Noch bevor die Stunde der Parlamentswahl geschlagen hat, haben die Hindu-Fundamentalisten bereits einen wichtigen Sieg gebucht. Sie errangen ihn auf dem abgelegenen Schauplatz des Buchhandels. Doch das Triumphgefühl, das sie ausstrahlten, zeigt, dass es für sie – und uns – ein zentrales Kampffeld ist. Es geht nämlich um das in der Verfassung verbriefte Recht, die eigene Meinung zu äussern, selbst über fundamentale Dinge wie Religion, Kultur und Geschichte. Genau dies widerstrebt der Hindu-Rechten; für diese gibt nur eine indische Tradition, und nur diese verdient Gehör.
Worum geht es? Vor fünf Jahren publizierte Penguin India eine grosse Studie der amerikanischen Indologin Wendy Doniger, unter dem Titel ‚The Hindus: An Alternative History‘. Statt nur die klassischen Sanskrit-Texte als Referenzpunkte zu nehmen, zog die international hochgeachtete Philologin Variationen der Mythen, Streitschriften, Gebrauchsliteratur, Kampfansagen an das Monopol der brahmanischen Schriftgelehrten heran. Unjd statt die Mythen über Entstehung von Religion und Gesellschaft als dokumentarische Geschichtsschreibung zu akzeptieren, behandelte sie beide Traditionen als Geschichten mit ihren unterschiedlichen Interpretationen und Gewichtungen.
Zum Widerspruch reizen
Doniger stellte der Paradies-Vision der klassischen Texte, in dem es von Weisen und gütigen Herrschern und braven Untertanen nur so wimmelte, Texte entgegen, die zum Widerspruch reizten. Es gibt in Indien keinen verbindlichzen ‚Bibel-Kodex‘, sagte sie, und Indiens Mythen können auch als psychologische Traktate gelesen werden, die sich mit Gewalt und Verrat, mit sexueller Lust und Unterdrückung, mit Göttern auf tönernen Füssen und der geschädigten Psyche von Helden abgeben.
Es war nicht das erste Mal, dass Wendy Doniger die Hindu-Rechte mit ihrem intellektuellen Stachel und ihrer Fabulierlust gelöckt hatte. Bereits vor Jahren hatte sie den Versuch der ‚Hindutva‘-Gemeinde von Exil-Indern in den USA bekämpft, einen idealisierten Hinduismus in die amerikanischen Schulbücher zu schmuggeln, mit einer unterschwelligen Verunglimpfung nicht-brahmanischer und islamischer Traditionen.
Klageschriften
‚The Hindus‘ war ein gefundenes Fressen für Donigers Gegner, denn das Buch wurde in Indien veröffentlicht, einem Land mit einem Strafgesetzbuch, das im Paragrafen 295A jede ‚Verletzung der religiösen Gefühle einer Person‘ als Verbrechen einstuft. Sofort nach der Veröffentlichung – und dem raschen kommerziellen Erfolg – des Buchs regnete es Petitionen und Klageschriften dagegen. Penguin wehrte sich und verteidigte vor Gericht das Recht auf freie Meinungsäusserung.
Als der Hindutva-Verein ‚Rettet die Erziehung‘ jedoch im letzten November mit einer Strafklage wegen kriminellen Verhaltens und gleichzeitig gewalttätige Proteste androhte, kapitulierte der Verlag. Er einigte sich aussergerichtlich mit seinen Verfolgern und gab auf der ganzen Linie nach: Penguin entschuldigte sich bei den verunglimpften Hindus und versprach, alle Exemplare aus dem Buchhandel zu ziehen und einzustampfen. Als ich letzte Woche im ‚Harmony Bookshop‘ in Varanasi ein Exemplar kaufen wollte, winkte dessen Besitzer Rakesh Singh lächelnd ab: Innert Stunden nach Bekanntwerden der Kapitulation waren seine Doniger-Bücher ausverkauft.
Bittere Vorwürfe gegen den Verlag
Die Proteste gegen diese Preisgabe des Felds freier Meinungsäusserung blieben nicht aus. Die liberalen englischsprachigen Medien solidarisierten sich mit Doniger und überschütteten Penguin mit bitteren Vorwürfen. Ein Kommenator der Webseite ‚Kafila‘ erinnerte den Verlag daran, dass es deren englische Muttergesellschaft gewesen war, die in einem jahrelangen hartnäckigen Kampf für ihren Autor D.H.Lawrence den britischen Staat gezwungen hatte, den Pornografie-Vorwurf gegen literarische Werke endgültig zu beseitigen.
