Der Himmelflug der SpaceX-Rakete muss einstweilen warten. Das bietet Gelegenheit, einen Blick in das ideologische Triebwerk der Weltraumkolonisierung zu werfen.
Selbstverständlich ist Raumfahrt ein wissenschaftlich-technologisches Unternehmen, und als solches inspiriert von menschlicher Neugier und Entdeckungslust; oberflächlich gesehen, ein Projekt des säkularen Menschen, der sich aus religiöser «Vormundschaft» befreit hat und nun den Himmel mit aufgeklärten Augen erforscht. Tatsächlich entpuppt sich aber Raumfahrt als die Fortsetzung alter Mythologie und Theologie mit neuen, ungeheuer potenten Mitteln – als eine gefährliche Pseudoreligion.[1]
Von Wernher von Braun zu Elon Musk
Raumfahrttechnologie ist buchstäblich und metaphorisch himmlisch inspiriert. Wernher von Braun, einer ihrer Pioniere, Waffenschmied der Nazis und in Texas wiedergeborener Christ, sah im Aufstieg der bemannten Raketen eine evangelisierende Mission und einen milleniaristischen Neubeginn für die Menschheit – genauer: für das christliche Amerika. Es sei Gottes Absicht, verkündete von Braun, «seinen Sohn in andere Welten zu schicken und ihnen das Evangelium zu bringen». – Das erste Raumfahrtprogramm in den 1950er Jahren hiess bezeichnenderweise «Project Adam». Damit sind wir nicht weit entfernt vom «zweiten Adam» Jesus.
Nun zieht auch Elon Musk das Register der religiösen Obertöne. In einem Tweet verkündet er: «Eine neue Philosophie der Zukunft ist nötig: Neugier für das Universum – die Expansion der Menschheit zu einer multiplanetarischen, dann interstellaren Spezies, die herausfindet, was es da draussen alles gibt. Das verträgt sich mit existierenden Religionen – will Gott etwa nicht, dass wir seine Schöpfung kennenlernen?»
Multiplanetarische Raubritter
Musk ist ein techno-imperialistischer Kreidefresser. Seine Neugier heisst Raffgier. Er will die Schöpfung nicht kennenlernen, sondern erobern. Neuerdings nennt er dies «Terraforming», das heisst, den Mars so zurichten, dass Nachfolgeunternehmen für Paypal, Twitter, Tesla, OpenAI dort Platz greifen können. Wenn man Revue passieren lässt, was die Spezies Mensch so alles mit dem «Terraforming» der Erde zuwege gebracht hat, kommt nicht unbedingt optimistische Stimmung auf. Musk geht in seiner entfesselten puerilen Fantasie so weit, auf dem Mars Atomsprengköpfe zu zünden, so dass dessen Polkappen abschmelzen, einen Treibhauseffekt verursachen und so «günstige» Lebensbedingungen schaffen würden. Günstig für wen? Für einen milliardenschweren CEO und seine Unternehmen?
Unternehmerische Raumfahrt ist gefährlich, weil praktisch unreguliert. Es herrscht Wildwestmentalität. Schwache internationale Übereinkünfte regeln das Verhalten von transnationalen Unternehmen im Weltraum. Wer zieht sie zur Rechenschaft? Wer hält ihre Bestrebungen und Motivationen im Zaum? Tatsächlich billigen wir ihr eigenmächtiges Vorgehen stillschweigend, wenn wir etwa die Nutzungsbedingungen für Elon Musks Satellitennetzwerk Starlink akzeptieren. Das Netzwerk betrachtet nämlich den Mars als «freien Planeten»[2], sprich als kolonisierbar. Die multiplanetarischen Raubritter stellen ihn schon unter ihre Ägide, bevor er betreten worden ist. Und sie betreiben exakt das Gegenteil dessen, was der Outer Space Treaty von 1967 bezweckte: die Behandlung des Weltraums als Gemeingut, um Besitzanspruch, Konflikt und Gewalt zu minimieren.
