Und zwar zu der Zeit, in der sich die amerikanische Aussenministerin zu freundschaftlichem Polit-Smalltalk mit dem zum Präsidenten gewählten Muslimbruder Mohammed Mursi trifft und dem Chef des Obersten Militärrates, Feldmarschall Tantawi in ähnlich zurückhaltender Weise anrät, die Rolle des Militärs möglichst bald wieder auf das Eigentliche zu beschränken – die Gewährleistung der staatlichen Sicherheit.
Die politische Zurückhaltung gegenüber den offiziellen Gesprächspartnern überzeugte die Demonstranten nicht. Für sie war Clintons Besuch ein Symbol einer neuen Politik Washingtons gegenüber Kairo: Nach Jahren der Unterstützung für den Despoten Mubarak glauben die Demonstranten, dass Washington nun die Muslimbrüder und das Militär unterstützt, um seinen bisherigen Einfluss am Nil nicht völlig zu verspielen. Und sie werfen den USA vor, hiermit die Revolution vom vergangenen Jahr zu verraten.
Die USA haben keinen Einfluss auf Mursi
Clinton und auch andere amerikanische Politiker dürften davon weit entfernt sein. Aber gleichzeitig wird ihre Ratlosigkeit mehr als offensichtlich: Nur Monate vor den US-Präsidentschaftswahlen ist aus Washington ohnehin nicht viel Neues zu erwarten. Die US-Politik hat kein Interesse an neuen Spannungen im Nahen Osten und man versucht, sich einigermaßen schadlos über die Runden zu retten. Und nimmt dabei in Kauf, genau die unter den Ägyptern zu verprellen, die Angst haben vor einer Hinwendung des Landes zu einem islamistischen System – selbst wenn es unter den heutigen Muslimbrüdern gemässigter sein dürfte als in den letzten Jahren immer befürchtet. Und die wütend sind darüber, dass das Militär die Macht weitgehend an sich gerissen hat und ganz offensichtlich nicht vor hat, diese in absehbarer Zeit an zivile Organe abzutreten. Auch nicht den gewählten Präsidenten.
Auf Mursi hat Washington kaum Einflussmöglichkeiten. Dazu hatte man zu lange jede Möglichkeit auch nur vorsichtiger Kontakte mit den Muslimbrüdern vermieden, um den engen Freund Mubarak nicht zu düpieren. Und wenn Mursi auch länger in den USA gelebt und gearbeitet hat, es dürfte mehr als das brauchen, um eine gemeinsame Sprache zu finden.
Grünes Licht für die Generäle
Mit dem Militär ist das kaum anders: Die Generäle des Obersten Militärrates sind fast sämtlich in den USA ausgebildet, an amerikanischen Waffen trainiert und mit amerikanischer Militärhilfe verpäppelt, aber sie wollen sich von Washington auch nichts vorschreiben lassen. Selbst wenn die anstehenden Wahlen in den USA jetzt nicht Zurückhaltung geböten, wurde jede US-Regierung sich doch auch schwer tun, den alten Verbündeten so einfach fallen zu lassen. Selbst der vorsichtige Versuch, dem Militär mit einer Kürzung der Militärhilfe (in Höhe von 1,3 Mrd Dollar / Jahr) wurde rasch wieder eingestellt, und es war Aussenministerin Clinton, die bereits vor Wochen versichert hatte, dass solche Hilfe nicht vom Fortschritt der Demokratisierung in Ägypten abhängig gemacht werden dürfe. Grünes Licht also für die Generäle, ihre Machtposition am Nil weiter auszubauen und zu festigen. Von den USA haben sie nichts zu befürchten .
Aber auch nicht von anderen Staaten. Die Europäer sind nicht nur mit sich selbst beschäftigt, sie haben keine klare Haltung gegenüber Ägypten oder allgemein gegenüber dem Nahen Osten. Das zeigt sich deutlich im Fall Syriens, wo die Gegner des Assad-Regimes immer wieder ein militärisches Eingreifen des Auslandes fordern, dieses Ausland – in erster Linie die USA und die Europäer – aber alles daran setzen, nicht in so etwas hineingezogen zu werden. Eine Intervention in Syrien würde weitaus gravierendere Folgen haben als das Eingreifen in Libyen und die Konsequenzen wären unabsehbar.
Die direkte Folge: Politiker wie der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan werden von der syrischen Opposition als Kollaborateure Assads und des Iran beschimpft. Und US-Außenministerin Clinton als Steigbügelhalter der Muslimbrüder und des Militärs. Beides trifft natürlich nicht zu, reflektiert aber die Unfähigkeit des Auslandes im Nahen Osten Realpolitik zu betreiben und denen zu helfen, die man bisher immer so gerne in politischen Reden unterstützt hatte. Aber eben nur in Reden, nicht mit Taten.