Den Hindu-Fundamentalisten geht es nicht primär um Pornografie. Sie kämpfen für ein von allen Schatten gesäubertes Bild der indischen Kultur, sie lehnendie vielen hybriden Formen und Gegenentwürfe, die für Indien so typisch sind und die seine Faszination ausmachen, als unerlaubte Abweichngen ab. In der Meinung dieser Puritaner ist Indien in akuter Gefahr, seine Kultur zu verlieren, wenn es sich nicht auf eine einheitliche hinduistische Doktrin zurückbesinnt, die über die Orthodoxie wacht.
„Mit Pornografie besudelt“
Eine Auseinandersetzung um Indiens kulturelle Seele wäre willkommen, wenn sie mit Argumenten ausgefochten würde. Aber ein Blick in die Anklageschrift zeigt, auf welchem Niveau die Hindu-Mullahs ins Gefecht ziehen. Sie werfen Doniger vor, die Götter mit Pornografie besudelt zu haben: „Sie schreiben über Sex zwischen Sita und Laxman (zwei Personen aus dem Heldenepos ‚Ramayana‘), das ist pure Blasphemie... Das Titelbild zeigt Krishna, der auf dem Gesäss einer nackten Frau reitet ... Ihr Ansatz ist der einer Frau, die nach Sex hungert“.
Dahinter steckt eine “Geheimagenda”, fährt die Klageschrift fort, nämlich der christlich-missionarische Eifer, die Hindus zu verunglimpfen und den Hinduismus zu schwächen. Gott Indra soll im Mahabharata-Epos eine Frau namens Kunti vergewaltigt haben? „Hat etwa der christliche Gott die Jungfrau Maria vergewaltigt, damit sie Jesus gebäre?“. Das Ramayana sei von menschlichen Autoren geschaffen worden? Diffamierung der Hindus! Die Datierung von Rams Lebenszeit (vor 800‘000 Jahren) soll eine Fiktion sein? Das ist eine „schwere Verletzung der religiösen Gefühle von Millionen von Hindus“.
Inquisition
Man könnte über derartig dubiose Anwürfe lächeln, folgten nicht auf dem Fuss die Aufzählung der Strafparagrafen, die dafür Gefängnisstrafen vorsehen. Und gerade als ausländischer Verlag, so Penguin, sei man nun einmal verpflichtet, sich den Gesetzen des Landes unterzuordnen. Es kam ihm nicht in den Sinn, deren Verfassungsmässigkeit vor einem höheren Gericht zur Diskussion zu stellen. Stattdessen räumte sie das Feld.
Und der Verein ‚Rettet die Erziehung‘ (dahinter steckt der lange Arm des Hindu-Kaderverbands RSS) ist dabei, es zu besetzen. Seine Mitglieder lesen bereits eifrig Bücher, die auf den Scheiterhaufen gehören. Wendy Donigers Buch ist zudem nicht das erste, das der Inquisition zum Opfer fiel. Eine Studie über den Mystiker Ramakrishna wurde in Indien verboten, ebenso eine über Gott Ganesh; sie hatten am Zuckerguss-Bild beider Gestalten gekratzt. Ein Essay des Linguisten A.K.Ramanujam über die Vielzahl von Versionen des ‚Ramayana‘ wurde zurückgezogen – laut RSS gibt es nur eine autorisierte Version.
„Hindu-feindliches Gedankengut“
Das Hauptziel der Gruppe sind aber, wie ihr Name nahelegt, die Schulbücher; sie sind von jeder Kritik am Hinduismus zu reinigen, historische Gestalten von jedem Schatten zu befreien. Auch hier haben sie bereits erste Erfolge erzielt, trotz einer Kongressregierung, die vorgibt, die liberalen Verfassungsgrundsätze zu verteidigen.
Man kann sich vorstellen, was geschehen wird, wenn mit Narendra Modi in der bevorstehenden Parlamentswahl wieder die BJP ans Ruder kommt. Bereits bei ihrer ersten Regierungszeit vor fünfzehn Jahren hatte der Kulturminister umgehend die Redaktoren der Schulpläne ausgetauscht und liess die Schulbücher nach ‚Hindu-feindlichem‘ Gedankengut durchkämmen.
Der Verein hat bereits eine Liste von Schriften bereit, die eingestampft werden sollen. In erster Linie gehe es ihnen darum, so ihr Wortführer, dafür zu sorgen, dass die Veden, Indiens älteste Schriften, wieder als „Kanon“ anerkannt werden. Denn sie sind „eine göttliche Offenbarung, von absoluter Autorität, Allem übergeordnet, das nicht mit ihnen übereinstimmt“. Wer sie nicht akzeptiert, dem droht eine Fatwa. Womit auch Indien und der Hinduismus dort angekommen wären, wo die muslimischen und christlichen Fundamentalisten bereits zu Hause sind.