Technik als Erösung
Hier zeigt sich einmal mehr das hässliche Gesicht des menschlichen Anspruchs auf eine Ausnahmestellung auf der Erde, ja, im Weltraum. Und in der Begründung dieser Ausnahmestellung redet das Christentum ein gewichtiges Wort mit. Der Historiker Lynn White sorgte in den 1960er Jahren für einige Aufregung, als er die These vertrat, wir hätten die ökologischen Krise zu einem wesentlichen Teil einer desaströsen Annahme zu verdanken, nämlich dem «stillschweigenden Glauben in den immerwährenden Fortschritt, der in der griechisch-römischen Antike wie im Orient unbekannt war. Er wurzelt in der jüdisch-christlichen Theologie (…). Wir leben heute, wie seit über 1700 Jahren, grösstenteils in einem Kontext christlicher Axiome».[3]
Die religiöse Konnotation weist uns hin auf eine altbekannte Erkenntnis: Technik hatte seit je nicht bloss die Ambition, irdische Probleme zu lösen, sondern uns von den Problemen zu erlösen. Technik ist buchstäblich ein Heilmittel, ein Mittel zum Heil. In diesem Sinne wertete das christliche Mittelalter die Arbeit an technischen Artefakten auf. Johannes Scotus Eriugena verlieh im 9. Jahrhundert den mechanischen Künsten eine würdigere Bedeutung, indem er in ihrer Nützlichkeit nicht nur eine praktische, sondern auch eine spirituelle Komponente sah. Unser Heil, so Eriugena, kann auch erarbeitet werden in weltlichen Anstrengungen, nicht zuletzt durch technische Innovationen. Die mechanischen Künste zu pflegen, zu verbessern und zu vervollkommnen heisst, den «gottgleichen» Zustand des Menschen wiederherzustellen.
Astrotopie
Die Astrotopie löst die Utopie ab, um hier den Begriff der Wissenschaftsphilosophin Mary Jane Rubenstein zu verwenden. Im Unterschied zur Utopie, der es um das Denkbare geht, hat die Astrotopie das Machbare im Visier. Und in ihr wirkt wie in aller Technologie der Erlöser-Impuls, das Hinauswachsen über sich selbst. Sie stellt erd- und menschenflüchtige Horizonte in Aussicht.
Interessanterweise schwelt die religiöse Thematik selbst da, wo man sie nicht direkt vermutet. 2020 verfasste eine Arbeitsgruppe der NASA ein Manifest, in dem sie einen «respektvolleren» Umgang mit nicht-terrestrischen Planeten anmahnte. Prompt bezeichnete Robert Zubrin, Gründer der «Mars Society» und Musk-Spezi, die Autorinnen und Autoren als «mystische Pantheisten». Womit er sie im Subtext als unwissenschaftliche «Lunatiker» zu diskreditieren suchte, die in ihrer «Wokeness» die Raumforschung behindern wollten. Dass sein Engagement für die Expansion der Technik sich einer jahrtausendealten religiösen Tradition verdankt, schien Zubrin keines Gedankens wert zu sein. Und wer ist eigentlich «mondsüchtiger», die Astrotopisten oder die Leute, die Vorbehalte anmelden?
«Hütet euch vor diesen weissen Kerlen»
In der Tat ist Religion zweischneidig: Sie kann sowohl den Eroberungswahn befeuern als auch den Respekt für die Dinge der Welt wecken. Immerhin ist das Universum zu gross, als dass es nur für uns Platz darin hätte. Wenn man also unter «mystischem Pantheismus» schlicht die Einstellung versteht, diese Dimension zu würdigen und den Mars nicht einfach als einen zu kolonisierenden und exploitierenden Gesteinsbrocken im All zu betrachten, dann kann man sich berechtigterweise fragen, ob denn eine solche Haltung nicht ein vernünftiges Korrektiv zum theo-technologischen Imperialismus bereithielte.
Die Astronauten, die 1969 auf dem Mond landeten, hinterliessen eine Plakette mit der Aufschrift «Wir kamen im Namen des Friedens für alle Menschen». Dieser zur Schau getragene Universalismus ist wohl die grösste Bigotterie der ganzen Technikgeschichte. Wer sind «alle Menschen»? Die Flagge, die die Astronauten in den Mondsand steckten, war die amerikanische. Als die NASA in den 1960er Jahren von den Navajos Gelände mietete, um Raketen zu testen, bat ein indigener Poet die Ingenieure, eine Botschaft an die Mondbevölkerung zu schicken. Sie lautete: «Hütet euch vor diesen weissen Kerlen».
[1] https://nautil.us/the-race-to-colonize-mars-perpetuates-a-dangerous-religion-298323/?_sp=a960a774-d2cb-4a3f-a86a-c9f6b2c5219e.1682054306575
[2] https://futurism.com/the-byte/starlink-terms-of-service-demands-users-recognise-mars-free-planet
[3] https://www.cmu.ca/faculty/gmatties/lynnwhiterootsofcrisis.pdf