Beim Schweizer Fernsehen wurde Marianne Pletscher von der schnellen Reporterin zur geduldig suchenden Dokumentarfilmerin. Als solche realisierte sie mehr als drei Dutzend Werke, mit denen sie sich Respekt erwarb, Auszeichnungen holte und bewies, was öffentlichrechtliches Fernsehen im beispielhaften Fall zu leisten vermag: intelligente, tiefgängige und spannende Programme mit nachhaltiger Wirkung.
Gegenprogramm der Würde und Fairness
Marianne Pletscher wagte sich an schwierige, oft tabuisierte Themen wie Vergewaltigungen, Amokläufe, Suizide, Sterbebegleitung oder Alzheimer. Was reisserisch hätte werden können, voyeuristisch, wurde ruhig, aus wissender Vertrautheit mit den Problemen und gestalterisch präzis als ergiebiger Diskussionsstoff eindrücklich aufbereitet.
Marianne Pletscher dokumentierte eine Aktualität, auf die sich auch und gerade der Boulevardjournalismus begierig stürzt, mit dem Gegenprogramm der Würde und Fairness, das menschliche Schicksale und Katastrophen nicht ungeniert für die Quotensteigerung nutzt. Dennoch war das „andere Fernsehen“, das anspruchsvolle, differenzierende und hintergründige, resonanzstark. Ethik mit künstlerischer Handschrift verwandelt die Mattscheibe in den Bildschirm, vor dem auch ein breites Publikum sitzen bleibt.
Sensible Beschreibung
Inzwischen hat Marianne Pletscher im Pensionsalter das Schweizer Fernsehen verlassen. Doch die Leidenschaft für den Dokumentarfilm kennt die Altersgrenze nicht. In Zusammenarbeit mit der Alzheimervereinigung des Kantons Zürich entstand „Behütet ins gemeinsame Boot“. Der Inhalt ist schnell erzählt: eine Gruppe Demenzkranker übt mit ihren Lebenspartnern eine Ferienwoche lang szenisches Theater. Es befreit die Paare von der Last des Leidens und von jener der Betreuung.
Was aussieht wie ein nüchterner filmischer Bericht, ist in der Wirkung eine sensible Beschreibung eines Lebens mit Alzheimer. Marianne Pletscher leuchtet es hell und hart aus. Aber weder mit schockierenden Bildern noch einem hämmernden Kommentar, sondern mit einfühlsamen Fragen, leisen Gesprächen und aussagekräftig gefilmten Details. Das Dramatische der Krankheit ist aufgehoben in einer Poesie der beobachtenden Neugier.
Information ohne Belehrung
Wie bei jedem ihrer Dokumentarfilme, ist auch hier eindeutig, wo Marianne Pletscher steht, nämlich auf der Seite der Demenzkranken – bei ihnen in erster Linie. Sie zeigt zwei Männer mit Alzheimer-Befund, die sie mit Pietät skizzierend porträtiert. Mit Respekt, Anteilnahme, doch ohne jede Peinlichkeit des Mitleids. Der Betrachter erlebt informativ, was Demenz bedeutet: so unmittelbar, wie es einem Film möglich ist.
Die Rolle der Beobachterin auf Distanz nimmt Marianne Pletscher auch ein gegenüber den beiden Ehepartnerinnen, der Ärztin und Projektberaterin Irene Bopp-Kistler und der therapeutischen Theaterregisseurin Christine Vogt. Sie erzählen und erklären und belehren nicht. Daraus ist kein allgemeiner Film über Demenz entstanden, sondern einer über einige Menschen, die von der Krankheit direkt betroffen sind, an ihrer Schwere teilhaben müssen oder lindernd helfen.
Auf dem noch langen Weg zu einem medizinischen Mittel gegen Alzheimer ist der Film eine eindrückliche Zwischenstation des Nachdenkens über Vorschläge, die den Umgang mit der Krankheit erleichtern.