz der Biodiversität zu widmen.
In der Schweiz leben weit über 50 000 Pflanzen-, Tier und Pilzarten. Die hohe Artenvielfalt verdankt die Schweiz den Alpen mit ihren verschiedenen Klimazonen. Doch viele dieser Arten sind bedroht. In der Schweiz wird die Biodiversität beeinträchtigt durch Landschaftszersiedlung, Urbanisierung, Ausbau der Verkehrsinfrastrukturen, Düngung mit Chemikalien und Stickstoff sowie Störungen durch Freizeit und Tourismus. Die zunehmende Nutzung der Gewässer zu Erholungszwecken macht auch vor den Schutzgebieten nicht halt.
Im Alpenraum wird die Landwirtschaft immer intensiver genutzt. Das führt zu einem Verlust an Biodiversität. In der Schweiz wurden seit 1900 36 Prozent aller Auen, 82 Prozent aller Moore und 95 Prozent aller Trockenwiesen und Trockenweiden zerstört. 40 Prozent aller Tierarten sind bei uns bedroht.
Weltweit sind laut Angaben der Internationalen Naturschutz-Union 1141 von 5488 Säugetierarten gefährdet. Das sind 21 Prozent. Ein Drittel der Amphibienarten und 12 Prozent der Vogelarten sind bedroht. Im vergangenen Jahrhundert starben hundert Mal mehr Tierarten aus als in den tausend Jahren zuvor. Zwischen dem Jahr 2000 und dem Jahr 2005 sind 27 Millionen Hektaren Regenwald vernichtet worden – das sind 2,4 Prozent des gesamten Tropenwaldes.
Nicht alles ist schlecht
So toll die Beschlüsse von Nagoya auch sein mögen: es müssen ihr einschneidende, konkrete Taten aller Länder folgen.
Bundesrat Leuenberger betonte, dass die Schweiz bereits eine Biodiversitäts-Strategie aufgegleist habe. Es ist auch nicht alles nur schlecht. „Die Anstrengungen der Schweiz, die Biodiversität zu erhalten und zu fördern, zeigen erste Erfolge, insbesondere im Wald und bei der genetischen Vielfalt der Nutztierrassen und Nutzpflanzensorten“, erklärte Meinrad Küttel vom Bundesamt für Umwelt.
Das BAFU betont, die Schweiz wolle in den kommenden zehn Jahren „ehrzeizige, realistische, konkrete und messbare Ziele“ erreichen.