Man kann in Frankreich seinen gleichgeschlechtlichen Partner (noch) nicht heiraten. Man kann in Frankreich (noch) nicht in Würde sterben, wenn man elendiglich unheilbar krank ist. Das Land, das die Wiege der philosophischen Aufklärung, der demokratischen Revolution und der Menschenrechte ist, beherbergt noch eine unterschwellig konservative Gesellschaftsordnung, geprägt von Monarchie, Gaullismus, Pseudobürgertum und katholischer Morallehre. Sonst wäre es nicht erklärbar, dass Frankreich eine derart unappetitliche - von Seiten der konservativen und katholischen Opposition - Debatte über die nun doch geglückte Einführung der sogenannten "Homo-Ehe" führen musste und auch seit Jahren einen nicht öffentlichen Streit über Sterbehilfe führt. Beides sind Minderheitenprobleme: ein paar Tausend Homos, die - laut unseren Humoristen den "gleichen Fehler" begehen wollen wie die Heteros - und einige Tausend Schwerstkranke auf 800'000 normale Todesfälle im Jahr. Umso mehr wären in beiden Fällen angepasste Lösungen denkbar, auch wenn beidesmal komplizierte ethische und juristische Probleme zu lösen sind. Die konservative Standesorganisation der französischen Ärzte hat jetzt den Weg zu einer passiven Sterbehilfe - vom Gesetz seit 2005 ermöglicht und von Präsident Hollande eingefordert - geebnet, nachdem sie jahrelang skandalöserweise die Palliativmedizin (Schmerzlinderung) blockiert hatte. Beides unter dem Druck der Realität, in diesem Fall der Leidenden und der Hausärzte. Der deutsche Aufklärer Kant forderte "mündige" Bürger. De Gaulle bezeichnete die Franzosen aber noch als "Kälber". Die letzte "Revolution" - die von 1968 - hat ihn bestraft. Aber es fehlt weiter dringend an Aufklärung. (Ulrich Meister, Paris)