Das muss einer erst mal machen. Er geht auf dem hervorragenden Listenplatz Nummer 2 ins Rennen. Er ist Kandidat der grössten aufstrebenden Schweizer Partei. Er wird von den Privatfernsehstationen gehätschelt - und er endet auf Rang 20.
Selbst Christoph Mörgeli, nie einer grossen Lippe verlegen, wird Mühe haben, das schönzureden.
Die klatschende Ohrfeige für den SVP-Nationalrat und sein geschichtsträchtiger Absturz sind eine der grossen Überraschungen dieses Wahlsonntags. Es gibt andere: Auch das hervorragende Abschneiden des Weltwoche-Verlegers Roger Köppel war nicht von allen erwartet worden. Wir sind freudig gespannt, wie Köppel den Nationalrat und seine Partei aufmischen wird. Nicht alle in seiner Partei sind wohl ganz so begeistert, dass der redegewandte Intellektuelle jetzt eine führende Rolle spielt.
Rekordergebnis der SVP
Überraschend ist auch das Ausmass des Sieges der SVP. Noch nie hat sie so viel Sitze erobert wie jetzt, und noch nie hat sie so viele Stimmen gewonnen wie an diesem Sonntag. Mit einem Wähleranteil von 29,4 Prozent übertrifft sie gar ihr Rekordergebnis von 2007.
Seit der Einführung des Proporzes im Jahre 1919 war noch nie eine Partei so stark. Für einmal also ist der inflationär gebrauchte Ausdruck „historisch“ gerechtfertigt. 1919 erreichte die FDP 28,8 Prozent und 1943 die SP 28,6 Prozent.
Am Triumph der SVP gibt es nichts zu rütteln, auch wenn die Linke darauf hinweist, dass die SVP arithmetisches Glück hat. Mit einem Stimmenzuwachs von ("nur") 2,8 Prozent gewinnt sie satte elf Sitze dazu.
Plus 1,3 Prozent für den Freisinn
Nach 36-jährigem Krebsgang konnten die Freisinnigen erstmals wieder zulegen. Doch die 3 Sitzgewinne sind wohl weniger gross, als sich einige FDP-Leute erhofft hatten. Die Parteioberen und einige ihr nahestehenden Zeitungen hatten sich in den letzten Wochen in einen eigentlichen Siegesrausch katapultiert. So ist denn der Zuwachs von bescheidenen 1,3 Stimmenprozent doch etwas ernüchternd.
Die vor vier Jahren hochgepriesene neue Mitte ist geschwächt. CVP, GLP und BDP haben zusammen 8 Sitze verloren. Eine Katastrophe ist das Resultat für die Grünliberalen, bei denen nun wohl ein Auflösungsprozess begonnen hat.
Geschwächt geht die Linke aus den Wahlen hervor. Die SP verliert eher überraschend 3 Sitze. Prozentual allerdings kann sich die SP mit plus 0,1 Prozent halten. Weniger überraschend sind die 4 Sitzverluste der Grünen ( -1,3 Prozent). Die Grünen hatten vor vier Jahren vom Fukushima-Effekt profitiert. Der Sitzgewinn der Partei der Arbeit (PdA) in Neuenburg wird das linke Lager kaum stärken.
Uneinige Bürgerliche
Wird der markante Rechtsrutsch im Nationalrat jetzt die schweizerische Politik umkrempeln? Vielleicht weniger, als es die Sieger erhoffen. Die jetzigen Gewinne von SVP und FDP kompensieren zu einem grossen Teil nur die Verluste, die diese beiden Parteien vor vier Jahren erlitten hatten. Zudem hat sich im Ständerat wenig bewegt. Sicher aber wird der Schlagabtausch zwischen der Linken und der Rechten bei der Europa- und Asylpolitik lauter werden. Doch an der Sachpolitik werde sich wenig ändern, sagte Politologe Claude Longchamp am Wahlabend.
Würden sich alle rechtsbürgerlichen und rechten Parteien zusammentun, kämen sie sogar auf 101 Stimmen, also auf die absolute Mehrheit im Parlament.
Aber: In wichtigen Fragen haben die bürgerlichen Parteien das Heu absolut nicht auf der gleichen Bühne. Vor allem bei den Themen Völkerrecht, Einwanderung und Asyl haben SVP und FDP sehr unterschiedliche Vorstellungen. Und auf die Lega und das wirre Mouvement des Citoyens Genevois ist wenig Verlass. Auch diese mangelnde Homogenität des rechtsbürgerlichen Lagers könnte dazu beitragen, dass sich in der Sachpolitik wenig ändert.
Noch ist EWS nicht gestürzt
Natürlich geht es jetzt um die Bundesratswahl am 9. Dezember. Dass die SVP mit 65 Sitzen Anspruch auf einen zweiten Bundesratssitz hat, bestreitet niemand. Die Frage ist nur, will man eine fähige, kompetente Finanzministerin einzig aus parteipolitischen Gründen opfern? So sicher ist eine Nichtwahl von Eveline Widmer-Schlumpf (EWS) noch lange nicht. Bundesräte werden nicht nur vom Nationalrat, sondern von der Vereinigten Bundesversammlung, also auch vom Ständerat gewählt. Und dort hat sich wenig verschoben.
Natürlich hat die SVP schon am Wahlabend den zweiten Sitz gefordert, und natürlich hat die SP schon erklärt, sie werde Eveline Widmer-Schlumpf wählen – sollte sie überhaupt noch kandidieren.
Gewählt, abgewählt
Wie immer wurden Prominente nicht gewählt - und Aussenseiter gewählt. Überraschend ist die Wahl der Nicht-Bündnerin Magdalena Martullo-Blocher, der Tochter von Christoph Blocher, im Kanton Graubünden.
Dass es die Parteipräsidenten der zweit- und drittgrössten Partei nicht geschafft haben, im ersten Wahlgang einen Sitz im Ständerat zu erringen, ist immerhin eine Notiz wert.
Neben Christoph Mörgeli gibt es andere überraschend Gestrauchelte: In Schwyz wurde Andy Tschümperli, der SP-Fraktionschef, nicht mehr gewählt. Auch den Solothurner SVP-Nationalrat Roland Borer hat es erwischt.
Und in Zürich trifft es einen, der es nicht lassen konnte. SVP-Nationalrat Hans Fehr, der Haudegen vom Rhein, der trotz seines nicht mehr ganz jugendlichen Alters seine Kandidatur durchboxte, erhielt jetzt – trotz Listenplatz 4 - die Quittung: Platz 19. Es schmerzt, eine langjährige politische Karriere mit einer saftigen Niederlage zu beenden.